Ampel gegen Rebhuhn 2:0

Der Landwirtschaftsminister bricht sein Versprechen, ökologische Mindeststandards in der Agrarförderung durchzusetzen. Auf Druck des Kanzlers, heißt es. Doch das entschuldigt diese verheerende Entscheidung nicht. Ein Kommentar

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Özdemir mit einem Plakat „Biostrategie“ in der Hand

Landwirte müssen auch in Deutschland in diesem Jahr keine Überlebensinseln für die Artenvielfalt schaffen, um in den Genuss von Subventionen aus Steuermitteln zu kommen. Das hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir am Donnerstag bekannt gegeben. Der Grünen-Politiker schlägt sich damit auf die Seite der EU-Kommission, die es den Mitgliedstaaten freigestellt hatte, die eigentlich zum Schutz der Biodiversität erlassene Pflicht zur „Stilllegung“ von mindestens vier Prozent der Ackerflächen pro Betrieb auszusetzen.

Mit seiner Entscheidung verzichtet der Grünen-Politiker auf das wichtigste Instrument, um die Biodiversität in der Agrarlandschaft zu beleben. Stattdessen versetzt er der ohnehin am Boden liegenden Natur in Deutschland einen weiteren schweren Schlag.

Die Brachenregelung ist eine von wenigen Bestimmungen in der europäischen Agrarpolitik, die Subventionen aus Steuergeld an ökologische Maßnahmen knüpft.

Wissenschaftler halten bereits einen Brachen-Anteil von vier Prozent für kaum ausreichend, um die biologische Vielfalt in der sogenannten „Normallandschaft“ außerhalb von Schutzgebieten zu erhalten. Das aber ist die Voraussetzung dafür, dass die Agrarökosysteme funktionieren und ihre sogenannten Ökosystemleistungen erbringen können: beispielsweise die Bestäubung von Nutzpflanzen durch Insekten, die Speicherung von Wasser und Kohlenstoff im Boden und den Schutz der Ackerkrume vor Erosion.

Eine Gruppe Rebhühner sitzt in einer blütenreichen Wiese
Rebhühner brauchen zum Überleben deckungs- und insektenreiche Wiesen oder Brachen

Die Entscheidung Özdemirs ist aber nicht nur aus ökologischen Gründen fatal. Sie ist politisch mehr als problematisch, weil sie den zunehmend radikalisierten Protest immer extremistischer agierender Landwirte weiter anspornen wird; sie ist katastrophal für die politische Glaubwürdigkeit der Grünen, nachdem Özdemir nach der Aussetzung der Regel im vergangenen Jahr pathetisch sein Wort darauf gegeben hatte, dass dies eine Ausnahme bleiben werde – und sie ist macht fassungslos, weil sie offenkundig gegen besseres Wissen erfolgt.

"Die Landwirtschaft hängt wie kein anderer Sektor ab von intakten Ressourcen, von stabilem Klima, gesunden Böden und reicher Artenvielfalt“: Das sagte vor wenigen Tagen Özdemir zur Verabschiedung des Renaturierungsgesetzes auf europäischer Ebene. Und er setzte hinzu: „Wer Ernährungssicherung ernst meint, schützt das, was uns gute Ernten beschert – nämlich unsere natürlichen Grundlagen.“ Mit seinem Ja zur neuerlichen Aussetzung der Brachenregelung tut Özdemir nun das exakte Gegenteil.

Kein vernünftiger Naturschützer, keine pragmatische Naturschützerin würde sich einem Kompromiss verschließen, der wieder einmal auch Zugeständnisse beinhalten würde, die angesichts des Insekten-, Vogel- und Wildpflanzenaussterbens auf dem Lande eigentlich nicht zumutbar sind.

Eine bunt blühende Wiese
Blühflächen und Brachen sind die wichtigsten Überlebensinseln für die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft.

Man kann zugunsten Özdemirs einwenden, dass sich die politische Lage in den vergangenen Monaten dramatisch zu Ungunsten des Naturschutzes entwickelt hat und dass es schwer ist, in dieser Lage Naturschutz auf dem Acker durchzusetzen.

In der Tat: Kein vernünftiger Naturschützer, keine pragmatische Naturschützerin würde sich einem Kompromiss verschließen, der wieder einmal auch Zugeständnisse beinhalten würde, die angesichts des Insekten-, Vogel- und Wildpflanzenaussterbens auf dem Lande eigentlich nicht zumutbar sind. Özdemir selbst hat einen solchen schmerzlichen Kompromiss mit Umweltministerin Steffi Lemke gefunden. Er lautete: Brachenregelung aussetzen, dafür aber eine bessere Förderung für Biodiversitätsschutz an anderer Stelle. Dazu ließe sich vieles sagen – zum Beispiel, dass es der Biodiversität auf dem ökologischen Schlachtfeld Ackerlandschaft nicht geholfen hätte. Doch nicht einmal dazu kommt es jetzt, weil Özdemir einknickt.

Wenn Özdemir seine eigenen Worte wirklich ernst nehmen würde und die Ernährungssicherheit durch die Öko-Krise wirklich in Gefahr sieht, dann wäre er als Ernährungsminister geradezu verpflichtet, nicht klein beizugeben.

Özdemir, der die Hoffnung auf die Nachfolge von Winfried Kretschmann als Ministerpräsident in Baden-Württemberg offenbar noch nicht aufgegeben hat, ist bereits in den vergangenen Wochen mit einer extremen Appeasement-Politik gegenüber den Protesten der Landwirte aufgefallen.

Er machte bis an die Grenze der Illoyalität gegenüber der eigenen Regierung Front gegen den Abbau der Agrardiesel-Subventionen und beschwichtigte bis zur Selbsterniedrigung selbst grenzwertige Proteste der Landwirte. Hart an Nötigung grenzendes Verhalten, auch seiner Person gegenüber, redete er als „Klartext“ herunter, den er als ehemaliger Sportler gewohnt sei. Den lästigen, aber auch in allen anderen Berufen üblichen bürokratischen Aufwand skandalisierte er als nicht zumutbar für Landwirte. Und aggressive Grenzüberschreitungen bei Protesten gegen seine Partei schrieb er „Zugereisten“ Nicht-Landwirten zu, die sich Traktoren geliehen haben müssten: Wenn der Grünen-Politiker glaubt, mit solch anbiederischen Verharmlosungen den Konflikt beruhigen zu können, täuscht er sich.

Der Kanzler hat bewiesen, dass er immerhin gegenüber den Ministern und Ministerinnen eines Koalitionspartners noch über genügend Autorität verfügt, um sich durchzusetzen.

Özdemir habe nicht anders gekonnt, weil die FDP auf der Aussetzung der Öko-Regel beharrt und Bundeskanzler Olaf Scholz schließlich entschieden habe, wird jetzt kolportiert. Das stimmt, nach allem, was zu hören ist. Eine Rechtfertigung für das Einknicken in dieser Schlüsselfrage ist es nicht. Denn es geht um zu viel.

Wenn Özdemir seine eigenen Worte ernst nehmen würde und die Ernährungssicherheit durch die Öko-Krise wirklich in Gefahr sieht, dann wäre er als Ernährungsminister geradezu verpflichtet, nicht klein beizugeben. Zumindest hätte er den Konflikt öffentlich machen und dem Kanzler widersprechen müssen.

In der Debatte über Waffen für die Ukraine zeigen Politiker auch seiner Partei, dass Meinungsverschiedenheiten in existentiellen Fragen auch gegenüber dem Kanzler kontrovers ausgetragen werden können, vielleicht sogar müssen. So aber sieht es danach aus, als verstecke sich Özdemir nur allzu gerne hinter einem Machtwort des Kanzlers.

Immerhin einer kann sich am Ende dieser Farce freuen: Olaf Scholz. Der Kanzler hat bewiesen, dass er zumindest gegenüber den Ministern und Ministerinnen eines Koalitionspartners noch über genügend Autorität verfügt, um sich durchzusetzen. Von allen kann er das nicht behaupten, wie das gerade am Widerstand der FDP gescheiterte Lieferkettengesetz gezeigt hat. Allerdings ist dieser Sieg kein Sieg der politischen Stärke, sondern einer der Angst. Wie schon beim Agrardiesel-Rückzieher kuscht die Ampel erneut eingeschüchtert vor den Lobbyisten einer überkommenen Industrie-Landwirtschaft.

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