An der Grenze: Warum wieder mehr Geflüchtete über die Grenze von Belarus nach Polen kommen

Die Zahl der Migrantïnnen, die die EU-Außengrenze von Belarus nach Polen überschreiten, nimmt aktuell stark zu. Wie ist die Situation vor Ort, eineinhalb Jahre nach Beginn der Migrationskrise an der Außengrenze? Ein Besuch in der polnischen Grenzregion.

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Foto von Grenzzaun mit Wäldern links und rechts.

Seit acht Tagen hat er nichts gegessen, nur das Wasser aus dem Fluss getrunken. Er ist entkräftet, weint, kann nicht aufstehen und nur wenig sprechen. Ob er die acht Tage im polnischen oder im belarussischen Wald verbracht hat, weiß nur er. Wie er danach auf die polnische Seite des fünfeinhalb Meter hohen Grenzzauns gekommen ist, auch das werden die Helferïnnen der „Grupa Granica“ nicht von ihm erfahren. Zu schlecht ist der Zustand des 21-jährigen Mannes aus dem Sudan, den sie an diesem Junivormittag in der polnischen Grenzregion zu Belarus gefunden haben. Sie lassen ihn auf eigenen Wunsch ins Krankenhaus bringen. Er sagt, er möchte Asyl beantragen.

Aleksandra Chrzanowska erzählt das so in einem Restaurant, wenige Kilometer vom polnisch-belarussischen Grenzzaun in Białowieża entfernt. Soeben ist sie von der „Intervention“ zurückgekommen; ihre Wangen sind noch gerötet, Schweiß glänzt auf ihrer Stirn. Intervention, so nennen es Aktivistïnnen und Helferïnnen, wenn sie einen Hilfseinsatz in der Grenzregion haben – wenn Migrantïnnen sich über eine öffentliche Notfallnummer melden, nachdem sie die Grenze überquert haben. Und das passiert zurzeit besonders häufig. „Da sind viele Menschen im Wald“, sagt Chrzanowska. Die Hilfsorganisation „Grupa Granica“, der sie angehört, hat sich kurz nach Beginn der Migrationskrise an der EU-Außengrenze zu Belarus formiert. Seitdem leisten ihre Mitglieder humanitäre, medizinische und rechtliche Hilfe.

Foto von dunkelblauer Decke mit Fransen auf verstaubtem Weg, im Hintergrund der Grenzzaun.
Eine dunkelblaue Decke liegt zerknüllt wenige Meter vor dem Grenzzaun in Bialowieza. Wahrscheinlich ein Überbleibsel eines Fluchtversuchs in den Wald.
Foto von mehreren Soldaten in Reihen vor Reisebussen.
Dutzende Soldatïnnen reisen in Bussen im Grenzort Bialowieza an. Das gehe alle 2–3 Wochen so, erzählt eine Gastronomin.