Der Umbau der Städte

Kommunen fordern in Glasgow mehr Geld für Klimaschutz

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Eine Teerstraße in Hamburg Ottensen bei Herbstwetter. Links und hinten sieht man Altbauten. Rechts im Vordergrund steht ein Anhänger mit Baumaterial. Man erkennt Spatenstiele, Wasserwaagen und Metallstangen. Im Hintergrund arbeitet ein kleiner Bagger hinter einem Sandhaufen.

Städte und Kommunen sitzen bei Klimaverhandlungen am Katzentisch. Dabei setzen sie Klimaschutzmaßnahmen des Pariser Vertrages vor Ort um. Sie fordern darum mehr Mitsprache und vor allem mehr Geld.

Im Hamburger Stadtteil Ottensen geht seit Monaten gar nichts mehr – wenn man einen Parkplatz sucht. Die Stadt will Autofahrer vergrämen und zugleich Anreize für andere Verkehrsteilnehmer bieten: bessere Fahrradwege, so genannte Velorouten quer durch die Stadt und breite Bordsteine voller Fahrradständer. Ganze Straßen sind Baustellen und fallen als Parkplatz weg. Eine Zeitlang, im Winter 2019/20 gab es auch einen Testlauf für autofreie Straßen im Zentrum des Viertels. Ein Großteil der Anwohner fand das super, aber einige Geschäftsleute drohten mit Klagen. Das Experiment wurde vorübergehend auf Eis gelegt. Eins ist klar: Der Umbau zur klimafreundlichen Stadt ist gar nicht so einfach – für alle Beteiligten.

Klar ist aber auch: Auf der Klimakonferenz in Glasgow diskutieren die großen Akteure über die Ausgestaltung der internationalen Verträge. Doch umgesetzt wird der klimafreundliche Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft an der Basis: in den Städten und Kommunen weltweit. Die Local Governments and Municipal Authorities Constituency (LGMA) vertritt sie bei den Vertragsstaatenkonferenzen (den „COPs“), sitzt aber nicht mit am Verhandlungstisch.

Zahlreiche Vereinigungen kommunaler Akteure sind in Glasgow vertreten, um Erfahrungen auszutauschen, Best-Practice-Beispiele vorzustellen und ihre Interessen zu bündeln. LGMA, ICLEI, Energy Cities, C40, GCoM – viele Initiativen mit langen Namen und kryptischen Abkürzungen beraten sich, und es ist schwierig, den Überblick über die beteiligten Verbände zu behalten.

Städte und Kommunen setzen die meisten Klimaschutzziele um

Heidelbergs Oberbürgermeister Eckart Würzner hat Durchblick, denn er ist ein alter Hase beim Klimaschutz – er war einst Umweltbürgermeister und ist seit langem an vielen kommunalen Bündnissen beteiligt. Die Stadt Heidelberg hat in Deutschland das erste kommunale Klimaschutzkonzept auf den Weg gebracht und ist Mitglied in der kommunalen Umweltinitiative Local Governments for Sustainability – ICLEI. Dieses ist das nach eigenen Angaben weltweit größte Netzwerk seiner Art mit mehr als 2500 Lokal- und Regionalregierungen aus mehr als 125 Ländern, die sich der nachhaltigen Entwicklung verschrieben haben.

Energy Cities, in dem mehr als 1000 Städte vertreten sind. Es bildet zusammen mit dem „Konvent der Bürgermeister“, den C40-Städten und weiteren Initiativen den „Internationalen Konvent der Bürgermeister für Klima und Energie“ (Global Covenant of Mayors – GCoM). Würzner ist einer von zehn Mitgliedern im Vorstand von GCoM, denn Heidelberg gehört ebenso wie Berlin, Hongkong, Quito, Accra, Moskau oder Peking zu den fast 100 Metropolen der C40-Gruppe, die seit 2005 im Klimaschutz vorangehen wollen.

Eine Milliarde Menschen weltweit leben in Kommunen, die zum GCoM gehören. Ihre Bürgermeister:innen setzen auf lokaler Ebene die Nationally Determined Contributions (NDCs) um, die selbstgesetzten Klimaziele der Vertragsstaaten von Paris. In großer Mehrzahl haben Städte und Kommunen des Bündnisses die Selbstverpflichtungen ihrer Staaten auf lokaler Ebene schon übererfüllt.

Ein orangefarbener mittelgroßer Schaufelbagger fährt hinter einem Schild vorbei. Die Tafel beschreibt den Baufortschritt der Veloroute Hamburg. Auf einem gelben Papier steht: Ausbau Veloroute 1 Ottensen. Unten steht in rot und blau: Wir bauen Hamburg – zusammen. Das Schild ist mit Graffiti beschmiert.
In Hamburg werden mehrere große Velorouten durch die Stadt eingerichtet, um Radfahren attraktiver zu machen.

Donnerstag in Glasgow und weltweit: Beim Treffen der GCoM-Mitglieder begrüßt Würzner per Zoom seine meist ebenfalls virtuell anwesenden Kolleg:innen aus aller Welt und berichtet von seiner Arbeit:

Heidelberg kann wohl als Leuchtturm der nachhaltigen Stadt-Entwicklung gelten. Bis spätestens 2050 will die Stadt die CO2-Emissionen um 95 Prozent und den Energiebedarf um die Hälfte senken.* Seit zwölf Jahren werden im Neubaugebiet Bahnstadt Wohnhäuser und öffentliche Gebäude wie Schulen, Kitas, Feuerwachen im Passivhausstandard gebaut und zu 100 Prozent durch Ökostrom versorgt. Dank klimafreundlicher Verkehrsinfrastruktur nutzen nur noch 20 Prozent der Bürger:innen innerstädtisch ausschließlich Autos. 80 Prozent fahren vor allem Rad, gehen zu Fuß oder nutzen den ÖPNV.

*(Anmerkung: Aus technischen Gründen kann im Text die „2" in „CO2" nicht tiefergestellt werden, wie es wissenschaftlich korrekt wäre).

Würzner betont, wie wichtig es ist, dass die Kommunen wichtige Infrastruktur wie Nahverkehr und Energieversorgung besitzen und nicht nur die Dienstleistungen solcher Firmen bezahlen. Dann kann die Transformation nämlich sehr schnell gehen. Der Heidelberger OB selbst ist Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke. Umweltbürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain ist Mitglied im Aufsichtsrat bei den Verkehrsbetrieben. Sie können so direkten Einfluss auf Energiegewinnung und Ausbau der nachhaltigen Mobilität nehmen.

Ein Markt im kenianische Dorf Siaya. Eine Frau sitzt auf einem beigefarbenen Plastiksack. Sie trägt ein geblümtes Kleid und ein braunes Kopftuch. Vorn liegt ein Stapel Holzkohle auf dem Boden, daneben stehen zwei Plastikeimer voller Kohle.
Bei der Energieversorgung in Kenia wartet noch viel Arbeit Eine Frau verkauft Holzkohle auf einem Markt im Dorf Siaya. Die meisten Menschen sind auf Holz und Kohle angewiesen, um Essen zu kochen und Wasser zu desinfizieren.

Die Forderungen der Städte

Die Städte sind mit Forderungen an die verhandelnden Delegationen und Staatsoberhäupter nach Glasgow gekommen: Die Kommunen wünschen sich mehr Zusammenarbeit der nationalen Regierungen mit der regionalen und lokalen Ebene (das heißt in der Fachsprache der Klimaverhandlungen: Multilevel Action). Die Präambel des Pariser Abkommens unterstreicht immerhin die Rolle der Kommunen bei der Umsetzung der NDCs.

Diese Aufgabe zu erfüllen, ist nicht immer leicht, beklagen die Kommunen. Laut einem ICLEI-Bericht meldet eine von drei Städten, dass die Umsetzung ihrer Klimaschutzmaßnahmen von anderen Regierungsebenen beeinflusst, und oft behindert wird. „Wir müssen politischer werden, “ sagt Würzner. Die Städte säßen bei den Verhandlungen noch am Katzentisch, als Nicht-Regierungs-Organisation (NGO). „Das sollte sich ändern, denn die Bürgermeister:innen sind nah dran an den Menschen. Sie wissen, wo der Schuh drückt und welche Maßnahmen vor Ort adäquat sind.“

Die Aufgaben sind riesig

Mehr Mitsprache wollen sie, aber auch mehr Geld. Nach Ansicht der Kommunen wird noch viel zu wenig davon für Klimaschutz bereitgestellt. Denn die Aufgaben der kommunalen Akteure sind riesig: Um den Klimawandel zu bremsen und Treibhausgase zu reduzieren (Fachbegriff: Mitigation), müssen unter anderem Verkehrsinfrastruktur und Energieversorgung angepasst werden. Millionen öffentliche Gebäude, Mehr- und Einfamilienhäuser sollten energetisch saniert werden. Kreislaufwirtschaft ist nötig, um die Müllberge kleiner zu machen, wertvolle Rohstoffe zu recyclen, Gegenstände im häufigen Gebrauch reparieren zu können.

Städte müssen sich zudem an die Klimaveränderungen anpassen (Fachbegriff: Adaptation), um die Menschen vor extremer Hitze und Überschwemmungen zu schützen. Weltweit sind fast alle Gemeinden schon jetzt von den Folgen betroffen. Allein die Partnerkommunen des Global Covenant of Mayors melden hunderte Hochrisikoereignisse. 315 Millionen Bewohner:innen haben mit Waldbränden, Krankheiten, Überschwemmungen, Trinkwasserknappheit, extremer Hitze, Stürmen oder Erdrutschen zu tun. Im globalen Süden fliehen immer mehr Menschen vor Klimawandelfolgen in die Städte, die informellen Siedlungen wachsen darum rasant. Es ist eine riesige Herausforderung, die zukünftigen Megacities klimafreundlich zu gestalten. Würzner sagt: „Schneller Zugang zu Fördermitteln ist nötig und möglich, ein gutes Beispiel ist der Green Deal in Europa.“

In einer Vorstadtsiedlung in Nairobi stehen Wellblechhütten. Man sieht nur ihre Dächer, die fast alle rostrot sind. Dazwischen schauen ab und zu kleine grüne Bäume hervor.
Ein informelle Siedlung in Nairobi. Das rasche Städtewachstum stellt hohe Anforderungen an den Klimaschutz.

Und was passiert beim Klimaschutz, wenn die Staaten nicht schnell genug voranschreiten? Das ist eigentlich keine Option, sagt Kata Tutto. Die stellvertretende Bürgermeisterin von Budapest ist in der Hauptstadt von Ungarn verantwortlich für grüne Infrastruktur, Wasserversorgung und Nahverkehr. Sie spricht zudem für den „Europäischen Ausschuss der Regionen“, der die Interessen der Regionen und Städte in der EU vertritt. „Die EU hat sich Klimaziele gesetzt, “ sagt sie. „Die Städte setzen davon 70 Prozent um, bei der Klimaanpassung sogar 90 Prozent. Städte und Bürger müssen an Bord sein, sonst passiert nichts. Und wenn mal ein Land aus der EU-Klimapolitik aussteigt, dann hat man immer noch die Städte, die weitermachen.“

Schon auf der Klimakonferenz in Bonn 2017 hatten US-Städte deutlich gemacht, dass sie den geplanten Ausstieg der Trump-Regierung aus dem Pariser Klimaabkommen nicht mitmachen würden. Unter dem Motto: „We are still in“ organisierten sie Veranstaltungen in einem alternativen Pavillon, dem US-Climate Action Center.

Der Einsatz für Klimaschutz ist oft frustrierend

Aus Sicht der Städte ist vor allem die überraschend verkündete Vereinbarung der USA und China für mehr Klimaschutz ein wichtiges Ergebnis in Glasgow, ebenso die Initiative von Autokonzernen, Regierungen und Städten zum Ausstieg aus der Verbrennungsmotor-Technologie bis 2040. Dass Deutschland sich dieser Initiative nicht angeschlossen hat, kritisiert Würzner. Der „Effizienzweg“ sei auch für Deutschland eine wirtschaftliche Perspektive.

Die internationalen Treffen wie in Glasgow sind aber nicht nur auf politischer Ebene wichtig für die Kommunen. Die Vernetzung untereinander ist ebenso ein zentraler Zweck, auch wenn sie wie diesmal per Videochat stattfindet. Es oft anstrengend, beim Klimaschutz voranzugehen. „Wir sind so eine Art Fridays for Future of Mayors,“ erklärt Würzner. „Wenn man erkennt, dass es viele gibt weltweit, dann fördert es den Mut, weiterzumachen. Das gilt besonders für wirtschaftlich schwächere Regionen, für die es noch viel schwerer ist.“ Nach Vertragsstaatenkonferenzen wie jetzt in Glasgow treten immer viele neue Kommunen den internationalen Bündnissen bei.

Würzner macht seinen Kolleg:innen Mut: „In Heidelberg gibt es eine große Akzeptanz der Bürger und Bürgerinnen, in einer zukunftsfähigen Stadt zu leben.“ Und so werden vielleicht auch die Besucher und Bewohnerinnen von Hamburg-Ottensen eines Tages ihre verbleibenden SUVs und anderen Autos abschaffen und mit Leih-Lastenfahrrädern ohne Emissionen durch stille, begrünte, fast autofreie Straßen rollen.

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