„Besonders toll sind Erfahrungen, in denen die Vögel ihre Scheu verlieren“

Der Vogelfragebogen: Heute mit Jonas Landolt, freischaffender Umweltwissenschaftler, Exkursionsleiter und Naturfilmer

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
7 Minuten
ein Mann sitzt unter einem Regenschirm und benutzt einen Laptop [AI]

Der Flugbegleiter-Vogelfragebogen stellt interessante Menschen aus Naturschutz und Vogelforschung vor. Jonas Landolt verfügt über eine beneidenswerte Fähigkeit. Der 29-jährige Schweizer kann Möwenarten, von denen die meisten nicht nur auf den ersten, sondern auch auf den zweiten und dritten Blick äusserst ähnlich aussehen, voneinander unterscheiden. Vor kurzem hat er sogar die Schweizerische Vogelwarte, das ornithologische Kompetenzzentrum des Landes, auf einen Fehler hingewiesen: Die Vogelwarte hatte eine Mittelmeermöwe als Steppenmöwe ausgewiesen. Mittlerweile hat die Vogelwarte die entsprechenden Bilder ausgewechselt.

Möwen-Exkursionen am Bodensee sind nur ein kleiner Teil des vielfältigen Angebots von Jonas Landolt. Der selbständige Umweltwissenschaftler produziert Naturfilme, leitet die Geschäftsstelle eines Zürcher Vereins, der ein Stadtquartier wieder naturnaher gestalten will, und erklärt dem Publikum im Schweizer Radio und Fernsehen, wie man einen Garten tier- und pflanzenfreundlich pflegt. Selbstverständlich benutzt er dazu keinen Mähroboter, sondern er weiss, wie man die Sense richtig führt. Etwas motiviert Jonas Landolt bei seiner Arbeit vor allem: Er will möglichst viele Menschen für den Natur- und Vogelschutz begeistern.

ein Mann mit einer Brille und einem blauen Hemd [AI]
Für das neue Naturzentrum am Pfäffikersee in der Nähe von Zürich hat Jonas Landolt Filme produziert (hier an der Eröffnungsfeier des Zentrums im April 2019).

1. Wie haben Sie den Zugang zur Vogelwelt gefunden?

Bereits in meiner Kindheit war ich viel in der Natur. Das Interesse an den Vögeln hat ein Lehrer am Gymnasium im Freifach „Vogelkunde“ in mir geweckt. Wirklich gepackt hat es mich dann im Sommerlager von BirdLife Schweiz am Neuenburgersee.

2. Was bedeutet Ihnen Vogelbeobachten im Alltag und was hält Sie vom Beobachten ab?

Glücklicherweise bin ich für meine Filmaufträge, Ökobüroarbeiten und geführten Vogelexkursion bereits sehr häufig draussen. Aber die Filme müssen geschnitten, die Berichte geschrieben und die Exkursionen verwaltet werden. Das nimmt oft mehr Zeit in Anspruch als mir lieb ist. Dann ist das Vogelbeobachten ein wunderbarer Ausgleich zur Schreibtischarbeit. Ich kann den Kopf lüften und gleichzeitig Energie tanken! Ich habe den Feldstecher eigentlich immer dabei und geniesse es sehr, auf dem Arbeitsweg kurz zu schauen, ob es im Zürcher Seebecken etwas Spannendes zu entdecken gibt.

3. Teilen Sie ein besonders schönes Beobachtungserlebnis mit uns?

Besonders toll sind Erfahrungen, in denen die Vögel ihre Scheu verlieren. Ich merke dann, dass sie mich wahrnehmen, aber als Teil ihrer Umgebung akzeptieren und nicht als Gefahr betrachten. Ich denke da beispielsweise an Situationen, in denen ich gefühlt stundenlang mit der Kamera im Schlamm lag und die Limikolen um mich herum wuselten.

4. Bei welchen Vögeln tun Sie sich bei der Bestimmung schwer?

Bei Greifvögeln und Hochseevögeln, da fehlt mir die Erfahrung. Ich möchte unbedingt einmal im September an einer der Greifvogelzugstellen bei Gibraltar oder am Schwarzen Meer die verschiedenen Arten ausgiebig studieren. Mit den Hochseevögeln habe ich mich bisher noch kaum beschäftigt und freue mich deshalb sehr auf diesjährige Reise auf die Kanaren.

5. Welchen Gesang hören Sie am liebsten?

Die Kohlmeise höre ich sehr gerne. Der Gesang ist nicht kompliziert, hat aber einen wunderbar stolzen, majestätischen Klang und symbolisiert für mich den Frühlingsanfang. Auch über die ersten Strophen der Mönchsgrasmücken freue ich mich jedes Jahr, weil sie zu den ersten ankommenden Zugvögeln gehören. Als ich dieses Jahr bereits im Januar eine singen hörte, war das doch etwas irritierend.

ein Vogel, der in einer Pfütze steht [AI]
Den Gesang der Mönchsgrasmücke mag Jonas Landolt besonders gern.

6. Gibt es eine Vogelart, die Sie nicht ausstehen können?

Das kann man so nicht sagen, ich lasse mich immer gerne eines Besseren belehren, wenn ich eine gewisse Antipathie gegenüber einer Art spüre. Höckerschwäne fand ich beispielsweise immer etwas langweilig. Aber gerade kürzlich konnte ich ein Paar beim Balzen beobachten. Sie drehten sich beide immer wieder um die eigene Achse und präsentierten sich gegenseitig mit aufgestellten Flügeln. Ein tolles Schauspiel. Das hat mich wieder daran erinnert, dass sich bei jeder Art spannende Verhaltensweisen beobachten lassen und es keine „langweiligen“ Arten gibt.

7. Wenn Sie sich CO2-frei an einen beliebigen Ort der Erde zum Vogelbeobachten beamen könnten, wohin?

Das Fantastische an den Vögeln ist ja, dass man überall auf der Erde, in allen Lebensräumen Arten findet, und die Artenzahl im Unterschied zu anderen Artengruppen doch überschaubar bleibt. Mich faszinieren die tropischen Regenwälder. Früher dachte ich immer, dass es da nur so wimmelt von Vögeln. Heute weiss ich, dass man sich da den Grossteil der Arten hart erarbeiten muss. Aber genau das reizt mich. Irgendwann möchte ich auf jeden Fall die Wälder in Südamerika erkunden und die unglaubliche Vogeldiversität entlang der unterschiedlichen Höhenstufen erleben.

8. Was machen Sie mit Ihren Beobachtungen?

Sehr häufig teile ich sie mit anderen Personen. Ich biete unter inatura.ch ornithologische Kurse und Exkursionen an und bin deshalb häufig mit Gruppen unterwegs. Unvergessliche Beobachtungen gemeinsam mit anderen Personen zu erleben, gehört zu den tollsten Teilen meines Berufs als Exkursionsleiter. Wenn ich allein unterwegs bin, halte ich die speziellen Momente gerne als Foto oder Video fest, um sie später über die sozialen Medien, einen Vortrag oder Film mit anderen Leuten zu teilen und sie auf die Besonderheiten vor unserer Haustür aufmerksam zu machen.

9. Wenn Sie sich in einen Vogel verwandeln dürften, welcher wäre das?

Ein Steinadler. In der Thermik segeln und unsere eindrücklichen Berge von oben sehen, dass muss traumhaft sein. Das alles lautlos und mit einer unglaublichen Leichtigkeit.

10. Wenn Vögel unsere Sprache verstehen könnten, was würden Sie ihnen gerne sagen?

Ich würde mich bei ihnen entschuldigen, dass es Mitmenschen gibt, die sie zum Spass totschiessen und dass es gewissen Teilen der Gesellschaft wichtiger ist, billigste Lebensmittel zu essen, anstatt den Vögeln Lebensräume zu überlassen.

11. Wenn Sie sich einen Begleiter zum Vogelbeobachten aussuchen dürften, wer wäre das?

Darf es auch eine Begleiterin sein? Auf jeden Fall jemand, die oder der sich mit etwas anderem besser auskennt als ich. So können wir gegenseitig voneinander lernen und profitieren.

12. Wer ist Ihr Held, Ihre Heldin in Biologie und Naturschutz?

Werner Müller, der Geschäftsführer von BirdLife Schweiz. Es ist unglaublich, mit welchem Einsatz und Wissen er sich seit Jahren täglich für den Vogel- und Naturschutz einsetzt.

13. Auf welche ornithologische Frage hätten Sie gerne eine Antwort?

Was war zuerst: Das Huhn oder das Ei? ;-)

ein Mann, der ein Selfie macht [AI]
NIcht nur das Fernglas, auch die Kamera ist meistens dabei, wenn Jonas Landolt draussen unterwegs ist.

14. Was tun Sie persönlich zum Schutz der Vogelwelt?

Ich arbeite an verschiedenen Naturschutzprojekten mit, wobei ich immer versuche, nicht nur eine Artengruppe zu berücksichtigen, sondern möglichst viele. Gerne teste ich neue Praktiken und suche nach Synergien, um ein Problem zu lösen. Zudem zeige ich auf meinen Exkursionen immer Naturschutzzusammenhänge auf und hoffe, dass die Botschaften im Schneeballsystem weitergetragen werden.

15. Wie macht Umwelt- und Naturschutz Ihnen am meisten Freude?

Einerseits schätze ich es, gemeinsam mit anderen engagierten Personen neue Ideen zu entwickeln und innovative Projekte umzusetzen. Andererseits bereitet mir die Vermittlung von Naturschutzanliegen sehr viel Freude. So konnte ich in diesem Jahr beispielsweise im Rahmen der „Mission B“ vom Schweizer Radio und Fernsehen, einer Aktion für mehr Biodiversität, mitarbeiten. In Zukunft möchte ich eigene Kurzvideos produzieren, um Naturschutzthemen der breiten Bevölkerung zugänglich zu machen.

16. Was ist Ihre größte Umweltsünde? Unter welchen Umständen würden Sie darauf verzichten?

Vermutlich schon die Flugreisen. Allerdings bin ich überzeugt, dass der Avitourismus eine der besten und effizientesten Möglichkeiten ist, um die Arten und Lebensräume in den Tropen zu erhalten. Ich habe insgesamt über ein Jahr in Indonesien gelebt und dort mitbekommen, wie die Vögel zu Tausenden gefangen und auf dem Markt als Haustiere verkauft werden. Wenn wir als VogelbeobachterInnen Beobachtungstouren in solchen Ländern buchen, bekommen die Vögel auch im Wald einen Wert und nicht erst auf dem Markt. Zudem stärken wir den Vogelschutz vor Ort, bauen Beziehungen zu den lokal engagierten NaturschützerInnen auf und können so beim Schutz der Gebiete und Arten helfen. Wenn irgendwie möglich bin ich aber immer per Velo und den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Beim Schreiben dieses Textes sitze ich im Zug auf dem Weg nach Barcelona und werde anschliessend per Bahn und Schiff auf die Kanaren weiterreisen.

„Mich beunruhigt

die menschliche Gier."

17. Wenn Sie für einen Tag in der Schweizer Regierung sässen und eine Massnahme zum Schutz der Vogelwelt umsetzen könnten, was wäre das?

Am nötigsten wären Massnahmen für eine naturverträglichere Landwirtschaft. Damit verknüpft sind Veränderungen bei der Fleisch- und Milchproduktion, da können wir sowohl aus ethischer als auch ökologischer Sicht nicht weitermachen wie bisher! Das betrifft auch uns Konsumenten: Fleisch und Milchprodukte aus einer tier- und vogelfreundlichen Landwirtschaft haben ihren Preis, aber den müssen wir bereit sein zu zahlen.

18. Was beunruhigt Sie für die Zukunft der Artenvielfalt am meisten?

Die menschliche Gier! Nahrungsmittel müssen möglichst billig sein, Grundstücke möglichst gross, die Liste der Reisedestinationen möglichst lang und so weiter. Aber nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch im Naturschutz muss ein Umdenken stattfinden! In einer sich wandelnden Welt müssen wir Vorgehensweisen hinterfragen, Neues ausprobieren und unbedingt besser zusammenarbeiten. Es ist für mich absolut unverständlich, dass bisweilen auch im Naturschutz die Eigeninteressen vor die Sache gestellt werden!

19. Woher nehmen Sie Hoffnung für die Zukunft der Vogelwelt?

Ich kenne viele Personen die sich mit viel Herzblut und Engagement für den Vogelschutz einsetzen. Wir müssen unsere Vorstellungen, Werte und Ziele aber noch stärker nach aussen tragen und einem breiteren Publikum zugänglich machen. In unserer Kommunikation klarer und zugänglicher werden.

20. Wenn Sie sich von der Evolution eine neue Vogelart wünschen dürften, wie würde sie heissen?

Von der Evolution kann man sich nichts wünschen, die Artbildung ist ein laufender Prozess.

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