„Da merkt man, dass die eigene Position im Universum vernachlässigbar klein ist“

Sven Melchert über professionelle Amateurastronomen, die beeindruckende Wirkung eines dunklen Nachthimmels und ein überraschendes Beobachtungserlebnis

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Das Foto zeigt den Vorstand der Vereiniung der Sternfreunde Sven Melchert im Porträt.

Sven Melchert ist Vorstand der Vereinigung der Sternfreunde, kurz VdS. In dem Verein haben sich Hobbyastronomen aus ganz Deutschland, einige auch aus der ganzen Welt, zusammengeschlossen, um gemeinsam ihrem Hobby nachzugehen. Die VdS wurde 1953 gegründet und geht aus der Tradition des Bundes der Sternfreunde 1921 hervor. Neben gemeinsamen Beobachtungen setzt sich die VdS heute für einen dunklen Nachthimmel ein, trägt das Wissen über Astronomie in die Öffnetlichkeit und veranstaltet seit 2003 auch den bundesweiten Astronomietag.

Felicitas Mokler: Herr Melchert, am Samstag den 20. März ist Astronomietag. Was hat es mit dieser Aktion auf sich?

Sven Melchert: An diesem Tag bieten Sternwarten, Vereine und lokale Astronomiegruppen quer über Deutschland verteilt Himmelsbeobachtungen und Vorträge an. Damit wollen sie das Interesse für die Astronomie in die Öffentlichkeit tragen.

Die Vereinigung der Sternfreunde hat diesen Tag 2003 ins Leben gerufen und er wird nach wie vor von uns zentral organisiert. Anlass war damals die Mars-Opposition im August, also dem geringsten Abstand von Mars zur Erde. Nun findet der Astronomietag jedes Jahr im März statt, seit 2020 zusätzlich auch im Herbst.

Worum dreht sich der Astronomietag in diesen Jahr?

Das Motto in diesem Jahr ist „Ein Ausflug in die Kraterlandschaft des Mondes“. An diesem Abend steht der Mond hoch am Himmel, wie es im Frühjahr zu einem zunehmenden Mond oft der Fall ist. Und gerade der Mond bietet sich zur Beobachtung von allen Orten aus an, also auch mitten in der Stadt, und man muss dazu nicht unbedingt an einen dunklen Ort fahren.

Der zunehmende Halbmond.
Der Mond eignet sich gut als Beobachtungsobjekt auch aus der Großstadt.

Wegen der Pandemiesituation werden die meisten Planetarien und Sternwarten zurzeit geschlossen sein…

Davon muss man nach der aktuellen Lage ausgehen. Wir haben das schon vor längerer Zeit als Online-Veranstaltung ausgerufen: Es sind natürlich erheblich weniger Teilnehmer, rund 40 sehe ich jetzt – sonst sind es um die 200, aber damit müssen wir unter den Bedingungen in diesem Jahr leider zurechtkommen. – Einige Sternwarten werden Livestreams machen, andere werden Vorträge online anbieten.

Welche Menschen treffen in der Vereinigung der Sternfreunde, der VdS, aufeinander?

Das ist ein Verein der Amateurastronomen, also all derer, die sich für Astronomie und das, was im Weltall passiert, interessieren. Die Mitglieder kommen aus ganz Deutschland, manche auch aus aller Welt.

Zu welchen Aktivitäten finden sie sich zusammen?

Wie auch in der professionellen Astronomie gibt es unter den Amateurastronomen unterschiedliche Interessensgebiete. Innerhalb der VdS gibt es dazu Fachgruppen, in denen die Mitglieder ihrem eigenen Steckenpferd nachgehen. Da gibt es einfache Dinge wie die Beobachtung von atmosphärischen Phänomenen, Regenbögen oder Sonnenhalos und was da alles an Physik dahinter steckt, bis hin zu wirklich semi-professionellen Fachgruppen wie den Kleinplanetenbeobachtern. Die führen Positionsmessungen von Kleinplaneten durch, die international zur Positionsbestimmung von Asteroiden und Kleinplaneten herangezogen werden. – Das ist die Seite des Hobbys oder der praktischen Astronomie, und ein zweiter wichtiger Aspekt des Vereins ist die Vernetzung…

Die da wäre?

Die VdS bietet – zwar nicht offiziell, aber gefühlt – eine Art Dachverband der Sternwarten und Astronomie-Vereine in Deutschland. Dem widmet sich seit gut fünf Jahren die Fachgruppe „Astronomische Vereinigungen“; das fördert den Austausch sehr.

Und die VdS sieht ihren Auftrag auch darin, der Popularisierung der Astronomie zu dienen. Das heißt, wir wollen nicht nur diejenigen ansprechen, die sich ohnehin schon irgendwie für die Astronomie interessieren. Auf unserer neuen Webseite haben wir daher eine große Rubrik für Einsteiger eingerichtet, später wird es das auch als gedrucktes Heft geben. Und die VdS informiert regelmäßig die Presse zu besonderen Himmelsereignissen.

Strichspur des Kleinplaneten Apophis, aufgenommen vopn Sven Melchert am 6.3.2021.
Mit einer halbautomatischen Sternwarte beobachtet Sven Melchert Kleinplaneten wie hier Apophis am 6. März 2021 bei seinem Vorbeiflug 17 Millionen Kilometer in „Erdnähe“.

Wie sehen Sie den kulturellen und gesellschaftlichen Stellenwert der Astronomie?

Es gibt sehr viele Medienberichte zu astronomischen Themen, und ein sehr hohes Interesse an astronomischen Himmelsereignissen. Wenn eine Sonnenfinsternis oder eine Mondfinsternis stattfindet, will das natürlich jeder anschauen – oder wenn wie jüngst eine neue Sonde auf dem Mars landet. Das Interesse reicht auch bis hin zu den existenziellen Fragen: Wie ist das Universum entstanden und was hat es für eine Zukunft, wo und wie wird es enden? Aber es mangelt doch sehr an Grundlagenwissen. Da versuchen wir natürlich mit unseren Publikationen aufzuklären. Der überwiegende Teil unserer Mitglieder sind aber eher stärker Interessierte, die schon den ersten Schritt gemacht haben und sich ein genauer mit einem Thema befassen wollen.

Das eine ist das Wissen darum und die Neugier, wie etwas funktioniert, das andere vielleicht auch das Verständnis des Großen und Ganzen, das das Geschehen auf der Erde ein bisschen zurechtrückt…

Ja, das gehört dann zum eher philosophischen Teil. Da merkt man, dass die eigene Position im Universum vernachlässigbar klein ist, und man nimmt sich vielleicht selbst nicht mehr ganz so wichtig – was im Alltag den Menschen natürlich nicht wirklich leicht fällt.

Ein wichtiges Erlebnis ist dabei sicher auch, einmal unter einem richtig dunklen Nachthimmel zu stehen und das auf sich wirken zu lassen…

Viele fangen an, sich für Astronomie zu interessieren, wenn sie in abgelegenen Regionen in südlichen Ländern im Urlaub waren und dort zum ersten Mal die Pracht der Milchstraße über sich sehen. Dann sind sie völlig begeistert. Von Deutschland oder von Mitteleuropa aus wird das immer schwieriger. Grund dafür sind die Auswirkungen der Industrie – und weil wir wollen, dass es nachts draußen hell ist, dass es sicher ist, dass wir uns orientieren können. Aber der Preis, den wir dafür bezahlen, ist eben, dass wir keine oder nur sehr, sehr wenige Sterne sehen.

Nimmt sich die VdS auch dieses Themas an?

Deswegen gibt es auch eine der Fachgruppen in der VdS, die sich mit dem Thema Lichtverschmutzung befasst. Das hat in den letzten Jahren zur Gründung von mehreren sogenannten Sternenparks geführt. Das sind Regionen, die sich internationalen Vorschriften unterwerfen, welche Art von Beleuchtung eingesetzt werden kann, damit das Licht möglichst nur auf den Boden und nicht in den Himmel strahlt. So haben wir es hier als Menschen zwar nachts noch hell, aber der Nachthimmel bleibt trotzdem möglichst dunkel.

Die VdS hat letztens zusammen mit der Astronomischen Gesellschaft auch ein Statement zu den neu aufkommenden Megakonstellationen veröffentlicht…

Megakonstellationen sind Satellitenverbünde. Satelliten gibt es ohnehin schon reichlich. Am Nachthimmel sind sie als sich bewegende Lichtpunkte zu erkennen. Jetzt gibt es Firmen, in erster Linie die Firma SpaceX, die mehrere tausend Satelliten in niedrige Erdumlaufbahnen schicken möchten und das auch schon in einigen Portionen getan haben. Dabei besteht die Gefahr, dass durch diese zunehmende Anzahl von Satelliten der Nachthimmel von den Lichtern der Satelliten dominiert wird und man sie kaum noch von den Sternen unterscheiden kann.

Die Starlink-Satelliten zeichnen sich als helel Spuren vor dem dunklen Himmel ab.
Spuren der Starlink-Satelliten am 20. Januar 2020.

Das dürfte auch Profiastronomen stören…

Zum Glück gab es schon Einsprüche seitens der Profiastronomen und Simulationen, so dass SpaceX bei den Satelliten nachgebessert hat und diese nicht mehr ganz so auffällig sind. Aber man sieht sie doch, besonders in den Tagen nach dem Start. Und wir reden hier von Starts ungefähr alle vierzehn Tage mit jeweils etwa 60 neuen Satelliten, die doch für einige Wochen sehr hell am Himmel zu sehen sind. Das kann uns als Liebhaber des Sternenhimmels natürlich nicht gefallen. Daher gab es diese Pressemitteilung gemeinsam mit der Gesellschaft deutschsprachiger Planetarien und der Astronomischen Gesellschaft, also der Vereinigung der Profiastronomen in Deutschland.

Inwiefern besteht da Aussicht darauf, dass das von der Politik aufgegriffen wird? Elon Musk hat hier derzeit recht freie Hand, da das Weltraumrecht diesen Bereich nicht abdeckt.

Ja, das ist ein Problem. Es ist nicht viel geregelt, und eine gesetzliche Handhabung gibt es im Moment nicht. Aber das heißt nicht, dass man den Mund halten muss. Wir können trotzdem darauf hinweisen, dass das für den Sternenhimmel nicht gut ist. Und wie vorhin erwähnt, als die Profiastronomen das nach den ersten Starts dieser Satelliten getan haben, hat SpaceX durchaus reagiert. Die verschließen sich also nicht komplett. – Das ist fast so ein bisschen anstrengend wie beim Umweltschutz: Obwohl jeder weiß, dass man die Umwelt schützen muss, tun es dann doch nur wenige; da muss der stete Tropfen auch den Stein höhlen. Man darf eben nicht schweigen, auch wenn das erst einmal rein auf dem Papier wenig Aussicht auf Erfolg hat.

Sven Melchert neben seinem Teleskop bei der Beobachtung des Venustransits am Morgen des 12. Juni 2012.
Sven Melchert bei der Beobachtung des Venustransits am Morgen des 12. Juni 2012.

Eine persönliche Frage: Wie sind Sie selbst zur Astronomie gekommen?

Ich mache Astronomie seit meiner Jugend. Wie es dazu gekommen ist, kann ich Ihnen nicht ganz genau sagen. Aber irgendwann kam das erste Fernrohr. Dadurch hat sich mein Interesse verstärkt, und dann bin ich 1987 in die Vereinigung der Sternfreunde eingetreten. Anschließend habe ich Physik und Astronomie studiert und mittlerweile das Glück, mit dem Thema im Medienbereich mein Geld zu verdienen.

Beobachten Sie nach wie vor selbst?

Ja. Wobei das im Leben natürlich so seinen Schwankungen unterliegt und auch von den Bedingungen am eigenen Wohnort abhängt. Ich wohne mitten in Stuttgart, da gibt es keinen so fantastisch dunklen Himmel, obwohl er immer noch für mich akzeptabel ist. Und ich nutze Urlaube und Expeditionen an andere Orte zum Beobachten von bestimmten Ereignissen.

Haben sie ein Lieblingsobjekt?

Ich mag gerne Kometen, und zwar diejenigen, die besonders hell am Himmel stehen. Von denen gibt es nur wenige. Und wenn es möglich ist, beobachte ich auch Planeten: Mars war beispielsweise im vergangen Herbst ganz toll. Jupiter wird das Objekt für diesen Sommer werden. Aber man muss sich als Hobbyastronom immer nach dem richten, was aktuell gerade am Himmel zu sehen ist, und was das Wetter zur Beobachtung dann erlaubt.

Und es gibt Himmelsereignisse wie die große Konjunktion im Dezember, bei der sich die Planeten Jupiter und Saturn sehr nahe standen. Das war für unser Leben eine einmalige Gelegenheit, und das möchte man auch gesehen haben.

Der Komet C2020F3 NEOWISE am Dämmerungshimmel über Stuttgart am 20 Juli 2020.
Der Komet C2020F3 NEOWISE über Stuttgart am 20 Juli 2020.

Was war Ihr außergewöhnlichstes Beobachtungserlebnis?

Vor einigen Jahren – da waren wir zum Beobachten draußen bei dunklen Bedingungen – zog eine Leuchtspur über den Himmel. Das sah zunächst aus wie eine große Sternschnuppe. Aber eine Sternschnuppe dauert nur eine Sekunde oder kürzer, und das Objekt hat sich in viele, viele Einzelteile zerlegt und ist langsam rötlich verglüht. Später hat sich herausgestellt, dass das eine Raketenstufe von einer russischen Rakete war, die wieder in der Atmosphäre eingetreten ist. Das war schon enorm beeindruckend.

Herr Melchert, vielen Dank für das Interview!

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