Der Vater des anderen Lebens

Philip Rosedale träumt seit seiner Jugend von einer dreidimensionalen virtuellen Realität. Dank der technischen Fortschritte bekommt sein Traum neuen Aufwind. Er ist überzeugt: Eines Tages wird die Realität nur eine Option unter vielen sein.

13 Minuten
Ein Mann mittleren Alters mit etwas kantigem Gesicht und bereits angegrauten blonden Haaren lächelt ganz leicht in die Kamera. Er steht in einem Raum im industriellen Look.

Wenn Philip Rosedale das zeigen will, was ihn seit seiner Kindheit beschäftigt, dann reicht er ein Virtual-Reality-Headset, Kopfhörer und Controller und verschwindet selbst hinter einem Headset, „kommen Sie mit!“, ruft er noch, auch wenn er nirgendwo hingeht, zumindest sein physischer Körper nicht. Und doch betritt er eine andere Welt, „hier, das ist meine Welt“, sagt er, während die Besucherin noch mit der Technik kämpft. Schon in den ersten Minuten eines Interviews mit dem 46jährigen Unternehmer werden die Prioritäten fühlbar – er ist in der Virtuellen Realität, schneller als man schauen kann. Sein Körper steht noch hier in diesem Raum, aber er ist längst woanders.

Und auf einmal löst sich die schnöde Realität in Luft auf: die unverputzte Steinmauer im „High Fildelity“-Lab am Rande der Innenstadt von San Francisco verschwindet, die Bücher im Regal, die Tracker in den Ecken des Raumes, die dunklen Vorhänge vor den Fenstern, die sowohl die Sonne als auch das graue Draußen vor den Fenstern zwischen überquellenden Müllcontainern, Graffitites und Obachlosen vom konzentrierten Drinnen trennt; und all die fleißigen Programmierer und Entwickler, die hier vor Bildschirmen sitzen und nahezu geräuschlos vor sich hin arbeiten.

Stattdessen betritt Rosedale mit seiner Besucherin eine üppige grüne Landschaft, große Fliegenpilze, saftiges Moos – und ein paar seltsame Gestalten: eine schaurig dürre, bleiche Frau ganz in Schwarz, die eine Rose im Haar und Hände wie „Edward mit den Scherenhänden“ hat: eine Art dreigliedrige Zange an jeder Hand. Und eine braunhaarige Dame in einem rosa Balettkleid, mit Schmetterlingsflügeln und einer mehrstöckigen Torte auf dem Kopf. Rosedale selbst hingegen ist vergleichsweise hübsch: er scheint zwanzig Jahre jünger geworden zu sein, seine grauen Haare sind verschwunden, er ist ein blonder Jüngling, dessen graues T-Shirt über der Brust spannt und locker über einen angedeuteten Waschbrettbauch fällt. „Hej Michelle, wie geht’s?“ begrüßt er die rosa Frau, dann plaudern die beiden ein wenig über das echte und das virtuelle Leben, schließlich bittet Rosedale die Besucherin weiter in den Wald, vorbei an kleinen Felsblöcken, über grünen Waldboden, es scheint beinahe ein wenig moosig zu riechen, auch wenn das nicht sein kann.

„Wenn es um so etwas wie eine zweite Realität geht, dann sind immer alle ganz aufgeregt“

„Das ist meine Welt“, sagt Rosedale nochmal bei diesem Spaziergang in den Virtuellen Welten von High Fidelity, und seine Stimme klingt dabei wie die eines stolzen Vaters, der sein Baby präsentiert. Vor zwei Jahren, im April 2016, hat er die Beta-Version dieses Treffpunktes in der Virtuellen Welt eröffnet – und auf einmal schienen all seine Träume wahr zu werden: eine alternative Realität zur hiesigen scheint möglich. Und genau genommen ist Rosedale tatsächlich der Vater dieser Idee – und genau diese Geschichte hat ihn auch ein wenig vorsichtig werden lassen.

Denn einen solchen Moment gab es schon einmal in seinem Leben, als er Journalisten durch seine alternative Realität führte, seine Option für ein alternatives Leben: 2006 gründete er mit seinem damaligen Unternehmen Linden Lab Second Life, eine damals von zweidimensionale Plattform im Internet, die schnell durch die Decke ging. Innerhalb von kürzester Zeit tummelten sich dort eine Millionen Avatare, es entstand eine eigene Ökonomie, die Nutze eröffneten florierende Geschäfte, gründeten Unternehmen, bauten ganze Städte. Die Sehnsucht nach einem alternativen Leben schien groß zu sein. „Wenn es um so etwas wie eine zweite Realität geht, dann sind immer alle ganz aufgeregt“, sagt Rosedale, vorallem Journalisten seien angetan gewesen von dem Konzept, Portraits von Rosedale erschienen in allen großen Zeitungen und Magazinen.

Doch dann ging es auf einmal bergab mit Second Life. Die Plattform stagnierte drei Jahre nach ihrer Gründung, verlor schließlich aktive Nutzer, wurde totgesagt – auch wenn sie bis heute lebt. Doch in bescheidenem Umfang. Einige tausend Nutzer seien nach wie vor aktiv, einige Zig lebten gar nach wie vor von den Geschäften, die sie dort betrieben, beispielsweise dem Design von Avataren. Aber von all dem weiß Rosedale nichts mehr so genau, denn zwei Jahre nach dem Niedergang trat er zurück und verließ 2009 das Unternehmen Linden Labs schließlich. Sein Traum war zum ersten Mal gestorben.

Die Physik der echten Welt kommt in die Computer

Und jetzt dieser Luftballon! „Hier, fangen Sie!“, ruft der virtuelle Rosedale auf einmal und wirft einen großen roten Ballon in die Luft. Wer intuitiv die Arme ausstreckt- im echten Leben und damit zeitgleich im Virtuellen –, fängt ihn kurz darauf mühelos auf. Die Controller, die Rosedale und seine Besucherin im echten Leben in den Händen halten, haben sich hier in Hände verwandelt, die dem Nutzer gehorchen wie echte Hände. Ebenso mühelos kann man den Ballon wieder in die Luft werfen – er gehorcht der Physik eines Luftballons, lediglich sein Gewicht ist nicht zu spüren. „Fast wie echt“, sagt Rosedale, und ein stolzes Grinsen ist dabei in seiner Stimme zu hören, auch wenn die Mimik seines Avatars eher ernst bleibt.

Um zu verstehen, wieso dieser Luftballon Rosedale heute so glücklich macht, muss man weit zurück in die Vergangenheit, bis zum pubertierenden Philip, der damals zwei Dinge nahezu gleichzeitig entdeckt: Computer und Physik. „Beides hat mich fasziniert, und ich habe mich gefragt, wie man beides miteinander verbinden kann.“ Sein Traum, die Physik der echten Welt in den Computer zu bringen, resultiert aus dieser Zeit, als er mit 16 erste Computer-Netzwerke baute, noch bevor es das Internet gab, und phantasierte, wie er eines Tages die Welt virtuell nachgebildet werden würde. Als er schließlich 1994 nach seinem Studium der Informatik und der Physik das Wesen des Internets entdeckte – Millionen vernetzter Computer, die einen ganz neuen Raum bilden –, ließ er nicht mehr locker: Weggefährten von damals erinnern sich, wie der junge Programmierer immer wieder davon anfing, der er die Physik in den Computer bringen wolle und dass virtuelle Realität möglich sein müsse.

Aber das Dreidimensionale fehlte diesem neuen Raum, so dass Rosedale seinen Traum aufschob und zunächst ein Startup für die Komprimierung von Filmen gründete, dessen Verkauf an einen Streamingdienst ihn bereits mit 28 Jahren zum Millionär machte.

Mit Matrix überfiel ihn sein eigener Traum

Der Film Matrix sei schließlich der Auslöser gewesen, etwas in seinem Leben zu ändern, sagt er: Seine eigener Traum überfliel ihn im Jahr 1999 hinterrücks durch diesen Film. Schließlich wird dort eine Realität beschrieben, die nur in den Gehirnen der Menschen existiert und dennoch so perfekt ist, dass diese sie für die Realität halten. Eine virtuelle Realität! Physik im Computer!

Rosedale wurde klar, wie drängend sein Traum nach wie vor war. Es gab nur ein Problem: es war VR-Winter, erste Versuche von virtuellen Realitäten waren gescheitert, weil die Technik noch nicht weit genug war. Niemand glaubte mehr an VR – außer Rosedale. Aber auch ihm war klar, dass es noch zu früh war, eine dreidimensionelle alternative Realität zu schaffen. So schuf er eine Zweidimensionale, Second Life, der Rest ist Geschichte. Doch wer das sagt, rechnet nicht mit Rosedale.

Von Zweifeln geplagt, schien er zwar zunächst seinen Traum aufgegeben zu haben, gründete 2009 ein für seine Verhältnisse langweiliges, bodenständiges Unternehmen und bewies damit vorallem eines: dass er Unternehmer genug ist, um auch das zum Erfolg zu bringen, das ihn nur am Rande interessierte. „Coffee & Power“ war eine online-Plattform, auf der Menschen Tätigkeiten kaufen und verkaufen können und mit einer eigenen Währung bezahlen. Rosedale aquirierte in Rekordzeit Risikokapital in Höhe von einer Million Dollar, es lief gut, „Rosedale is back“ titelten die großen Zeitungen – aber glücklich war Rosedale nicht.

„Leute, wir hören hier auf, wir müssen zurück in die Virtuelle Realität“

Er erinnert sich noch genau an den Tag, an dem die Hoffnung siegte: im Herbst 2011 spielte er im Büro mit einem Gyroskop, einem Sensor zur Lagebestimmung, herum – und er sah, wie schnell die Bewegungen des Sensors auf seinen Computer übertragen werden, „ich konnte keine Verzögerung wahrnehmen.“ Nachdem er einige Zeit gespielt und probiert hatte, rief er seine damaligen Mitarbeiter von Coffee & Power zusammen, es war nur eine Handvoll, und sagte: „Leute, wir hören hier auf, wir müssen zurück in die Virtuelle Realität.“

Sechs Jahre später spaziert er wie ein stolzer Großgrundbesitzer durch seinen eigenen virtuellen Wald und schwärmt noch immer von dieser Entdeckung. „Die Verzögerung beträgt nur noch 100 Millisekunden – das reicht für beinahe alles!“ Diese Verzögerung bemerken Menschen in der Regel nicht, und das ebnet der Virtuellen Realität diesmal womöglich den Weg. Die modernen Headsets synchronisieren die echten Bewegungen der Nutzer dank dieser Gyroskope mit den Bewegungen in der virtuellen Realität: wer im echten Leben einen Schritt tut, tut den gleichen Schritt in gleicher Länge in der Virtuellen Umgebung. Dadurch entsteht der Eindruck, tatsächlich in dieser Welt zu sein, tief eingetaucht in die Immersion, wie Forscher sagen.

Für Rosedale Grund genug, alles in seinen Traum zu investieren: eine virtuelle Welt, die eines Tages kaum mehr von der realen zu unterscheiden ist – wie in Matrix. Rosedale ist kein Spinner, mit seiner Idee einer matrixartigen VR ist er nicht allein. Unter anderem der US-Philosoph David Chalmers geht ebenfalls davon aus, dass die VR eines Tages die reale Welt gleichwertig ergänzt. „Das wird keine zweite Klasse-Realität sein“, sagt er, „ich sehe nicht, wieso man in einer virtuellen Umwelt nicht ein ebenso erfüllendes und sinnhaftes Leben führen können sollte wie in der Realität.“

Geschichte mit offenem Ausgang

Nur eines fehlt nach Rosedales Geschmack: gemeinsam zu musizieren. An dieser Stelle wird seine Stimme ein wenig leiser, bescheidener, fast ein wenig traurig: „Mehr als 15 Millisekunden Verzögerung stören beim Musizieren.“ Er hofft sehr darauf, dass auch dieser Makel eines Tages behoben wird, denn für ihn ist das ein Herzstück unseres künftigen Lebens in der VR: gemeinsam Dinge zu gestalten, und dazu gehört aus seiner Sicht unbedingt auch Musik.

Doch es bleibt eine Geschichte mit offenem Ausgang. Wie und ob sich die Virtuelle Realität auf dem Massenmarkt etablieren wird, das ist offen. Die Headsets haben sich bislang schlechter verkauft als erhofft. Zudem gibt es vier oder fünf vergleichbare Plattformen in der Virtuellen Realität, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen wie Rosedales High Fidelity: sie setzen darauf, dass sich Menschen treffen können in alternativen Realitäten. Es geht dabei weniger um Spiele – sieht man einmal von Rosedales Ballspielen ab – sondern vorrangig darum, ein soziales Leben aufzubauen. Das erscheint zunächst wie ein Widerspruch, und es ist einer, der Rosedale besonders schmerzt: „Virtuelle Realität isoliert die Menschen, und es ist unsere Verantwortung, dagegen zu arbeiten.“ Wer ein Headset aufsetzt, verschwindet für sein Umfeld zwar nicht sichtbar aber mental: Sein Bewusstsein ist in einem anderen Raum.

„Dazu kommt, dass die Mehrheit der Nutzer ihre Zeit in VR in Einzelspieler-Anwendungen verbringt“, sagt Rosedale betrübt, „du bist dabei allein wie in einem Gefängnis, aber wir sind Säugetiere, deshalb sind wir sozial. Und jetzt zwingen wir die Menschen, auf eine einsame Insel zu ziehen.“ All das sei bei Second Life einfacher gewesen: die Nutzer konnten multitasken, da sie einfach vor einem Computer saßen. Sie sind nicht abwesend für andere Menschen im Raum. Aber gleichzeitig macht das die Immersion der Virtuellen Realität aus: genau das macht sie so gut, dieses Vergessen, dass man in Wirklichkeit auf dem Boden dieser Fabriketage steht und nicht in diesem saftigen Wald. Das, was Rosedale betrübt, ist gleichzeitig seine große Chance. Und es ist das, was die Menschen begeistert an Plattformen wie seiner.

Sein mitreißendes Lächeln fehlt im Virtuellen

Als Rosedale schließlich unter seinem Headset hervorschlüpft und sich das Interview wieder in die reale Welt dieser Fabriketage in San Francisco verlagert, wird klar, was gefehlt hat: Rosedales mitreißendes Lächeln beispielsweise, das sich über sein ganzes Gesicht legt und aus seinen blauen Augen strahlt, wenn er von der Zukunft spricht. Diese Zukunft, die seinem Traum immer näher kommen wird – wenn alles gut geht. Seine Begeisterung ist mitreißend, er sprudelt nur so hervor, wie er gemeinsam mit anderen an einer Lösung für die Mimik arbeiten, sei es über eine Kameraufnahme der Augen oder der Mundpartie, oder auch über die Stimme, deren Nuancen erstaunlich gut mit der Mimik korrelieren.

Später führt er einen kurzen Filmclip vor, ein Interview über der Stand der Virtuellen Realität, das er mit dem bekannten US-Techblogger Robert Scoble auf einer virtuellen Bühne geführt hat. Rosedale ist immernoch der schmale blonde Jüngling in Jeans und T-Shirt; Scoble wirkt hingegen massig. „Daran habe ich mein ganzes Leben gearbeitet!“ ruft er begeistert, „wir ziehen die ganze Menschheit um in eine andere Welt!“ Und als er den skeptischen Blick bemerkt, ergänzt er: „Es ist ein Teil unserer menschlichen Erfahrung, neue Räume zu erobern: wir haben den Ozean untertunnelt und sind ins All geflogen. Aber der größte Raum, den es gibt, der ist in den Computern.“ Und diesen ganzen Raum möchte Rosedale füllen mit Leben, mit Physik, mit Menschen. „Warum sollten wir zum Mars reisen, wenn wir etwas spektakuläreres in VR schaffen können?“

So größenwahnsinnig das klingt, so reflektiert und nachdenklich ist Rosedale auf der anderen Seite. Er mag geblendet sein von einem Kindheitstraum, der nun neuen Aufwind erhält, und er muss als Unternehmer an seine Idee glauben. Aber er schaut auch kritisch auf die realen Optionen der virtuellen Realität. Eine davon macht ihm Mut: womöglich verzichtet die Menschheit nicht auf einen Flug zum Mars, aber auf einige Flugreisen der Zukunft. Kürzlich habe ihn eine Anfrage des US-Energieministeriums erreicht: zehn bis zwanzig Prozent des Energieverbrauchs entfalle auf möglicherweise ersetzbare Flugreisen. Das Ministerium habe einen Wettbewerb ausgeschrieben für Telepräsenz-Konzepte und Business-Meetings von Avatar zu Avatar. „Die Regierung ist daran interessiert“, ruft er aus, „nicht nur wir.“

Business-Meetings werden realer in VR

In der Tat zeigen verschiedene Projekte das Potential der Virtuellen Realität für Geschäftsbeziehungen der Zukunft. Altspace experimentiert ebenso mit Meetingräumen wie BigscreenVR, wo sich Nutzer beispieslweise gemeinsam vor einen Bildschirm setzen können. Solche Konzepte profitieren von der Immersion, denn anders als in Telefonkonferenzen sind Nutzer zusammen in einem Raum und lassen sich nicht nebenbei von anderen Dingen ablenken. Sie können sich anders als in Videokonferenzen gemeinsam über Dokumente beugen, dreidimensionale Abbildungen eines Modells herumreichen oder virtuelle Modelle von künftigen Bauwerken gemeinsam begehen und Änderungen diskutieren.

Wer wird am Ende gewinnen? Eine Plattform wie Altspace VR mit ihren roboterartigen Avataren? Oder VR-Chat, das aktuell einen Boom bei den Nutzern erlebt, vielleicht wegen der großen Freiheiten, die Nutzer dort erleben? Dort schwirren kleine Katzen gleichberechtigt neben starwarsartigen Kämpfern, Drachen und vielen anderen durch die Räume – wer ein wenig Ahnung vom Arbeiten mit der entsprechenden Software hat, kann seinen Avatar frei gestalten und auch Räume aller Art bauen. Oder wird der Vater der Idee einer alternativen Welt gewinnen, Rosedale selbst? Mit seiner noch kleinen Plattform mit ein paar hundert Nutzern, die ebenfalls die Vision radikaler Freiheit in sich trägt: nicht nur der Code von High Fidelity ist offen, auch hier können die Bewohner ihre virtuelle Welt erweitern um alles, was ihnen gefällt – was den Treffpunkt bisweilen sehr bunt wirken lässt.

Konkurrenz bekommt Rosedale tragischerweise auch von dem Unternehmen, das er einst selbst gegründet hat: Lindenlab hat mit „Sansar“ ebenfalls einen virtuellen Treffpunkt gegründet. Das Konzept ist weniger offen, Nutzer können dort Räume eröffnen und darin selbst gestalten, sie können aber nicht die Welt an sich verändern wie in High Fidelity, und es gibt keinen zentralen öffentlichen Treffpunkt. Das gefällt dem Anarchisten Rosedale, wie ihn manche seiner früheren Weggefährten bezeichnen, nicht so gut: „Es ist mehr ein Spiel als echtes soziales Leben“, sagt er. Dennoch sei er mit den Gründern nach wie vor befreundet, zudem hält er Anteile an Linden: „Ich glaube an Kooperation zwischen Wettbewerbern.“

Was ist, wenn die materielle Realität besser bleibt?

Seine womöglich größte Konkurrenz ist das echte Leben, aber das will Rosedale nicht wahrhaben. „Wir konkurrieren mit der echten Welt“, sagt er – und meint es genau anders herum: „Viele Dinge können wir im Virtuellen besser machen als im echten Leben, die reale Welt ist nicht der einzige Ort, an dem wir uns aufhalten können.“

Aber was ist, wenn die Realität eben doch besser bleibt? Wieso sollten Nutzer in die Virtuelle Welt wollen, wenn sie im echten Leben Menschen haben, die sie umarmen können, wenn sie echte Mimik haben, wenn die Interaktion so viel echter ist? Ja, darüber habe er auch schon nachgedacht, sagt Rosedale ernst. Aber seine Erfahrung zeige: es gibt den Bedarf. „Schon jetzt verbringen viele Menschen viel Zeit in Virtuellen Welten.“ Es seien Menschen, deren reales Leben vielleicht nicht so glatt läuft. Die in einem wenig attraktiven Umfeld lebten, die einsam seien, die sich vielleicht aufgrund einer Behinderung nicht fortbewegen können.

Und die Virtuelle Realität wird besser werden, davon ist Rosedale überzeugt. Eines Tages werde sie kaum unterscheidbar sein von der echten Welt, „wir werden nur zurück kommen um zu essen und zu lieben.“ Die echte Welt sei dann nur noch eine Option unter vielen: „Sie ist ein historischer Platz.“ Und wer sich in diesen virtuellen Welten nicht wohlfühlt, der kann ja immer noch zurück in die Realität. In einem Interview hat Rosedale diese als „Museum“ bezeichnet.

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