Ötztaler Ache wird durch Kraftwerksbau stark verändert
In der Tiroler Gemeinde Umhausen sind die Eingriffe schon deutlich sichtbar, doch die Naturschützer kämpfen weiter.
von Sonja BettelAm Kraftwerk Tumpen-Habichen im Tiroler Ötztal wird eifrig gebaut, wie unsere Lokalaugenscheine Mitte August 2020 und Mitte Jänner 2021 zeigen. Und das, obwohl noch gerichtliche Entscheidungen zu diesem Kraftwerksbau ausständig sind, kritisiert der Verein „WET – Wildwasser erhalten Tirol“. Unsere Aufnahmen zeigen, dass die Fluss-Landschaft der Ötztaler Ache an der Kraftwerksstrecke zwischen Tumpen und Habichen bereits stark verändert wird.
Anfang März 2020, als die Corona-Pandemie in Tirol so richtig los ging und eine allgemeine Ausgangssperre herrschte, wunderten sich Bewohner des Tiroler Ötztals über die auffahrenden Baumaschinen der örtlichen Baufirma, die gleichzeitig Teil der Betreibergesellschaft Ötztaler Wasserkraft GmbH ist. Mit Baggern wurde die Wiese zwischen der Siedlung Habichen und der Ötztaler Ache aufgerissen, Bauarbeiter schichteten Steine auf, hoben Gruben aus und betonierten die Fundamente für eine Baubrücke.
Neun Jahre Widerstand gegen das Kraftwerk
Seit neun Jahren wehren sich die Naturschutzorganisation WWF Österreich, die örtliche „Bürgerinitiative gegen Wasserstau Tumpen“ und seit einer Weile auch der Verein WET mit allen verfügbaren Rechtsmitteln gegen den Bau eines Wasserkraftwerkes an der Ötztaler Ache zwischen den Weilern Tumpen und Habichen in der Gemeinde Umhausen, bekannt durch die Gletschermumie „Ötzi“. Dabei seien die Beschwerden der Kraftwerksgegner noch beim Landesverwaltungsgericht Tirol und beim Verwaltungsgerichtshof anhängig, sagte Gerhard Egger, Leiter der Gewässerschutzabteilung des WWF, damals. Nach Ansicht des WWF dürfte deshalb nicht gebaut werden, weshalb die zuständigen Behörden des Landes informiert wurden. Diese verhängten jedoch keinen Baustopp.
Das Kraftwerksprojekt wird bekämpft, weil es aus Sicht des Naturschutzes massive Bedenken dagegen gibt. Die Ötztaler Ache war bisher unverbaut und eines der wenigen Gewässersysteme in Tirol, das noch nicht energiewirtschaftlich genutzt wurde. Auch die Tiroler Umweltanwaltschaft sprach sich gegen das Projekt aus. Die Ausleitungsstrecke des geplanten Kraftwerkes ist im „Naturschutzplan Fließgewässer Tirol“ als sehr erhaltenswürdig, einzigartig und empfindlich eingestuft und würde durch das Kraftwerk dauerhaft beeinträchtigt, so der Umweltanwalt in seiner Stellungnahme im wasserrechtlichen Verfahren.
Kraftwerksleistung knapp unter der UVP-Pflicht
Laut der Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Union dürfen der ökologische und der chemische Zustand eines Gewässers nicht durch neue Projekte verschlechtert werden. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung der Landesregierung braucht das Kraftwerk Tumpen-Habichen aber nicht, weil diese in Österreich bei Wasserkraftwerken erst ab einer Engpassleistung von mindestens 15 Megawatt notwendig ist und diese beim Kraftwerk Tumpen-Habichen nur 14,48 MW betragen soll.
Trotz der Bedenken seitens des Naturschutzes hat die Tiroler Landesregierung das Kraftwerksprojekt genehmigt, weil es als Stromerzeuger mit erneuerbarer Energie im „überwiegenden öffentlichen Interesse“ stehe. Das öffentliche Interesse am Erleben intakter Landschaft, dem Schutz der Natur, der Freizeitgestaltung oder Erholung muss in solchen Fällen stets zurückstecken.
Angst vor Erdlöchern und Muren
Bewohner von Habichen, deren Häuser unmittelbar neben der Baustelle für das Ausleitungsrohr stehen, fürchten außerdem um ihre Sicherheit. Denn der Untergrund besteht in diesem Gebiet aus großen Felsblöcken mit Hohlräumen dazwischen, wie man im Wald an der Kajakstrecke „Wellerbrücke“ in Habichen auch an der Oberfläche sehen kann.
In der Vergangenheit ist es deshalb bei Bauarbeiten im Weiler Habichen zu sogenannten Erdfällen gekommen. Dabei sind plötzlich große Löcher im Boden entstanden, die mit großen Mengen Material aufgefüllt werden mussten.
Dort, wo das Stau- und Einlaufbecken für das Kraftwerk gebaut wird, bei der Mündung des Acherbaches, gibt es immer wieder größere Murenabgänge. Wenn bei einer Mure Felsen und Schlamm das Staubecken verschütten, könnte das eine gefährliche Flut auslösen, ist eine weitere Befürchtung der Bevölkerung.
Jedes Kraftwerk hat Auswirkungen auf ein Flussnetzwerk
Für den Bau des Staubeckens wurde an dieser Stelle bereits der Baum- und Strauchbewuchs entlang der Ötztaler Ache großteils gerodet und der Flusslauf verändert. Für die Tiere und Pflanzen an und in der Ache wird der Lebensraum jedenfalls lokal, wohl aber auch überregional beeinträchtigt werden. Denn jedes Kraftwerk habe Auswirkungen auf das Gewässernetzwerk, erklärte der Gewässerökologe Gabriel Singer von der Universität Innsbruck im Oktober 2020 in einem Gespräch mit Flussreporter.
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Sedimentfahnen um Mitternacht
Anfang Dezember 2020 hat die Staatsanwaltschaft Innsbruck wegen einer gefährlichen Verschmutzung der Ötztaler Ache Ermittlungen aufgenommen. Trübes Wasser und große Mengen an Sedimenten im Bach über viele Wochen hatten Experten des Tiroler Fischereiverbandes auf den Plan gerufen. Die Schmutzwasserfahne war bis in den Inn unterhalb von Innsbruck zu sehen. Auffällig war, dass die Verschmutzung immer kurz vor Mitternacht auftrat. Daten zu Häufigkeit und Dauer der Verschmutzung lieferte die Schwebstoffmessstelle Tumpen des hydrographischen Dienstes Tirol.
Die Nachforschungen des Fischereiverbandes ergaben, dass der Verursacher der Verschmutzung ein Schotterwerk oberhalb von Tumpen gewesen sein dürfte, weshalb die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erfolgte.
In der Forellenlaichzeit, die im Oktober beginnt, kann die Einleitung von Schmutzwasser in ein Gewässer massive Schäden anrichten. Das Sediment verklebt die Laichgruben der Forellen und die darin abgelegten Fischeier sterben ab.
Als die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen begann, stoppte das Auftreten der Verschmutzung plötzlich, beobachteten die Fischer.
Der Fall hat vermutlich nichts mit dem Kraftwerksbau zu tun. Er zeigt aber, wie schnell Eingriffe in ein Flusssystem für die Lebewesen im Gewässer gefährlich sein können.
Sonja Bettel
Sonja Bettel ist freie Wissenschaftsjournalistin und interessiert sich für große und kleine Vorgänge in der Natur.
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