Ein gezähmter Fluss wird wieder wild

Am Tiroler Lech kann man erleben, wie Renaturierung gelingt. Reportage von Sonja Bettel, 360°-Panorama-Tour von Thomas Bredenfeld.

vom Recherche-Kollektiv Flussreporter:
35 Minuten
Fluss Tiroler Lech aus dem Flugzeug fotografiert. Schotterbänke und türkises Wasser.

Im Herbst 1985 wurde Peter Hanisch, damals junger Mitarbeiter des Wiener Zivilingenieurbüros Zottl & Erber, an den Tiroler Lech geschickt. Er sollte dort im Auftrag der Wasserbau-Verwaltung Vermessungsarbeiten durchführen, die klären sollten, ob und wie der Fluss weiter reguliert, also mit Uferbefestigungen und Querstufen an der Sohle verbaut werden sollte.

Etwa ein dreiviertel Jahr davor hatte Peter Hanisch sein Studium der Kulturtechnik und Wasserwirtschaft an der Universität für Bodenkultur in Wien abgeschlossen. Viel hatte er während des Studiums gelernt. Doch was er im Außerfern, dem nordwestlichsten Teil des österreichischen Bundeslandes Tirol sah, war ihm in all den Jahren an der Uni nicht untergekommen: Ein hochdynamischer Fluss, der große Schotterbänke anlagert und wieder abträgt und bei Hochwasser stellenweise fast das ganze Tal ausfüllt.

Drei Wochen lang sprang Peter Hanisch auf mächtigen Schotterbänken hin und her, zwischen denen bei trockenem Wetter türkisblaues, nach starkem Regen graubraunes Wasser in sich verzweigenden Armen floss, streifte durch die Aue und erfuhr dabei sehr viel über den Lech. „Man muss einem Fluss zuschauen und zuhören, damit man versteht, was passiert“, ist sein Credo, das er damals gelernt hat.

Fluss Tiroler Lech mit türkisfarbenem Wasser und Schotter mit Bergen im Hintergrund.
Das Bett des Tiroler Lech ist an manchen Stellen fast so breit wie das Tal.
Links Bäume und Schotterbank, rechts Fluss, hinten ein Berg.
Der Tiroler Lech, hier auf der Strecke zwischen Holzgau und Häselgehr, führt aus den Bergen viel Schotter mit.
Gebirgsbach mit steiler Schlucht, Felsen und Wald.
Der Streimbach ist einer der Zuflüsse des Lech, die viel Geschiebe liefern und deshalb in den 1960er Jahren mit einer Geschiebesperre verbaut wurden.
Brücke vom Flussufer aus gesehen mit Schotterbank.
Bei der Johannesbrücke hatte sich der Lech schon fast unter die Gründung gegraben. Die alte Brücke hatte nur die Breite von zwei Pfeilern und wurde für die Aufweitung des Lech (im Vordergrund) verlängert.
Ein Fisch der Art Koppe mit offenem Maul im Fluss auf Kiesgrund.
Die Koppe lebt vorwiegend auf steinigem Grund und benötigt eine hohe Sauerstoffkonzentration und niedrige Wassertemperaturen.
Uferbereich des Tiroler Lech mit Weidenbüschen und der Pflanze Deutsche Tamariske.
Auf Bereichen mit angeschwemmtem Kies und Sand, die länger trocken bleiben, wachsen Weiden und die Deutsche Tamariske (im Vordergrund).
Gelbe Blumen im Wald.
Der Frauenschuh ist eine besonders gefährdete Orchideenart.
Seitenarm des Flusses mit Schotterbank, Totholz, Gräsern und Sträuchern.
Vielfältige Strukturen und große Dynamik machen den Lech zu einem wertvollen Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten.
Stausee in schöner Alpenlandschaft.
Der Spullersee in Vorarlberg ist ein Stausee der ÖBB, der zur Erzeugung von Bahnstrom dient. Hier im Quellgebiet des Lech sollte noch mehr Wasser gestaut werden, das dann aber dem Lech gefehlt hätte.
Schotter in verschiedenen Farben und Größen im Flussbett.
Der bunte Schotter im Lech zeigt die Vielfalt des Einzugsgebietes des Lech.
Plan des Tiroler Lech mit eingezeichneten Bauwerken.
Plan der Aufweitung des Lech an der Johannesbrücke bei Weißenbach. Gelb eingezeichnet sind Buhnen und Leitwerke, die abgebrochen wurden, rote wurden neu gebaut, rot umrandet ist Bestand. Rechts rot sind zwei Inseln für bestehende Strommasten.
Große Schotterfläche mit Totholz, dahinter die Brücke.
Durch die Aufweitung des Tiroler Lech an der Johannesbrücke kann Totholz ungehindert abfließen und bleibt beim Sinken des Durchflusses auf den Schotterbänken liegen.
Fluss mit gewundenem Umgehungsarm aus der Luft.
Die Geschiebedosieranlage am Tiroler Lech. Der rechte, gewundene Teil ist der neue Flussarm, im linken geraden Teil bleibt bei Hochwasser das Geschiebe liegen und kann später herausgebaggert werden.
Betonierter Durchlass am Fluss, der Wasser und Schotter-Zufluss reguliert.
Der Durchlass der Geschiebedosieranlage am Tiroler Lech bei Höfen.
eine Gruppe von Hummern im Wasser [AI]
Steinkrebse sollen am Lech in Tirol wieder angesiedelt werden. Sie werden von Beständen am Lech in Bayern stammen und an der Universität Innsbruck gezüchtet.
Schotterbank mit braun-weißem Vogel.
Der Flussregenpfeifer braucht ungestörte Schotterbänke für die Eiablage.
Wanderweg am Fluss, Wald, Berg
Der 125 Kilometer lange Lechweg ist ein beliebter Wanderweg, an dem man den wilden Alpenfluss und das Tal hautnah erleben kann.

Wir danken Werner Gamerith und Charly Winkler für die Fotos, die sie uns zur Verfügung gestellt haben, und Peter Hanisch und Wolfgang Klien für ihre Geduld bei der Beantwortung fachlicher Fragen.

Die Recherche vor Ort und das Interview mit Toni Knittel und Margit Knittel erfolgte im Rahmen der Wissenschaftskonferenz „Forum Alpinum“ in Reutte Anfang Juni 2018. Das Lied „D’r Bluatschink“ durften wir mit freundlicher Genehmigung der Gruppe „Bluatschink“ verlinken.

Dank auch an Thomas Bredenfeld, der die interaktive 360 Grad Panorama-Tour des Tiroler Lech mit großem Einsatz fotografiert, programmiert und gestaltet hat.

Dieser multimediale Beitrag wurde durch eine Förderung der Alfred-Toepfer-Stiftung F. V. S. unterstützt.

Fotograf mit Stativ steht auf Schotterbank und fotografiert.
Thomas Bredenfeld bei der Aufnahme der 360 Grad Panoramen am Tiroler Lech.