Neue Euro-Banknoten: Bunte Vögel und lebendige Landschaften statt dröger Türen und Fenster?

Die Europäische Zentralbank gestaltet die Euro-Geldscheine neu. Zu den Vorschlägen einer Expertengruppe gehören Vogelmotive – von der Feldlerche bis zum Wiedehopf. Bis 31. August kann jeder mit abstimmen.

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
8 Minuten
Eurogeldscheine verschiedener Werte auf dem Boden liegend.

Als die Kunstprofessorin Marija Marcelionytė-Paliukė im Herbst 2021 einen Anruf von der Zentralbank ihres Heimatlandes Litauen bekam, war sie zunächst sehr überrascht. Was könnten die Hüter des Geldes von ihr wollen? Kurz nachdem sie erfahren hatte, worum es ging, hatte sie eine Eingebung: Sie wird es zu ihrer Mission machen, dass auf den Euro-Geldscheinen der Zukunft einige der schönsten, typischsten und am stärksten bedrohten Vogelarten Europas abgebildet sind.

Die Mitarbeiter der litauischen Zentralbank suchten jemanden, der das Land in einem neuen Expertengremium der Europäischen Zentralbank (EZB) vertritt. Die „Thematic Advisory Group“ (TAG) sollte einen „Querschnitt unabhängiger, hochrangiger Experten verschiedener Bereichen wie Geschichte, Natur- und Sozialwissenschaften, bildende Kunst und Technologie aus allen Ländern des Euroraums“ zusammenbringen, um Themenvorschläge für eine komplette Neugestaltung der Euro-Geldscheine zu machen. Denn die vertrauten Banknoten mit ihren Fenstern und Türen aus verschiedenen kunstgeschichtlichen Epochen werden in wenigen Jahren verschwinden und durch neue Motive ersetzt. Diese sollen Europa symbolisieren, möglichst viele Menschen ansprechen, zeitlos sein.

„Vögel stehen für Freiheit und das Gefühl, zu etwas Größerem zu gehören“

„Nach 20 Jahren ist es an der Zeit, das Aussehen unserer Banknoten zu überarbeiten, um sie für Europäer jeden Alters und jeder Herkunft attraktiver zu machen“, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde im Dezember 2021. Der ganze Prozess erstreckt sich über fünf Jahre. 2026 wird der EZB-Rat, der aus den sechs Mitglieder des Direktoriums und den Präsidenten der nationalen Zentralbanken des Euroraums besteht, über das finale Design der neuen Geldscheine entscheiden. Den litauischen Zentralbankern gefiel Marcelionytė-Paliukės Idee mit den Vögeln auf den Geldscheinen offenbar – sie nominierten sie als Mitglied der TAG.

Frau mit grauem Haar sitzt lässig vor altem weißem Holzhaus auf den Stufen.
Marija Marcelionytė-Paliukė

Marcelionytė-Paliukė ist keine versierte Vogelbeobachterin, aber sie hat eine enge Beziehung zur Natur. Schon vor längerem ist sie mit ihrer Familie aufs Land gezogen. „In der Natur fühle ich mich am wohlsten und lebendigsten“, sagt sie. Seit ihrer Kindheit habe sie Sommer „in Wäldern, Wiesen und Gärten verbracht und alles erforscht, was sich bewegt und wächst“. Als sie zur Kunstschule ging, zeichnete sie oft Vögel. „Für mich stehen Vögel für Freiheit und das Gefühl, zu etwas Größerem zu gehören“, sagt die Leiterin der Abteilung Grafik an der Akademie der Künste von Vilnius, die auch selbst als Künstlerin arbeitet und bereits in mehr als 130 Ausstellungen gezeigt wurde.

Die heutigen Motive finden viele langweilig

Ermutigt konnte sie sich durch die Ergebnisse einer ersten von insgesamt drei Bürgerbeteiligungen fühlen, die im Prozess vorgesehen sind. Knapp 500 Menschen aus ganz Europa wurden zum Auftakt in sogenannten Fokusgruppen bis Frühjahr 2022 zu ihren Präferenzen befragt. Dabei kam heraus, dass die meisten von ihnen die derzeitigen Motive altmodisch und langweilig finden, und zudem wenig geeignet, die europäische Idee zu symbolisieren. Überraschender Gewinner der Befragung waren Motive aus der Natur wie Landschaften, Flüsse, Pflanzen und Tiere – und speziell Vögel. „Leicht“, „grenzenlos“, „ästhetisch“ und „stimmungsvoll“ waren häufig genannte Attribute. Die Natur könnte zugleich für grenzüberschreitende Einheit wie auch für Vielfalt stehen. Vielen war auch wichtig, gerade auf dem Geld Umweltbewusstsein zum Ausdruck zu bringen.

Das Votum gab Marcelionytė-Paliukė auch in der Expertengruppe Rückenwind. „Ich wurde unterstützt und ermutigt, die Idee für Vögel als Thema weiterzuentwickeln“, erinnert sie sich. Sie stieß auf eine Vielzahl von Botschaften, die Vogelmotive aussenden können. Mit ihrer Hilfe „können wir auf wunderbare Weise grundlegende Themen wie Freiheit, Migration, die Sorge für die Nachkommen, den Schutz der Natur, Lebenszyklen, Traditionen und Kultur vermitteln“, sagt sie. Vögel mit ihrer grenzüberschreitenden Lebensweise seien „Ausdruck gemeinsamer Identität“ und in der europäischen Vogelschutzrichtlinie, der ältesten gemeinsamen Umweltgesetzgebung, erkennt sie ein „hervorragendes Beispiel für die geteilte Verantwortung und Kooperation der Länder Europas“.

Der Weißstorch steht für friedliche Koexistenz

Jetzt mussten konkrete Vorschläge her. „In Europa leben 500 Vogelarten – was für eine zauberhafte Vielfalt von Farben, Federn, Mustern, Körpersilhouetten, Flügelformen und auch von Lebensräumen“, sagt die Künstlerin. Für die Auswahl holte sie sich Unterstützung von Liutauras Raudonikis, dem Vorsitzenden der Ornithologischen Gesellschaft von Litauen, mit dem sie Kandidaten von der 5-Euro- bis zur 200-Euro-Note durchging – und mit dem sie schließlich bei einer Kandidatenliste landete.

Die 5-Euro-Note sollen demnach Feldlerchen zeigen samt der Agrarlandschaften, die die bewohnen, „Symbol für hartes Tagwerk.“ Auf 10-Euro-Scheinen soll der Kuckuck prangen, der „den Sound des Sommers“ liefert, für Glück und Freude stehe. Seeschwalben mit ihrer großräumigen Lebensweise würden auf den 20-Euro-Noten zugleich für Migration stehen und die jährliche Rückkehr in die eigene Gemeinschaft und Familie. Uhu oder Waldohreule auf den 50-Euro-Scheinen stünden für Weisheit, Wissenschaft, Bildung und Nachdenklichkeit. Die friedliche Koexistenz von Mensch und Natur darzustellen, wäre Aufgabe des Weißstorchs auf 100-Euro-Noten.

Brauner Vogel auf Zaunpfahl
Feldlerche
Kuckuck mit strengem Blick im Flug.
Kuckuck
Elternvogel bringt Futter und flattert über Nest im Wasser.
Trauerseeschwalben am Nest.
Nahaufnahme in feuchter Wiese.
Weißstorch
Schlanke Eule mit abstehenden Ohren.
Waldohreule

Das macht zwei Kuckucke, bitte!

Für den höchsten – und am seltensten benutzten – Wert von 200-Euro schlug Marcelionytė-Paliukė die ebenfalls eher seltenen Arten Wiedehopf oder Blauracke vor. Sie malt es sich bereits aus, wie es in Zukunft sein könnte, wenn sie beim Einkaufen nicht den geforderten Preis von 20 Euro genannt bekommt, sondern ein „Kuckuck, Kuckuck“, oder wenn Kinder ein oder zwei „Feldlerchen“ als Taschengeld bekämen. „Klingt das nicht nach einer ansprechenden, hoffnungsfroheren Welt?“, sagt sie.

Hellblauer mittelgroßer Vogel mit elegantem Körperbau sitzt auf einem Ast.
Die Blauracke – in Deutschland ausgestorben, in Europa selten geworden.
Orange-schwarz-weiß gefiederter Vogel mit Schopf.
Wiedehopf

Insgesamt 29 verschiedene Themenvorschläge hat die Expertengruppe der EZB erörtert. Dazu gehörten auch klassische Herangehensweisen, wie etwa wichtige europäische Institutionen, wissenschaftliche Errungenschaften oder Porträts berühmter Europäer. Doch nach mehreren Abstimmungsrunden bekamen gleich drei Natur-Themen die meisten Stimmen.

Designhistorikerin Twemlow sieht Costa Rica als Vorbild

Auf Platz 1 der Liste, die die „TAG“ im September 2022 in ihrem Abschlussbericht vorgelegt hat, steht das Konzept „Europäische Werte, die sich in der Natur widerspiegeln“, bei dem etwa Berge mit ihrer majestätischen Ausstrahlung die Menschenwürde symbolisieren, ein Wald das Prinzip der Gleichheit, eine Blumenwiese auf dem 200-Euro-Schein Vielfalt und Menschenrechte. Auch Vögel kommen darin vor – als Metaphern für Freiheit. Auf dem zweiten Platz steht Marcelionytė-Paliukė Vorschlag „Vögel – frei, resilient und inspirierend“, auf dem vierten Platz „Flüsse – die Lebensadern Europas“. Der EZB-Rat hat diese drei Themen zusammen mit vier weiteren – „Europäische Kultur“, „Die Zukunft gehört dir“, „Hände: Zusammen bauen wir Europa“ und „Unser Europa“ – offiziell angenommen.

Lächelnde Frau in buntem Kleid vor Ziegelwand.
Alice Twemlow

In der Expertengruppe gab es eine zweite Advokatin der Vögel: Die Designhistorikerin Alice Twemlow von der Universität Amsterdam hatte es sich ebenfalls auf die Fahnen geschrieben, Vögel auf die Euro-Banknoten zu bringen.

„Der Verlust der biologischen Vielfalt ist ein wichtiger Faktor in der Klimakrise, die Europa schon dann tiefgreifend verändern wird, wenn die neuen Geldscheine in Umlauf kommen“, sagt sie. Da sei es „eine großartige Gelegenheit, wenn man mit 30 Milliarden Banknoten Bewusstsein schaffen und zum Handeln anregen kann“. Sie findet es besonders wichtig, Vogelarten in ihrem Lebensraum darzustellen. „Wenn man zum Beispiel eine Küstenseeschwalbe nimmt, kann man auch die arktische Tundra zeigen und das Wollgras, das für sie typisch ist.“ Twemlow weist auch auf Vorbilder hin: Unter den alten niederländischen Banknoten seien die 100-Gulden-Scheine mit dem Motiv einer Bekassine sehr beliebt gewesen. Und erst kürzlich habe die Zentralbank von Costa Rica in Zusammenarbeit mit dem nationalen Institut für Biodiversität neue, vollständig wiederverwertbare Geldscheine herausgegeben, die Tiere, Pflanzen und Lebensräume zeigen – darunter die zu den Kolibris gehörende Vulkanelfe vor Hügelland.

Geldscheine mit Kolibri, Hai und Affe auf der Rückseite.
Die 2020 neu herausgegeben Geldscheine von Costa Rica zeigen auf der Rückseite die Biodiversität des Landes.

EZB-Spitze will Schutz der Biodiversität unterstützen

An der Spitze der Zentralbank in Frankfurt werden die Umweltthemen weder als exotisch noch als verspielt ankommen. Unter Leitung der Französin Christine Lagarde hat sich die mächtige Finanzinstitution nicht nur für den Umweltschutz als Teil ihrer Mission geöffnet und dabei Weitblick gezeigt: „Klima und Biodiversität sind zwei Seiten derselben Medaille“, sagte Lagarde schon 2021.

Lagarde, eine Frau mit weißem Haar, unterschreibt mit dickem Stift eine große, an die Wand gehängte Banknote.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde bei der Vorstellung einer neuen 20-Euro-Banknote im Jahr 2019.

Besonderes Engagement zeigt Frank Elderson, Mitglied im Aufsichtsrat der EZB. Nicht nur in Essays und Ansprachen, sondern auch durch konkrete Taten hebt der Niederländer Biodiversität auf die Tagesordnung der Währungshüter. Weil eine intakte Natur die Grundlage allen Wohlstands sei, wie er jüngst schrieb, hat er eine Analyse von mehr als vier Millionen Firmen angeordnet. „Unsere vorläufige Bewertung ergab, dass fast 75 Prozent aller Bankkredite im Euroraum an Unternehmen vergeben werden, die in hohem Maße von mindestens einer Ökosystemleistung abhängig sind“, urteilt er.

Bis 31. August läuft eine europaweite Umfrage

Doch bevor das Führungsgremium der EZB 2026 eine endgültige Entscheidung trifft, steht noch ein längerer Prozess an, in den auch die breite Bevölkerung eingebunden wird. Noch bis 31. August kann jede und jeder, die oder den es interessiert, an einer Meinungsumfrage der Zentralbank teilnehmen und seine Favoriten unter den sechs Themenbereichen auswählen. 2024 soll der EZB-Rat dann das siegreiche Thema auswählen. Anschließend beginnt ein weiterer Wettbewerb zu Design und Motiven. „Wenn sich Vögel als Thema durchsetzen, werden für jede der sechs Banknotenstückelungen verschiedene Vögel ausgewählt“, sagt EZB-Sprecherin Belén Pérez Esteve. Am Ende soll es wieder eine Befragung der Öffentlichkeit geben, bevor die Menschen in Europa dann irgendwann die neuen Geldscheine in Händen halten.

Marija Marcelionytė-Paliukė sieht gute Chancen für ihren Vorschlag. „Europäische Vogelarten und ihre Lebensräume auf den Euro-Banknoten zu zeigen, würde auch eine emotionale Verbindung herstellen und alle Altersgruppen ansprechen“, sagt sie und verbindet eine große Hoffnung mit dem Symbol: „Es geht auch darum, sich um andere zu kümmern, vor allem um die Kleineren, Schwächeren und diejenigen, die am weitesten reisen müssen, um am Leben zu bleiben.“ Alice Twemlow hofft auf einen großen Effekt: „Ich denke, dass der Anblick dieser wunderschönen Tiere und die Tatsache, dass wir ihr Schicksal buchstäblich in den Händen halten, dazu beitragen würde, eine emotionale Bindung aufzubauen und die Menschen dazu zu bringen, ihre zerstörerischen Aktivitäten zumindest zu hinterfragen.“

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