The Continent

Wie eine junge Wochenzeitung von Afrikanern für Afrikaner gegen Fake News angeht und mit Klischees aufräumt

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
14 Minuten
Das Foto zeigt die Bibliothek des Rand Club in Johannesburg, an den Wänden hohe Bücherregale, auf dem Tisch die Zeitungsauslage.

Die Corona-Pandemie bedeutet für viele Printmedien eine Krise, teils sogar das Aus. Doch in Südafrika wurde eine neue Wochenzeitung gegründet: The Continent. Afrikanische Journalistïnnen schreiben darin für afrikanische Leserïnnen über ihren Kontinent und die Diaspora. Das Besondere neben einer authentisch afrikanischen Perspektive: Die Zeitung wird direkt aufs Handy geliefert. Abonnenten bekommen die Zeitung als pdf über WhatsApp oder neuerdings auch über die alternative App Signal. Der Afrika-Redakteur der südafrikanischen Wochenzeitung Mail & Guardian Simon Allison hat diese neue Publikation mit gegründet.

Die Inspiration für das besondere Vertriebsformat Ihrer neuen Zeitung stammt von der simbabwischen Medien-Organisation 263Chat, die schon früh auf soziale Medien und neue Verbreitungswege gesetzt hat, um ein Gegengewicht zur Staatspropaganda und eine unabhängige Plattform für junge Stimmen zu schaffen. Nun ist es um die Pressefreiheit in Südafrika besser bestellt als im Nachbarland Simbabwe. Warum also haben Sie sich ebenfalls für den Vertrieb über Apps entschieden?

Simon Allison: „Im Februar/März 2020 erkannten wir, dass wir es angesichts der Corona-Pandemie mit einer ernsthaften, tiefgreifenden Krise zu tun haben. Und wir fragten uns, wie wir als Journalisten darauf reagieren können. Damals kamen immer wieder Freunde und Familienmitglieder auf uns zu, um zu fragen, ob bestimmte Informationen wahr sind oder nicht. Das waren allesamt die Art von Fake News, die sich wie Lauffeuer verbreiten, wie etwa die Frage, ob man Covid-19 mit Wasserdampf heilen kann, oder die Behauptung, Bill Gates habe dieses Virus auf die Welt losgelassen, all diese komplett sinnfreien Verschwörungsmythen. Jedes Mal wenn wir nach der Quelle fragten, lautete die Antwort: WhatsApp.

Uns wurde klar, dass diejenigen, die diese Desinformationskampagnen weltweit vorantreiben in WhatsApp den idealen Verbreitungskanal gefunden hatten. Der Grund liegt meiner Meinung nach darin, dass es sich dabei um direkte, persönliche Interaktionen handelt, während sich Facebook oder Twitter als öffentliche Kanäle an eine große Anzahl Follower wenden. WhatsApp ist dagegen privat, man tauscht sich untereinander aus, einzeln oder in kleinen Gruppen, mit Leuten, die man kennt. Das heißt auch, dass sie den dort geteilten Informationen mehr vertrauen, als denen aus einer unbekannten öffentlichen Quelle.

Wir dachten also darüber nach, wie wir über diese Plattform echte, wahrheitsgemäße Nachrichten verbreiten können und erinnerten uns an Gespräche mit 263Chat-Gründer Nigel Mugamu, der in diesem Bereich Pionierarbeit geleistet hat. Nach diesem Modell haben wir eine panafrikanische, grenzübergreifende Publikation gegründet. Die Pandemie und Fake News machen schließlich auch nicht vor den Grenzen halt. “

Twitter sperrte seinen Account

Sie treten dem entgegen, was Sie eine „Informationspandemie“ nennen, insofern hatte es eine gewisse Ironie, dass Twitter kürzlich ihre Accounts gesperrt hat. Haben Sie so etwas in ihrer Karriere schon einmal erlebt?

„Nein, so etwas ist mir noch nicht passiert. Wir wachten eines Morgens auf und entdeckten, dass der The Continent Account gesperrt ist. Als ich und einige Kollegen uns darüber beschwerten, wurden wir ebenfalls aus unseren Accounts ausgesperrt. Es war ein ziemlicher Schock, zu realisieren wie viel Macht diese Plattformen besitzen, die einfach jeden Moment entscheiden können, welche Stimmen gehört werden können und welche nicht.

Natürlich habe ich Verständnis dafür, dass es ein schwieriger, vielleicht sogar unmöglicher Job ist, die Konversationen der ganzen Welt auf Plattformen wie Facebook oder Twitter zu überwachen. Diese Mechanismen sind dafür gedacht, die Verbreitung von Fake News zu verhindern. Aber es ist problematisch, wenn auch auf einmal Medienhäuser und Journalisten in diesem Netz gefangen werden.“

Gates plus Impfung gleich Fake?

Anlass war ja offenbar ein Tweet, der auf einen ihrer Artikel verwies, dabei ging es um den Zugang ärmerer Länder zu Impfungen, die Debatte über das, was hier von Aktivisten als „Impf-Apartheid“ bezeichnet wird, und um die Rolle von Bill Gates als Verfechter des Patentschutzes. War also nur ein Algorithmus, der die Schlagworte Gates und Impfung als Fake News eingeordnet hat, die Ursache für die gesperrten Accounts?

„Das dachte ich auch und diese Erklärung ergibt auch den größten Sinn. In der offiziellen Antwort von Twitter an uns hieß es jedoch: das alles habe nichts mit Bill Gates zu tun, es sei einfach ein Fehler gewesen. Aber das ist schwer nachzuvollziehen, schließlich hatten alle, deren Accounts gesperrt wurden, Bill Gates in der einen oder anderen Form genannt. Es muss also etwas mit dem Algorithmus zu tun haben. Ich hoffe, dass Twitter daran nun etwas verändert, um sicherzustellen, dass Journalisten nicht mehr davon betroffen sind.“

Zensur fast ausgeschlossen

Accounts auf Twitter oder Facebook können gesperrt werden, auf WhatsApp ist das kaum möglich. Ist dieser Schutz vor Zensur mit Blick auf autokratische Regierungen in einigen afrikanischen Ländern, auch ein Grund dafür, dass Sie sich für den Vertrieb von The Continent über WhatsApp entschieden haben?

„Es stimmt, dass dieser Kanal praktisch nicht zensiert werden kann. Die einzige Möglichkeit, die Verbreitung unserer Zeitung zu stoppen wäre es, das Internet abzuschalten. Das ist für uns eine große Stärke, die sich erst kürzlich, in der Zeit vor der Wahl in Tansania, bewährt hat. In Tansania werden die Medien extrem stark kontrolliert, freie Meinungsäußerungen unterdrückt, Zeitungen wird vorgeschrieben, was sie veröffentlichen dürfen und was nicht, etliche Internetseiten sind dort gesperrt.

Aber solange man The Continent als pdf über WhatsApp an nur eine Telefonnummer in Tansania schicken kann, kann unsere Zeitung dort auch weiterverbreitet werden. Genau das ist passiert und wir haben ziemlich viel Feedback bekommen: von tansanischen Oppositionspolitikern, die uns dafür gedankt haben, dass sie bei uns zu Wort gekommen sind, oder dass wir kritische Kommentare abgedruckt haben. Es war der einzige Weg, normale Bürgerïnnen in Tansania über diese Perspektiven zu informieren, die in den lokalen Mainstream-Medien einfach nicht vorkamen.

Für uns war das ein echtes Aha-Erlebnis: Wir haben erkannt, dass wir hier ein mächtiges Instrument haben, das Regierungen nicht kontrollieren können. Aber um ehrlich zu sein, stand dieser Aspekt für uns ursprünglich gar nicht im Mittelpunkt. Wir wollten einen einfachen Vertriebsweg finden, der allen offen steht, und so auch neue Leser erreichen, die sonst kaum Zugang zu Qualitätsmedien haben. Mit dem Zensur-Aspekt hatten wir uns bei der Gründung nicht so intensiv auseinandergesetzt. Ich wünschte ich könnte behaupten, dass das von Anfang an Teil der Idee war.“

Soziale Medien und Journalismus

Interessant ist dabei auch, dass diese Form des Vertriebs extrem flexibel ist. Seit die neue Datenschutzlinie von WhatsApp in die Kritik geraten ist, kann man sich The Continent auch auf die alternative Signal-App liefern lassen. Wie wichtig ist Ihnen diese Flexibilität?

„Sehr wichtig. Wir werden oft als WhatsApp-Publikation bezeichnet, aber eigentlich sind wir eine pdf-Publikation. Und das bedeutet, dass wir The Continent auf vielen Kanälen teilen können: Auf WhatsApp, auf Signal, über Email, als Download. Sobald es auf einer dieser Plattformen Probleme gibt, können wir schnell auf eine andere umschwenken, der Vertrieb wird nicht unterbrochen. Das ist gut zu wissen, denn ich bin mir sicher, dass wir früher oder später auf solche Probleme stoßen werden, so ist das einfach im Verhältnis zwischen Sozialen Medien und Journalismus. Und wenn es soweit ist, dann haben wir Optionen.“

Journalistisches Urteilsvermögen erwünscht

Sie haben eben von Qualitätsmedien gesprochen. Für The Continent schreiben renommierte, teils preisgekrönte Journalistïnnen aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern, keine Auslands-Korrespondenten, sondern einheimische Kollegen. Ging es dabei in erster Linie darum, dass hier wirklich Afrikaner für Afrikaner schreiben?

„Nun zunächst einmal gibt es einen praktischen Grund dafür: Unser Partner, der Mail & Guardian, ist eine finanziell nicht gerade üppig ausgestattete südafrikanische Zeitung. Wir haben nicht das Budget dafür, Korrespondenten kreuz und quer über den Kontinent zu schicken. Aber wir wollen auf einem ebenso hohen Niveau über Afrika berichten, wie die großen internationalen Publikationen.

Wir haben hart daran gearbeitet unser eigenes Netzwerk von Journalistïnnen in unterschiedlichen Ländern aufzubauen, die für uns schreiben. Dabei ist uns klar geworden, dass die Nachrichten und Artikel, die sie uns liefern, generell besser sind als das, was wir selbst auf einer Recherchereise leisten können.

Außerdem erzählen wir in The Continent andere Geschichten, als jene, die von internationalen Publikationen nachgefragt werden. Meiner Erfahrung nach entscheiden meist die Redakteure in London, Paris oder New York darüber, welche Themen aus Afrika sie ins Blatt nehmen. Wir machen das anders: Wir lassen unseren Journalistïnnen, die ja allesamt in ihrem Beruf erfahren sind, bei der Themenwahl größeren Spielraum und vertrauen ihrem Urteil. Wir fragen sie, welche Themen sie für relevant halten, wie sie sie umsetzen wollen und dann machen wir das so.

Bei uns schreiben afrikanische Journalistïnnen auch nicht nur über ihre eigenen Länder sondern liefern auch neue Perspektiven auf den Rest der Welt. Was in Indien, den USA, China oder Russland passiert, hat oft auch Konsequenzen für den afrikanischen Kontinent. Aber wir erfahren darüber nur aus zweiter Hand, über eine Art Vermittler, die ihren Sitz in westlichen Staaten haben. Das ist eine Sache, die sich verändern muss.“

Ein Schwarz-Weiß Porträtfoto des südafrikanischen Journalisten Simon Allison.
Der südafrikanische Journalist Simon Allison.
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