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Merz erst im zweiten Wahlgang Kanzler - Misstrauen gegen den CDU-Chef fördert Zweifel an Demokratie
Merz’ Beinahe-Debakel im Bundestag: Denn sie wissen nicht, was sie tun
Kraft- und planvoll will Friedrich Merz regieren – doch nun stolperte er fast auf den letzten Metern ins Kanzleramt. Was auch immer die Abgeordneten der neuen Koalition angetrieben hat, dem CDU-Chef zunächst ihre Stimme zu verwehren: In der neuen politischen Realität schaden sie damit vor allem der Demokratie. Ein Kommentar.

Politik in Deutschland hat sich verändert, das gilt auch für die Wahl von MandatsträgerInnen. Friedrich Merz musste das heute erleben. Der Parteichef der CDU erreichte erst im zweiten Wahlgang die nötigen Stimmen für die Wahl zum Bundeskanzler. Das ist ein Novum im Bundestag. Bisher wurden alle KandidatInnen im ersten Durchgang gewählt. Friedrich Merz erhielt am Ende die Stimmen von 325 Abgeordneten, die neue schwarz-rote Koalition verfügt über 328 Mandate. Im zweiten Wahlgang hatte der neue Bundeskanzler endlich die nötige Unterstützung aus den eigenen Reihen beisammen, die ihm im ersten Wahlgang noch gefehlt hatte.
Es gehört zu einer Demokratie, dass manche Entscheidung mehrere Abstimmungen benötigt. Und es ist die Stärke der deutschen Politik, dass die Abgeordneten in den Parlamenten immer mal wieder ihrer eigenen Meinung Ausdruck verleihen und nicht nur als das willige Abstimmungsmaterial ihrer Parteichefs fungieren. Friedrich Merz ist nicht der erste Amtsträger, der die nervliche Anspannung einer Niederlage im ersten Wahlgang verkraften muss. Auf der Ebene der Bundesländer ist das bereits mehreren MinisterpräsidentInnen widerfahren.
Historischer Tag für Deutschland
Trotzdem hat Deutschland einen historischen Tag erlebt. Denn die Ankündigungen der neuen Bundesregierung, „Verantwortung für Deutschland“ übernehmen zu wollen, wie es im Titel des Koalitionsvertrag heißt, passen nicht zum Auftritt des neuen Bündnisses. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass es uns gelingt, ab morgen unser Land kraftvoll, planvoll, vertrauenswürdig zu regieren“, hatte Friedrich Merz noch gestern, nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags, gesagt. Nun wäre er fast bei der Wahl ins Amt an mangelndem Vertrauen in den eigenen Reihen gescheitert. Kraftvoll und planvoll sehen anders aus.
Merz kennt politische Niederlagen
Friedrich Merz kennt politische Niederlagen. Heute hat er sein Lebensziel erreicht, er wird das Wahlergebnis wegstecken. Aber die StrippenzieherInnen der Koalition müssen demnächst ihre Fraktionen bei jeder wichtigen Abstimmung auf Kurs halten, sonst trudelt die Regierung dahin. Wahrscheinlich wird niemals durchsickern, ob die mangelnde Unterstützung bei der Kanzlerwahl eine Attacke auf den nicht überall beliebten Kandidaten gewesen ist. Oder ob die Abgeordneten von CDU/CSU und SPD tatsächlich mit dem eigenen Koalitionsvertrag unzufrieden sind und deshalb dem Kanzler oder seinem Vize Lars Klingbeil einen Denkzettel verpassen wollten. Sicher sind auch persönliche Enttäuschungen im Spiel, denn jede Besetzung eines Postens in Partei, Fraktion und Ministerium hat die Hoffnung auf die politische Karriere derjenigen zerstört, die es nicht geworden sind.
Man mag Verständnis für solch kleinkariertes Denken und die Binnensicht der Abgeordneten auf ihre eigenen Parteien haben. Aber die Außenwirkung des Abstimmungsverhaltens ist fatal. Es füttert die falsche und gefährliche Erzählung, dass die etablierten Parteien und mit ihnen das gesamte demokratische System am Ende wären. Die AfD verbreitet diese Falschaussagen. Sie behauptet gern, dass die etablierten Parteien keine handlungsfähigen Regierungen mehr bilden könnten, sondern nur den Mangel verwalten. Die Verantwortlichen der rechtsextremistischen Partei haben nach dem ersten Wahlgang sofort ihre staatszersetzenden Mühlen laufen lassen und ihre Lautsprecherfunktion ausgeübt. Und sie scheuen sich nicht zu sagen, dass sie unsere Demokratie zerstören wollen. Das belegt auch die jüngste Bewertung des Bundesverfassungsschutzes anhand von vielen Beispielen.
Demokratie ist manchmal anstrengend
Der Bundestag hat heute einmal mehr gezeigt, dass Demokratie und freie Abstimmungen nicht immer einfach sind und manchmal anstrengend. Es ist und bleibt das gute Recht und sogar die Pflicht der Abgeordneten, nach ihrem Gewissen abzustimmen. Doch die Mitglieder der künftigen Regierungskoalition müssen sich gleichzeitig fragen lassen, ob sie sich der Auswirkungen ihres Handelns wirklich bewusst waren. Wer inhaltlich mit einzelnen Punkten des Koalitionsvertrags nicht einverstanden ist, sollte das vorher sagen und kann sich in den Ausschüssen des Bundestags für bessere Lösungen einsetzen.
Erst das Scheitern der Ampel, nun die Schlappe von Friedrich Merz im ersten Wahlgang: Die Politik gerät zunehmend unter Druck. Die Koalition und alle demokratischen Parteien müssen jetzt beweisen, dass sie das Leben der Menschen in Deutschland verbessern und Probleme lösen können. Denn Deutschland lebt von einer starken Demokratie.