Der Alpensegler: Mit Hochgeschwindigkeit ins Brutgebiet

Ornithologen haben die Flugbewegungen der Alpensegler rund ums Jahr beobachtet und sind auf rätselhafte Verhaltensweisen gestossen

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter: Markus Hofmann
8 Minuten
Ein Alpensegler fliegt mit ausgestreckten Flügeln im Himmel. Dabei zeigt er seinen weissen Bauch und die helle Kehle.

Sie fliegen rasend schnell. Doch dass die Alpensegler so rasch unterwegs sind, hat selbst Christoph Meier, Forscher an der Schweizerischen Vogelwarte Sempach, überrascht. „Oft beobachten wir bei Zugvögeln, dass sie sich auf ihrer Reise irgendwo für eine Weile niederlassen, um für den Weiterflug neue Energiereserven anzufressen“, sagt Meier: „Doch Alpensegler aus der Südtürkei benötigen für den Flug in ihr Überwinterungsgebiet im Südsudan weniger als 58 Stunden. Und dabei fliegen sie einen Umweg über die Arabische Halbinsel. Pro Tag legen sie im Schnitt 840 Kilometer zurück.“ Meier geht daher davon aus, dass die Alpensegler ohne Zwischenstation in ihr Winterquartier fliegen.

Zwar gibt es Zugvögel, die viel weitere Distanzen ohne Zwischenlandung zurücklegen wie etwa die Pfuhlschnepfe. Doch von allen bisher untersuchten Langstreckenziehern weisen die Alpensegler mit knapp einer Woche im Schnitt die kürzeste Zugperiode pro Saison auf.

Alpensegler sind verlässliche Datenlieferanten

Christoph Meier hat dies zusammen mit Kollegen aus Spanien, Bulgarien, der Türkei und den Niederlanden herausgefunden. Das „Journal of Avian Biology“ hat ihre Studie über die Zugwege der Alpensegler veröffentlicht. Die Wissenschaftler rüsteten in den vergangenen Jahren Alpensegler mit Geolokatoren aus. Diese kleinen Geräte sind weniger als ein Gramm schwer und zeichnen die Intensität des Sonnenlichts sowie die Uhrzeit auf. Mit einer Art Rucksack werden die Geolokatoren den Alpenseglern auf den Rücken geschnallt. Aus den Licht- und Zeitdaten lässt sich die Reiseroute der Zugvögel rekonstruieren.

552 Vögel haben die Forscher mit Geolokatoren ausgestattet. Um die Daten auslesen zu können, müssen die Tiere später wieder eingefangen werden. Am Ende der dreijährigen Untersuchungsperiode ist dies bei 215 Alpenseglern gelungen, die aus spanischen, schweizerischen, bulgarischen und türkischen Kolonien stammten. „Das ist eine sehr hohe Erfolgsrate“, sagt Meier: „Normalerweise müssen wir uns mit viel weniger begnügen. Die Alpensegler sind Koloniebrüter und sehr standorttreu, was das Wiedereinsammeln der Geolokatoren erleichtert.“

Ein Alpensegler wird mit einem Geolokator ausgerüstet. Dieser wird dem Vogel mit einer Art Rucksack auf den Rücken geschnallt.
Ein Alpensegler wird mit einem Geolokator ausgerüstet. Dieser misst Lichtintensität und Zeit, was Rückschlüsse auf den Aufenthaltsort des Alpenseglers erlaubt.

Zugute kommt den Ornithologen auch, dass der Alpensegler (Tachymarptis melba) ziemlich weit verbreitet ist. Seine Kolonien bildet er von Nordafrika über das südliche Mitteleuropa bis Indien und Sri Lanka. Zudem kommt er auch südlich der Sahara und auf Madagaskar vor.

In Deutschland ist er allerdings nicht sehr häufig zu sehen. Seit den 1950er Jahren, als er zum ersten Mal kartiert wurde, kommt lediglich die Bevölkerung Süddeutschlands regelmässig in den Genuss seines falkenähnlichen Fluges. In Karlsruhe (Baden-Württemberg) liegen die nördlichsten Brutplätze des Alpenseglers. Der Bestand in Deutschland wird auf 300 bis 350 Brutpaare geschätzt, in der Schweiz, wo sein Anblick keine Seltenheit ist, auf 1800 bis 2300 Brutpaare.

Vorliebe für Sehenswürdigkeiten

Wie der viel häufiger anzutreffende und daher bekanntere Mauersegler hat der Alpensegler seinen ursprünglichen Lebensraum zu grossen Teilen an den Menschen angepasst. Hat er früher vor allem dort gebrütet, wo es steile Felswände gibt, ist er heute sehr oft in den Siedlungen anzutreffen. Kirchtürme oder andere hohe Gebäude bilden sein Ersatz-Gebirge.

Alleine in der Stadt Zürich nisten Alpensegler an rund 100 Standorten. Eine besondere Vorliebe scheinen sie für Sehenswürdigkeiten zu haben: In Zürich besiedeln sie das Wahrzeichen der Stadt: das Grossmünster.

Blick auf die Altstadt von Zürich mit dem Grossmünster. Dort nisten Alpensegler. Hohe Gebäude sind für sie Ersatzfelsen.
Im Hintergrund der ursprüngliche Lebensraum, die Alpen, im Vordergrund der neue Lebensraum, die Stadt. Alpensegler besiedeln gerne hohe Gebäude wie das Grossmünster in der Stadt Zürich.

Vom Mauersegler (Apus apus) unterscheiden sich die Alpensegler vor allem durch die Grösse. Während der Mauersegler eine Spannweite von bis zu 44 Zentimeter erreicht, sind es beim Alpensegler bis zu 60 Zentimeter. Auffällig beim Alpensegler ist zudem der weisse Bauch und die helle Kehle. Auch seine Stimme ist um einiges kräftiger als diejenige des Mauerseglers: Prägt letzterer die Sommermonate mit seinen „srieh-srieh“-Rufen, fügt der Alpensegler auf- und absteigende Triller als zweite Stimme hinzu.

Und es gibt noch einen weiteren deutlichen Unterschied zwischen Mauer- und Alpenseglern: Die Alpensegler halten sich viel länger im Brutgebiet auf. Im Fall der Schweiz verbringen die Mauersegler rund vier Monate hier, während es beim Alpensegler fast sechs Monate sind. Das ist mehr als einen Monat länger, als es für die Aufzucht der Jungen eigentlich nötig wäre. Was machen die Alpensegler so lange im Brutgebiet?

Um diesem Rätsel auf die Spur zu kommen, lohnt es sich, den Jahresablauf eines in der Schweiz brütenden Alpenseglers anzuschauen. Die neue Studie von Meier und seinen Forschungskollegen bringt Licht in einige bisher dunkle Kapitel des Alpensegler-Lebens.

Früher Start in Afrika: eine riskante Strategie

So zeigt sich, dass die Schweizer Alpensegler vor allem in Mali und Guinea überwintern. Einige Tiere ziehen allerdings etwas weiter in den Osten nach Togo und zum Tschadsee. „Wieso diese Vögel dorthin fliegen, wissen wir noch nicht“, sagt Meier. „Sind es immer dieselben Alpensegler, die diese Route in den Osten einschlagen? Oder sind es jüngere Tiere, die die Gruppe verlassen? Sehen wir hier gar eine Veränderung der Zugroute?“ Mit weiteren Studien und Auswertungen der Geolokatoren-Daten hoffen die Ornithologen, Antworten zu finden.

Klar ist aber, dass die Schweizer Alpensegler im Vergleich zu ihren Artgenossen in Spanien, Bulgarien und der Türkei ziemlich früh im Jahr starten, um in die nördlichen Brutgebiete zu gelangen. „In der Schweiz kommen die Alpensegler bereits im April an, oft in einer Zeit, in der es noch sehr kalt sein kann“, sagt Meier: „Für einen Vogel, der sich ausschliesslich in der Luft von Insekten und Spinnentieren ernährt, ist das eine riskante Strategie. Denn diese Nahrung ist vor allem in der warmen Jahreszeit verfügbar.“

Doch Alpensegler können südlich der Sahelzone kaum abschätzen, wie das Wetter in der Schweiz zum Zeitpunkt ihrer Ankunft sein wird. „Wir gehen davon aus, dass der Startzeitpunkt auch genetisch festgelegt ist, und die Alpensegler dann je nach Witterung ihren Flug in den Norden anpassen, also bei Kälte Pausen einlegen.“ Dennoch wird die Reise rasch unter die Flügel gebracht: Nach rund einer Woche gelangen die Alpensegler von der westafrikanischen Küste in die Schweiz.

Die steile Felswand des Six du Gru im Kanton Wallis ist ein Brutgebiet des Alpenseglers in der Schweiz.
Bereits im April kommen die Alpensegler in der Schweiz an, um zu brüten, wie zum Beispiel hier in der Felswand des Six du Gru im Kanton Wallis mitten zwischen Weinbergen.

Ab Mitte Mai legen die Weibchen zwei bis drei Eier, und einen Monat später schlüpfen die Jungen. Nach weiteren rund 60 Tagen fliegen die jungen Alpensegler Mitte August aus. Nun könnten die Elterntiere eigentlich rasch den Rückflug nach Afrika antreten, denn für eine zweite Brut reicht die Zeit definitiv nicht. Mit dem Herbst, der vor der Türe steht, verschwinden die Insekten und damit die Nahrung allmählich. Doch sie bleiben trotzdem noch eine Weile da. „Erst ab Mitte September verlassen die Altvögel die Schweiz, “ sagt Meier.

Sozialverhalten bestimmt möglicherweise Aufenthaltsdauer

Die Alpensegler halten sich demnach vor und nach dem eigentlichen Brutgeschäft je rund einen Monat im Brutgebiet auf. Meier nimmt an, dass dies mit dem Sozialverhalten der Alpensegler zusammenhängt. Im Frühling sei es von Vorteil, das Nest so früh wie möglich zu besetzen, damit es nicht von einem anderen Alpensegler übernommen wird: „Die Brutpaare verbringen viel Zeit zusammen im Nest. Das ist nicht nur ein Zeichen für die Pflege der Beziehung, sondern auch dafür, dass die Brutpaare ihre Nester gegen Konkurrenten verteidigen.“

Ein ähnliches Verhalten beobachtet man im Spätsommer. Auch nach dem Ausflug der Jungvögel bauen die Alpensegler-Paare an ihren Nestern weiter, bessern sie aus und bereiten sie so vermutlich auf die kommende Saison vor. „Die Alpensegler übernachten weiterhin in ihrem Nest. Für eine Vogelart, die sich sonst immer in der Luft aufhält, ist das schon speziell“, sagt Meier.

Das ist keine Übertreibung: Wie alle Segler ist auch der Alpensegler für das Leben in der Luft geschaffen. 2013 konnten Forscher der Schweizerischen Vogelwarte nachweisen, dass ein Alpensegler 200 Tage nonstop in der Luft verbracht hatte. „Ein solcher Vogel braucht einen triftigen Grund, wieso er sich im Nest und nicht in der Luft aufhält“, meint Meier.

Ein Alpensegler im rasenden Flug.
Alpensegler sind rasende Flieger. Sie ähneln dabei Falken.

Dass dabei das Sozialverhalten eine entscheidende Rolle spielen könnte, legt eine weitere Studie von Meier nahe. Darin versucht er zu erklären, wieso Alpensegler in der Morgen- und Abenddämmerung jeweils zusammen für rund eine Stunde in grosse Höhen aufsteigen. Ein ähnliches Verhalten zeigen auch Mauersegler. Diese sammeln so Information über die Atmosphäre. Sie können zum Beispiel erkennen, wenn grosse Regenfronten aufziehen. Zudem kalibrieren sie vermutlich ihren inneren Kompass.

Jagen die Alpensegler in Gruppen?

„Unsere Studie hat gezeigt, dass dies bei den Alpenseglern nicht der Fall ist“, sagt Meier: „Weder stellen sie auf den Dämmerungsflügen ihren inneren Kompass neu ein, noch überprüfen sie die Wettersituation. Wir wissen bisher schlicht nicht, was sie dort oben machen.“ Schlafen, wie man früher annahm, täten sie nicht. „Irgendeinen Grund muss es aber geben: Denn auch einen so guten Flieger wie den Alpensegler kostet dieser Höhenaufstieg Energie.“

Möglicherweise hängen die Höhenflüge mit den sozialen Beziehungen der Alpensegler zusammen. Wird die Rangordnung innerhalb der Kolonie bestätigt oder neu ausgehandelt? Oder Informationen über das aktuelle Nahrungsangebot ausgetauscht? „Manchmal sehen wir, dass alle Vögel einer Kolonie mit geflügelten Ameisen zurückkommen“, sagt Meier: „Das deutet darauf hin, dass die Alpensegler gleichzeitig wissen, wo Nahrung verfügbar ist. Ich kann mir daher vorstellen, dass die Alpensegler in Gruppen jagen.“ Dies zu beweisen, sei allerdings schwierig. Auf grosse Distanz zu erkennen, was die Schwärme genau tun, sei fast unmöglich.

Vor einer weiteren Verbreitung in Deutschland?

Wie so oft öffnen die Erkenntnisse einer Studie die Türen zu neuen Forschungsfragen. Eine davon dürfte besonders die Vogelbeobachterinnen und -beobachter in Deutschland interessieren. Wie sich gezeigt hat, bleiben die Alpensegler in der Schweiz einen Monat länger, als es für das Brutgeschäft unbedingt notwendig wäre. Wieso sind sie also nicht weiter nördlich von Baden-Württemberg anzutreffen? Auch dort dürfte es ihnen eigentlich gelingen, ihre Jungen aufzuziehen.

Der Mauersegler, der eine um einen Monat kürzere Brutsaison aufweist und gleich nach deren Ende wieder in den Süden zieht, schafft es bis über den nördlichen Polarkreis hinaus. Einzelne Alpensegler stiessen zwar immer wieder einmal in den Norden und Osten Deutschlands vor, doch die Brutgebiete breiteten sich in Deutschland nur sehr langsam aus, sagt Meier.

Die Chance, dass diese Tendenz anhält, steht nicht schlecht. Auch wenn der Alpensegler in der Schweiz potenziell gefährdet ist, nimmt sein Bestand derzeit zu, was sich positiv auf die Alpensegler in Deutschland auswirken könnte. Ringfunde zeigen, dass immer wieder Schweizer Alpensegler die Grenze nach Deutschland überfliegen. Zudem könnte auch der Klimawandel die Ausbreitung nach Norden befördern. Es ist also gut möglich, dass die rasenden Flieger in Zukunft vermehrt in Deutschland auftauchen werden.

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