Vogelgrippe erreicht Helgoland: Gefahr für einzigartige Seevogelkolonie

Nach den Seeschwalben nun die Basstölpel: Der beispiellose Ausbruch der Virus-Pandemie bedroht die einzige deutsche Kolonie des spektakulären Hochseevogels

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
7 Minuten
Eine Nahaufnahme eines fliegenden Basstölpels

Seit Wochen wütet die Vogelgrippe unter Seevögeln entlang der Nordseeküste. Der beispiellose Ausbruch der Virus-Infektion tötet Möwen, Seeschwalben, Basstölpel und Raubmöwen von der französischen Kanalküste über das niederländische, deutsche und dänische Wattenmeer bis in die nördlichsten Zipfel Schottlands.

Vogelgrippe erreicht Helgoland – und seine einzigartige Seevogelkolonie

Besonders verheerend: Erstmals bricht die Epidemie nicht im Winter aus, sondern mitten in der Brutzeit der Seevögel. Dadurch sterben viele Elternvögel auf ihren Gelegen oder während der Jungenaufzucht, die Küken verhungern. Mittlerweile sind die Nordsee-Populationen mehrerer bedrohter Vogelarten durch den Seuchenzug so stark dezimiert worden, dass Vogelschützer um das Überleben der Arten in der Region fürchten. Nach der vom Aussterben bedrohten Brandseeschwalbe trifft das Virus nun auch die einzige deutsche Kolonie des Basstölpels auf Helgoland. Die elegante Hochseevogelart ist auf der Roten Liste in Deutschland in der Kategorie „Extrem selten“ gelistet. Wir sprachen mit Elmar Ballstaedt, dem Stationsleiter des Vogelschutzvereins Jordsand auf Helgoland über die aktuelle Situation.

Elmar Ballstaedt vor der Langen Anna auf Helgoland
Elmar Ballstaedt beim Monitoring der Brutvögel auf Helgoland

Herr Ballstaedt, Analysen des Friedrich-Loeffler-Instituts haben vor einigen Tagen bestätigt, dass nun auch tot aufgefundene Basstölpel aus der Kolonie auf Helgoland an der hochansteckenden Vogelgrippe gestorben sind. Wie ist die Lage aktuell bei Ihnen?

Anfang Juni wurden bei uns die ersten toten Basstölpel gefunden. Im Juli wurden es dann immer mehr. Wir dokumentieren die Entwicklung gemeinsam mit der Vogelwarte Helgoland laufend. Bisher haben wir insgesamt ungefähr 170 tote Jungvögel gezählt. Das bedeutet zwar nicht, dass die alle an der Vogelgrippe gestorben sind. Aber es deutet darauf hin, dass ihre Eltern oder ein Elternteil an der Vogelgrippe gestorben sind und die Brut dann aufgegeben wurde.

Ein toter Basstölpel am Strand
An der gesamten Nordseeküste sterben Basstölpel derzeit an der Vogelgrippe, hier ein Vogel an einem Strand in Dänemark.

Können Sie schon einschätzen, wie groß der Schaden für den gesamten Brutbestand auf Helgoland und damit für die gesamte deutsche Population ist?

Das können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Ein Problem ist, dass nicht alle Brutplätze in den Felsen ohne weiteres einsehbar sind. Dort, wo man reinsehen kann, ist etwa ein Drittel der Nester leer. Wir gehen davon aus, dass auch insgesamt mindestens ein Drittel aller Paare ihre Nester aufgegeben hat. Es ist aber schwierig, einzugrenzen aus welchen Gründen das geschehen ist. Denn es gibt auch unter normalen Umständen Paare, die eine Brut aufgeben. Gerade junge Vögel, die zum ersten oder zweiten Mal brüten und noch unerfahren sind, haben oft nicht im ersten Anlauf gleich Bruterfolg. Es ist aber einfach auch noch viel zu früh in der Saison, um sagen zu können, wie die Bilanz der ganzen Kolonie am Ende aussehen wird. Wir sind ja gerade erst mitten in der Brutzeit – viele Jungvögel sind noch sehr klein und brauchen noch einige Wochen bis zum Ausfliegen.

Basstölpel spreizen ihre Flügel auf einem Felsen
Elegante Schönheiten: Basstölpel kommen bislang gut mit den klimatischen Veränderungen zurecht.

Das heißt, es könnten sich bis dahin noch mehr Basstölpel durch den engen Kontakt auf den Felsen anstecken und sterben?

Die weitere Entwicklung ist nur sehr schwer einzuschätzen, weil wir nicht wissen, ob wir den Höhepunkt der Infektionswelle schon erreicht haben, oder ob die Infektionszahlen noch steigen und dadurch dann viele weitere Jungvögel sterben. Das werden wir erst in den kommenden Wochen sehen.

Um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern, wäre es sicher wichtig, die Kadaver der toten Vögel zu bergen. Ist das angesichts der Brutplätze in den Klippen überhaupt möglich?

Die Mitarbeiter des Ordnungsamts drehen täglich ihre Runden um die Insel und sammeln die toten Vögel ein, die in Reichweite sind. Die Kadaver werden ans Festland gebracht und als Sondermüll entsorgt. An der Klippe direkt können tote Vögel nicht abgesammelt werden, das wäre zu gefährlich. Auch wollen wir die Vögel, die noch brüten, auf keinen Fall stören. Wir wollen, dass die überlebenden Tiere definitiv eine Chance haben, ihren Jungvogel durchzubringen. Deshalb versucht man, das einzusammeln, was vom Klippenrandweg aus erreichbar ist. Der Rest bleibt liegen.

An der Festlandsküste hat die Epidemie in den vergangenen Wochen hauptsächlich verschiedene Seeschwalbenarten, allen voran Brandseeschwalben, getroffen. Wie alle Seevögel brüten sie in Kolonien dicht an dicht auf engem Raum. Sind auf Helgoland weitere Arten betroffen?

Bisher trifft es hier nur Basstölpel. Die anderen Klippenbrüter, also Dreizehenmöwe, Trottellumme, Tordalk und Eissturmvogel, brüten normal, soweit wir das erkennen können. Auch die Großmöwen – Silber- und Heringsmöwe – sind hier bislang nicht betroffen, während im Wattenmeer jetzt auch verstärkt unter diesen Arten Totfunde gibt. Wir haben von mehreren Vogelarten Proben genommen: Graugänse, Brandseeschwalben und Eiderenten waren negativ.

Ein EIssturmvogel, der über eine Basstölpel-Kolonie fliegt
Trotz ihrer Nähe zu den brütenden Basstölpeln sind die Eissturmvögel auf Helgoland bislang nicht vom Vogelgrippe-Virus heimgesucht worden.

Helgoland ist der einzige Ort in Deutschland, an dem Basstölpel brüten. Was bedeutet der Vogelgrippe-Ausbruch für die Zukunft der Art bei uns?

Die Zahlen sind auf jeden Fall alarmierend. Wie schlimm sie sind, können wir noch nicht sagen. Auch die Lebensweise der Vögel macht sie besonders anfällig: Basstölpel werden erst spät geschlechtsreif, und sie legen maximal ein Ei pro Jahr. Sie sind also darauf angewiesen, ein gewisses Alter zu erreichen, um zum Arterhalt beizutragen. Ein Vogel, der mit sieben Jahren stirbt, konnte vielleicht nur ein- oder zweimal erfolgreich brüten. Da ist es schon besorgniserregend, wenn so viele Altvögel sterben. Es gibt ja auch noch andere Gefahren für die Vögel.

Welche wären das?

Schon das Problem des Plastikmülls wirkt sich deutlich auf die Kolonien aus. Die Vögel sammeln auf dem Meer treibende Plastikfäden ein und verweben sie in ihren Nestern, weil sie sie für Algen halten, aus denen sie normalerweise Nester bauen. An diesen Plastikfäden strangulieren sich rund fünf Prozent der Vögel in unserer Kolonie. Und wenn ungefähr fünf Prozent der Altvögel sterben, hat das eben wegen der gerade schon erläuterten Fortpflanzungsstrategie messbare Einflüsse auf den Bestand hier. Jetzt kommt die Vogelgrippe noch hinzu. Das wird dann schon schwierig.

Eine Dreizehenmöwe wendet in ihrem Nest in den Klippen ein Ei ihres Geleges.
Andere Vogelarten, wie hier eine Dreizehenmöwe, sind bislang nicht vom Ausbruch der Vogelgrippe auf Helgoland betroffen.

Machen Sie sich Sorgen um das Überleben der Art bei uns?

Dass es schlecht aussieht, ist klar. Aber, um zu sagen, wie schlecht und ob die Lage schon richtig kritisch ist – um das zu sagen, muss man noch ein paar Wochen warten bis die Brutsaison beendet ist. Ob wir im nächsten Jahr dann nur noch 500 statt 1500 Paare haben, das kann man jetzt noch nicht einschätzen. Für mich ist noch nicht greifbar, wohin der Weg führt.

Gibt es etwas, das ihnen Hoffnung macht?

Vielleicht helfen die in den vergangenen Jahren geschlüpften Vögel, die noch zu jung zum brüten sind. Sie sind jetzt nicht auf Helgoland und kehren hoffentlich zurück, wenn die Epidemie vorbei ist.

VGWort Pixel