Fake Jazz – So setzten die Nationalsozialisten Musik als Propaganda ein

Die Schizophrenie der Nazidiktatur zeigte sich darin, dass den Menschen der Musikgenuss zwar verboten wurde, das Regime selbst aber über ein erstklassig besetztes Swing-Orchester verfügte. Die Band hieß „Charlie and his Orchestra“ und ging als Kuriosum in die Musikgeschichte ein.

12 Minuten
Komplett in Rot gehaltener Raumeindruck eines nächtlichen Tanzsaals voller Gäste.

Alles nahm seinen Anfang bei einem Gespräch über Musik. Es ging um die Songs, die wir lieben. Jeder hat da seine eigene Welt. Ich vertrat den Standpunkt, der Rhythmus und die Melodie seien das Wichtigste. Meine Freundin sah mir ernst in die Augen und sagte: „Da irrst du, mein Lieber! Das Wichtigste steht oft nicht in den Noten!“ Daraus ergab sich die folgende Geschichte.

Cole Porter, bekannter Liedtexter und Komponist des Musicals „Kiss me, Kate“ besaß Sprachwitz. Sein Lied „You’re the top“ aus dem Jahr 1934 ist eine Ode an die Liebe. Die Lyrics können Sie weiter unten lesen. Er verglich seine Angebetete mit Kunstwerken, Figuren der Zeitgeschichte und mit Flüssen. Das war zwar ein wenig überzogen, doch nichts im Vergleich zu dem, was wenig später ein unbekannter Texter im Auftrag des Reichspropagandaministeriums daraus machte. Die Kreativen rund um Joseph Goebbels gingen davon aus, dass man mit Bigband-Sound und swingenden Riffs deutsche Überlegenheit zur Schau stellen konnte. Ihr Mittel zum Zweck: Jazz. Aber wie sollte eine Musikrichtung, deren Ursprünge in der Musik der Sklaven der amerikanischen Südstaaten lag, zu Propagandazwecken für ein weißes, faschistisches Regime missbraucht werden?

Die Nazis verwandelten den Liedtext von Cole Porter in ein furchterregendes Poem.

Das ging so: „You’re the top – you’re a German flyer. You’re the top – you’re machine gun fire. You’re a U-Boat chap with a lot of pep. You’re Grand. You’re a german Blitz, the Paris Ritz, an army van. You’re the Nile, an attack by Rommel. You’re the mile that I’d walk for a Camel.“ Was wie makabrer Humor klingt, war der musikalische Höhepunkt deutschen Propagandaschaffens in der Musik.

Wir schreiben das Jahr 1933, Hitler war zum Reichskanzler ernannt worden. Die Nazis gründeten ihr Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda mit der Idee, den Deutschen die Ideologie des Nationalsozialismus nahe zu bringen. So wurde das deutsche Kulturleben im Rahmen der allgemeinen Gleichschaltung von den Nazis kontrolliert. Werke großer Literaten und Maler wurde verboten. Drei Jahre später standen die Olympischen Spiele in Berlin an und zur Imagepflege wurde die Auslandspropaganda immer wichtiger.

Jazzmusiker mit Saxophonen beim Konzert
Live Konzert in einem Jazzclub im Raval in Barcelona

Die Band „Charlie and his Orchestra“ sollte Feinde im Ausland mit deren eigenen Waffen schlagen.

„Da waren berühmte Jazzer dabei, die waren gar nicht auf Linie. So konnten sie im Krieg wenigstens Musik machen.“ Frank Apunkt Schneider

Singende Menschen in einer nächtlichen Szene an einem Tisch in einer Bar
Musik emotionalisiert die Menschen nachts in einer Kneipe