„Keine Rosen zum Weltfrauentag“

Das fordert eine Aktivistin aus Straßburg. Sie kämpft aber nicht nur am 8. März, sondern ganzjährig gegen Sexismus.

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Frontalaufnahme, Emanouela Todorova hält ihre Arme nach oben. Auf ihrem Shirt steht „Nein heißt Nein“

Catcalling, Belästigung und sexuelle Übergriffe – in Frankreich und in Deutschland ist das für viele Frauen Realität. Tatsache ist: Fünf Jahre nach #MeToo wird sexualisierte Gewalt immer noch banalisiert. Eine junge Frau lehnt sich dagegen auf und rüttel die Gesellschaft wach.

9. Juli 2020, Straßburg: Das ist sie. Die eine Schikane zu viel. Nicht die schlimmste, aber die eine, die im Leben Emanouela Todorovas alles verändert. Die eine, bei der sie mitten auf der Straße anfängt zu schreien so laut sie kann, um den Typen zum Schweigen zu bringen, der sie eine Hure nennt, weil sie einen Rock trägt und ihn nicht beachtet. Er guckt verdutzt, die Menschen um sie herum ebenfalls. Sonst passiert nichts. Wie immer.

Sie kann nicht sagen, wie oft man ihr schon nachpfiff, sie ungefragt ansprach und auf dem Weg nach Hause verfolgte. Im Jahr 2012 entkam sie einer versuchten Vergewaltigung im Dunkeln einer Tiefgarage nur knapp. Jahrelange Therapie, Selbstzweifel und Schuldgefühle, Isolation von männlichen Bekannten, all das hat sie bereits hinter sich, als diese eine Belästigung acht Jahre nach ihrem Trauma das Fass zum Überlaufen bringt.

Oktober 2020: Die junge Straßburgerin ist wütend. So sehr, dass sie endlich über ihre Erfahrungen sprechen, etwas bewegen will. Denn sie erkennt: Sie ist nicht allein. Und sie trägt keine Schuld an dem, was ihr zustößt.

Anfang 2021: Emanouela Todorova kann ihre Vision schließlich in Worte fassen: „Wenn ich meinen Enkelkindern davon erzähle, wie Frauen im Jahr 2021 behandelt wurden, möchte ich, dass sie mich schockiert ansehen und nicht glauben können, was ich sage.“ Umsetzen will sie dieses Vorhaben zunächst mit Social Media.

„Sag Hallo, Schlampe!“

„Hey, Fräulein!“

Heute geht es mir schlecht. Ich habe keine Lust zu reagieren. Ich gehe einfach weiter.

„Hallo! Du bist aber eine Hübsche! Wie geht’s?“

Ich antworte immer noch nicht.

„Warum so schlecht gelaunt? Du bist wahrscheinlich einsam, aber dagegen kann ich etwas machen.“

Ich beschleunige mein Tempo, hänge ihn ab.

„Schlampe!“

So liest sich einer der vielen Erfahrungsberichte, die täglich auf dem Instagram-Profil „Dis Bonjour Sale Pute“ veröffentlicht werden. Der Name bedeutet auf Deutsch „Sag Hallo, schmutzige Schlampe“ und mag zunächst anzüglich wirken. Doch Emanouela Todorova setzt auf genau diese Wirkung, um die Gesellschaft wachzurütteln. Mit Erfolg. Bereits nach einer Woche folgten 10.000 Abonnentïnnen dem Profil. Heute sind es knapp 150.000 Followerïnnen, die ungefähr 2.000 Nachrichten pro Woche mit ihren persönlichen Erfahrungen zur Veröffentlichung schicken.

Einige dieser geschilderten Vorfälle gingen kurz nach der Erstellung des Profils Ende 2020 viral, Medien wurden darauf aufmerksam, danach kam eins zum anderen: Für die Aktivistin ist das Projekt zum Fulltime-Job geworden und sie gründete im März 2021 den gleichnamigen Verein „Dis Bonjour Sale Pute“, der sieben feste Mitglieder und viele freiwillige Helferïnnen zählt.

Mit ihrer Arbeit als Influencerin finanziert sie sich und ihre Aktivität im Verein, aber mit ihrem Team tüftelt sie an diversen Geschäftsmodellen, um langfristig auch Gehälter auszahlen zu können. Allerdings findet das zu diesem Zeitpunkt weder in Straßburg noch anderswo in Frankreich statt: Emanouela Todorova wohnt in Berlin, denn von der Belästigung auf den Straßen ihrer Heimat hat sie erstmal genug.

Demonstratin in der Menschenmenge hält ein selbst gestaltetes Plakat in die Kamera.
„Du vergehst dich an einer, aber wir antworten alle“ steht auf dem Plakat einer Demonstratin am 8. März 2021 in Marseille.