„Sie starben aufgrund der Stigmatisierung“

Am 5. Juni vor 40 Jahren wurde erstmals über die Immunschwächekrankheit AIDS berichtet. Seitdem sind fast 35 Millionen Menschen an der Krankheit gestorben. In Kenia kämpfen Religionsgemeinschaften gegen die Stigmatisierung der Infizierten.

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
8 Minuten
Zu sehen ist eine halb aufgerissene, weiße Tüte, in der Kondome in unterschiedlichen Verpackungen für die Verteilung bereitliegen.

Die HIV/Aids-Pandemie hat nicht nur die Gesellschaft vor immense Herausforderungen gestellt, sondern auch die Religionsgemeinschaften, die in Kenia – wie in vielen afrikanischen Ländern – eine zentrale Rolle spielen. Anfangs galten die Kranken vielen Christen oder Muslimen als „Sünder“. Heute kämpfen in Kenia auch leitende Geistliche gegen die Stigmatisierung der Infizierten.

Abdallah Mohamed Kamwana erinnert sich noch gut an den Moment, als sein Onkel der Familie berichtete, er habe HIV/Aids. Das ist rund 15 Jahre her, und für Mohamed änderte sich schlagartig das Bild, das er sich von den Infizierten machte, nicht nur von seinem Onkel: „Ich verstand plötzlich, wie einfach man sich diese Krankheit zuziehen kann“, erzählt der muslimische Gelehrte im Rückblick. Von einem Moment auf den anderen begriff er, dass die Infizierten nicht alle „Sünder“ sind. Denn sein Onkel hatte sich bei seiner dritten Frau angesteckt, die er kurz zuvor geheiratet hatte – er hatte also in keiner Weise gegen die Regeln des Islam verstoßen und war trotzdem krank geworden. „Bis dahin hatte ich mir die muslimische Perspektive komplett zu eigen gemacht, wonach nur diejenigen diese bestimmte Krankheit kriegen, die sich dem Willen Gottes widersetzen und vom rechten Weg abkommen.“ Der Koran schien das zu bestätigen: demnach würden eines Tages alle, die außerhalb der Ehe Geschlechtsverkehr hätten, von einer Krankheit heimgesucht werden, wie sie sie in ihren Lebzeiten noch nie gesehen hätten. Auch wenn kein Name genannt wurde, schien HIV/Aids eindeutig darauf zu passen.

„Wir haben die Pflicht, für das Wohlergehen der Menschen zu sorgen“

Seit dem „Geständnis“ seines Onkels hat Mohamed radikal die Seiten gewechselt: Seit vielen Jahren ist er Vorsitzender von „Kenerela +“, einer interreligiösen Organisation führender Geistlicher, die an HIV/Aids erkrankt sind oder sich aus anderen Gründen von der Krankheit besonders betroffen fühlen. „Wir Geistlichen haben doch die moralische Pflicht, für das Wohlergehen und die Interessen der Menschen zu sorgen“, erklärt der heute 77-Jährige sein Engagement. „Und da wir Geistlichen besonders respektiert werden, können wir viel dazu beitragen, dass HIV/Aids positive Menschen nicht mehr stigmatisiert werden.“

Das ostafrikanische Kenia ist auf dem Kontinent eins der Länder, die von der HIV/Aids-Epidemie am schwersten betroffen sind – und hat zugleich eine beeindruckende Erfolgsgeschichte im Kampf gegen die Immunschwächekrankheit Der erste HIV/Aids-Fall wurde 1984 erkannt. Zehn Jahre später war HIV/Aids bereits eine der wichtigsten Krankheitsursachen, mit den entsprechenden Folgen für das ohnehin überlastete Gesundheitssystem. 1996 waren 10,5 % der Bevölkerung HIV-positiv. Seitdem hat sich der Anteil fast halbiert. Der Erfolg erklärt sich vor allem durch die breite medizinische Behandlung der Krankheit und die bessere Vorbeugung. Nach Schätzungen leben etwa 1,5 Millionen Kenianerinnen und Kenianer mit HIV/Aids.
Aktivistinnen beugen sich über verpackte Kondome, die auf dem Boden liegen, um sie für die Verteilung zurechtzulegen.
Aktivistinnen in Südafrika bereiten sich auf die Kondom-Verteilung vor
Ein Aktivist mit einem T-Shirt, der Aufdruck: HIV positiv. Er steht vor einer Tafel und gestikuliert, hält offensichtlich gerade einen Vortrag.
Mit einer Positiv-Kampagne gehen Aktivistïnnen in Südafrika gegen das Stigma einer HIV/Aids-Erkrankung an.
Kondome in Verpackungen liegen auf dem Boden, sie sollen offensichtlich gleich verteilt werden.
Kondome verhüten bei richtigem Gebrauch auch eine HIV-Infektion.