Talanoa – Dialog auf Südseeart

Nach dem Klimagipfel in Bonn wollen die Staaten nach polynesischer Tradition über niedrigere Emissionen beraten. Fraglich, ob der industrielle Norden da mitkommt

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Eine Drua, ein typisches Boot der Südpazifik-Bewohner mit Doppelrumpf und dreieckigem Segel, legt am Strand von Fidschi an. Das Bild soll verdeutlichen, dass die Verhältnisse im Inselstaat in der Südsee sich stark von denen in den Industrieländern unterscheiden. Es ist daher fraglich, wie gut sich die Erzähltechnik übertragen lässt.

Die Südsee-Nation Fidschi hat für den internationalen Klimagipfel 2017 die Präsidentschaft übernommen und eine neue Vokabel in den Verhandlungsprozess eingeführt: Talanoa. Darunter verstehen die Polynesier einen Austausch von Geschichten, Träumen und Wünschen auf Augenhöhen. Das sollte mehr als Argumente und Fakten zu Kooperation und tragfähigen Lösungen beitragen.

Zwei Wochen lang war Bonn ein bisschen Fidschi, lag ein Hauch von Südpazifik über dem Rhein. In die erhitzte politische Debatte um die Zukunft des Weltklimas mischten sich sanfte Gitarrenklänge und Gesangsharmonien polynesischer Lieder. Denn die 23. Weltklimakonferenz (COP23), die am Samstag zu Ende ging, richteten der Südsee-Staat und Deutschland gemeinsam aus. Die Präsidentschaft hatte die Pazifiknation Fidschi inne, aber die Ausrichtung eines Gipfels mit 22 000 Teilnehmern konnte das Land technisch nicht stemmen. Darum fand er am Sitz des UN-Klimasekretariats in Bonn statt.

Die Mammut-Konferenz hatte vor allem Kleingedrucktes zum Inhalt und Ergebnis: Regeln für das Erfassen und Vergleichen der nationalen Beiträge zum Klimaschutz – wichtig, aber wenig attraktiv. Zudem wurden einige Reformen beschlossen, unter anderem, indigene Völker stärker zu beteiligen. Mit einer gemeinsamen Plattform sollen sie abseits staatlicher Strukturen eine Stimme in den Beratungen bekommen. Der Kohleausstieg, den Umweltgruppen am Rand und mit Blick auf die parallel in Berlin laufenden und inzwischen gescheiterten Sondierungsgespräche für eine neue deutsche Regierung ständig forderten, kam hingegen nicht so weit voran, wie viele das gern gehabt hätten.

Als zentrales Ergebnis der Konferenz wird etwas anderes im Gedächtnis bleiben: Talanoa. Gemeint ist damit eine Form des Dialogs, die auf Fidschi und Nachbarstaaten wie Samoa und Tonga zur traditionellen Kultur gehört. Er soll im kommenden Jahr dazu beitragen, dass die Staaten mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz entwickeln – ohne dass sie sich gegenseitig mit ihrem vergangenen oder aktuellen Verhalten konfrontieren. Im kommenden Mai soll es dazu in Bonn eine Konferenz geben, die anders abläuft als alle früheren. Statt dröger Statements, nationaler Egoismen und dem Gefeilsche um einzelne Wörter soll es ein Treffen unter Gleichgesinnten geben. „Bei Talanoa erzählt man sich gegenseitig Geschichten über die eigenen Erfahrungen. Alle anderen hören mit Respekt zu“, sagt Nazhat Shameen Khan, Chef-Unterhändlerin von Fidschi. Betont werden solle das Verbindende, nicht das Trennende. „Das baut Vertrauen auf und hilft Lösungen zu finden.“

Unter diesen Vorzeichen haben Hunderte Tweets das Wort verwendet; Aktivisten und Wissenschaftler aus Industrieländern beschworen den „Talanoa Spirit“ in ihren Erklärungen, Dutzende Zeitungsartikel verliehen den üblichen Berichten über Verhandlungstaktik und Maximalforderungen mit dem Begriff ein wenig Südsee-Flair. Und in sehr vielen der Schlusskommentare verschiedener Gruppen oder Honoratioren kam Talanoa vor, so als sei es ein Zauberwort – jetzt, wo wir das beschlossen haben, wird alles gut.

Doch ob die Urheber wirklich verstanden haben, wovon sie da sprachen, kann man bezweifeln. Immerhin nennt die Fiji Times Talanoa ein Lebensprinzip – „a way of life“. Der Dialog ist unhierarchisch, ausschweifend, scheinbar ziel- und regellos. Hintergedanken und Unehrlichkeit können zum Ausschluss aus der Gemeinschaft führen. Das mag Menschen aus dem industriellen Norden interessant und exotisch erscheinen, doch ob sie da wirklich mitmachen können?

Der „Talanoa Space“ beim Klimagipfel COP23: Grobe Spanplatten, bunte Pfeile und lebende Wände mit roten Blüten und dunkelgrünen Blättern
Der „Talanoa Space“ beim Klimagipfel COP23

Was also ist Talanoa? Was kann die Gemeinschaft der Staaten damit erreichen? Welche Erwartungen verbindet Fidschi damit, diesen Teil seiner Kultur der Welt anzubieten? Ist das Zauberwort wirklich magisch, oder nur ein schnell zu durchschauender Trick?

In Bonn zeigte sich Talanoa vor allem im „Talanoa-Space“, einer bunten, wuseligen Fläche mit zwei Bühnen, Publikumsrängen und vielen kleinen Sitzrunden. Auf den Fotos, die das deutsche Umweltministerium (BMUB) davon auf Flickr veröffentlicht hat, ist vor allem eine Wand aus bunten Blüten und dunkelgrünen Blättern zu sehen, vor denen einige Korbsessel stehen. Es könnte also auch einfach ein exotischer Hintergrund für die üblichen Podiumsdiskussionen sein, die gewiss nicht zum Anspruch von Talanoa passen. Das Bundesumweltministerium formulierte aber viel hehrere Ziele: Der Talanoa Space solle die Zivilgesellschaft in den Mittelpunkt stellen und ihrem Dialog mit Regierungen dienen, sagte ein Sprecher des Ressorts.

In der Tat war zum Beispiel am vergangenen Donnerstag die Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hier bei einer Diskussion auf Augenhöhe mit einer Gruppe Jugendlicher zu sehen. Der Wirtschaftsminister Fidschis saß hier sogar barfuß und im Schneidersitz auf dem Boden mit jungen Leuten zusammen.

Fidschis Premier Josaia Voreqe („Frank“) Bainimarama erklärte zur Konferenzeröffnung, jetzt beginne zum ersten Mal bei einer COP ein offener Dialog zwischen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern der Klimarahmenkonvention (im Englischen sind die Staaten „parties“, alle anderen „non-parties“). „Dies ist kein Side Event“, sagte er, man dürfe es also nicht als Ausschmückung abtun. „Wir werden hier nicht verhandeln, sondern miteinander reden und zuhören. Aber der Geist von Talanoa bedeutet nicht nur, dass wir zu allen nett sind – auch wenn Respekt unverzichtbar ist. Es geht darum, eine Lösung zu finden, für die wir direkte Worte brauchen.“ Sein Landwirtschaftsminister Inia Seruiratu ergänzte, der Talanoa-Raum werde keine Echokammer sein, und gab das Motto aus: „faster, further, together“ – ehrgeizigere Klimaziele müssten zusammen schneller erreicht werden.

Sieben Jungen rennen in T-Shirts und Shorts durch eine große und tiefe Pfütze zwischen Häusern und einem Grünstreifen mit einer Palme. Das Wasser spritzt von ihren Beinen in die Höhe. –
Das Dorf ist mal wieder überflutet – die Jugendlichen springen fröhlich durch das Wasser.
Das Dorf ist mal wieder überflutet – die Jugendlichen springen fröhlich durch das Wasser.

Talanoa ist damit das zweite Wort für eine traditionelle Form des Dialogs, die bei Klimagipfeln eingeführt wird, um den üblichen und oft lähmenden Trott zu brechen. 2011 in Durban setzen die südafrikanischen Gastgeber „Indaba“ auf die Tagesordnung, ein in der Kultur der Zulu und Xhosa verankertes Gespräch von Weisen, die einander über ihre jeweiligen roten Linien informieren und dazwischen Raum für Gemeinsamkeiten suchen. Noch bei der Konferenz in Paris, die vor zwei Jahren in einem bejubelten Vertrag endeten, den die Länder in Rekordzeit ratifizierten und in Kraft setzten, kam das Instrument des Indaba wieder zum Einsatz.

„Schon das war eine Dialogform, die uns in der westlichen Welt vielleicht verloren gegangen ist“, sagt Jan Kowalzig, der als Beobachter von der Organisation Oxfam in Bonn dabei war. Er schätzt besonders, dass bei Indaba oder Talanoa kein Teilnehmer bloßgestellt wird, sondern Raum für seine Sichtweise, Bedenken und Probleme bekommen soll. Fraglich, ob auch andere Organisationen diesen Blickwinkel teilen und sich daran halten, denn das Bloßstellen von Klimasündern oder den „Fossilen des Tages“ scheint eine zentrale Komponente vieler Kampagnen zu sein. Das hat auch schon der niederländische Klimaforscher Guus Velders in einem Interview auf RiffReporter beklagt.

Talanoa aber erweitert den Kreis des Dialogs gegenüber „Indaba“ beträchtlich und setzt andere Regeln. In den Südsee-Staaten hat das Verfahren schon dazu beigetragen, etliche Staatskrisen zu entschärfen, zum Beispiel einen lang andauernden Streik der öffentlichen Angestellten in Tonga und die Suche nach einem neuen Wirtschaftsmodell auf den Salomonen, beides 2005. Besonders prominent und schillernd ist aber das Beispiel von Fidschi selbst. Dort hat es lange ethnisch-religiöse Spannungen gegeben, die im Jahr 2000 zu einem Putsch führten. Nationalisten besetzten das Parlament und nahmen Geiseln, der heutige Premierminister Bainimarama, damals Armeechef, wurde zum Leiter einer Militärregierung ernannt. Er gab die Macht nach Beendigung der akuten Krise acht Wochen später wieder ab.

Unter dem Eindruck der Ereignisse verständigten sich Fraktionen der fidschianischen Gesellschaft damals auf einen Talanoa-Prozess. Am Ende der fünf zweitägigen Konsultationen erklärten die Teilnehmer: „Wir haben viele Felder der Gemeinsamkeit entdeckt und auch dort, wo wir nicht übereinstimmen, haben wir ein tieferes Verständnis für die Perspektiven und Positionen des jeweils Anderen erreicht.“ Es gab jedoch „keinen Konsens über zukünftige Optionen“. Dass der Friede brüchig was, zeigte sich im Jahr 2006. Nun putschte Bainimarama selbst. Er ließ sich als Premier einsetzen und blieb es bis 2013, als unter einer neuen Verfassung Wahlen abhalten wurden – die er dann gewann.

Dennoch gilt der Talanoa-Prozess auf Fidschi als Erfolg. Sitiveni Halapua, ein in England ausgebildeter Ökonom aus Tonga vom East-West-Center in Honolulu, hatte ihn damals initiiert und moderiert. Er erklärt das Konzept aus der Wortbedeutung: „tala“ heiße „Erzählung“, „noa“ stehe für „ohne etwas zu verbergen“. Die Teilnehmer sollen also offen, ehrlich und durchaus gefühlsbetont ihre Situation und ihre Erwartungen schildern. „Es ist der zentrale Wert von Talanoa, dass die Geschichtenerzähler frei darin sind, über die Probleme zu sprechen, die ihr Denken beherrschen“, schreibt Halapua. Ein Ziel damit zu verbinden, ist demnach schwierig. „Talanoa hat einen klaren Anfang, aber kein klares Ende.“ Und der Prozess entblöße „alle die Mythen und Verunreinigungen der menschlichen Hierarchie“.

Eine Gruppe von Männern mit Baströcken, nackten Oberkörpern und blau-weißen Blütenkränzen am Hals dreht sich mit halbhoch erhobenen Armen im Kreis: Polynesische Tänzer bei einem Empfang während der COP in Bonn
Eine Gruppe polynesischer Tänzer bei einem Empfang während der COP in Bonn

An dieser Stelle ist es vielleicht nötig, die Position und kulturelle Herkunft des Erzählers dieser Geschichte, also dieses Artikels zu klären. Als Deutscher kann der Autor natürlich nicht beurteilen, ob die Talanoa-Technik in Fidschi wirklich funktioniert hat, obwohl es danach eines weiteren Putsches bedurfte, bis das Land anscheinend zur Demokratie zurückfand. Das wäre anmaßend und kulturell übergriffig. Und natürlich sind die Südseebewohner auch frei darin, Varianten einer in ihrem Kulturraum verankerten Technik auf dem internationalen Parkett vorzulegen und dabei neue Regeln zu setzen.

Was man aber als Deutscher sagen kann, ist dies: Das Ziel, dass sich die Staaten der Welt endlich als Gemeinschaft verstehen, die füreinander einsteht und eine große Bedrohung zusammen angeht, ist aller Mühen wert. Faster, further, together. Doch eine hierarchiefreie Talanoa-Diskussion ohne Hintergedanken könnte genau dann in Schwierigkeiten geraten, wenn die nationalen Eigeninteressen wieder nach vorn rücken. Und das passiert womöglich, wenn der Prozess – wie jetzt beim Klimagipfel – mit einem Ziel verknüpft wird, nämlich sich mehr in der Gemeinschaft zu engagieren, höhere Emissionsminderungen zu planen oder Ausgleichsfonds für besonders betroffene Staaten zu füllen.

Ähnliche Bedenken äußert Arieta Tora Rika, die in Australien die Webseite talanoa.com.au betreibt. Sie kennt die Dialogform, weil ihre Mutter von Tonga und ihr Vater von Fidschi kommen. „Menschen, die nicht aus der Pazifikregion stammen, neigen dazu, Diskussionen aufzuteilen, besonders wenn sie größere Probleme zum Thema haben“, sagt sie. „Im Pazifik aber bringen wir unser ganzes Selbst mit, wir legen das, poker face‘ ab und teilen unsere wahren Gedanken, Sorgen und Ideen.“ Tora Rika hat kürzlich bei einem Film-Projekt mitgearbeitet, dass die Situation der Bewohner Fidschis zeigt und dabei die Talanoa-Tradition mit 360-Grad-Aufnahmetechnik kombiniert. Gefragt, ob die Dialogform bei den Klimaverhandlungen helfen könnten, gibt die junge Frau eine geteilte Antwort: „Es wäre toll, wenn Menschen von verschiedenen Orten auf der ganzen Welt diesen Kommunikationsstil übernehmen könnten, weil ich weiß, dass Talanoa richtig eingesetzt große Kraft hat. Ich bin aber komplett unsicher, ob es vernünftig ist, das von ihnen zu erwarten. “

Was die Delegierten beim ersten Test von Talanoa erlebt haben – klicken Sie hier.

Auch Maxine Newlands von der James Cook University hat ihre Zweifel, nachdem sie Talanoa auf eine mögliche Verträglichkeit mit Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns abgeklopft hat. „Das wird ein interessantes Experiment, weil es Unterschiede im kulturellen Verständnis und in den Zielen gibt“, sagt sie. „Die westliche Perspektive zielt im kapitalistischen Weltbild letztlich immer auf wirtschaftliche Lösungen. Talanoa hingegen will die Vielfalt der Stimmen zeigen und Ergebnisse erzielen, die vielen dienen, nicht wenigen.“ Der Erfolg werde extrem vom Geschick des Moderators abhängen.

Diese Moderatoren kommen aus zwei grundverschiedenen Kulturkreisen. Fidschi als Präsidentschaft der COP23 in Bonn arbeitet dabei mit Polen zusammen, das die COP24 in Kattowitz, mitten im polnischen Kohlerevier, leiten wird. Das osteuropäische Land gelobt seine Treue zum Pariser Abkommen und bereitet nach Beobachtung lokaler Umweltgruppen zugleich weitere staatliche Subventionen für seine Kohlekraftwerke vor. Wie viel wird von Talanoa übrigbleiben, wenn dort in einem Jahr der Klimagipfel beginnt?

Update: Der Absatz mit den Zitaten von Arieta Tora Rika wurde nachträglich eingefügt.

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