Vergiftetes Klima

Im westafrikanischen Mali nehmen Konflikte zu. Der Klimawandel ist einer der Gründe.

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
10 Minuten
Traditionell gekleidete Jäger der Dogon posieren für ein Foto mit einer Waffe, die sie nach eigenen Angaben von Fulani erbeutet haben.

Auf dem Viehmarkt der malischen Hauptstadt Bamako spielen Kinder zwischen Schafen und Kühen, neben Strohhaufen und Futtertrögen stehen notdürftige Hütten. Dutzende Vertriebene haben hier Zuflucht gesucht. Sie alle sind Dogon und Bauern, haben bis zu ihrer Flucht im Zentrum des Landes gelebt. Früher war das kleine Volk vor allem wegen seiner rituellen Maskentänze und astrologischen Kenntnisse berühmt. Doch seit einigen Monaten sind die internationalen Schlagzeilen anders. Es geht um Morde und Massaker, die Dogon sind mal Täter und mal Opfer. Auf der anderen Seite stehen die Fulani, ein Hirtenvolk – ebenfalls mal Täter und mal Opfer.

Portrait eines älteren Mannes in einem Stall. Hinter ihm steht eine Ziege.
Mahamad Guindo, Chef des Dogon-Dorfes Yara. Er hat auf dem Viehmarkt von Bamako Zuflucht gesucht.

Mahamad Guindo zählt sich zu den Opfern. Aber „es ist sehr schwer, die gegenwärtige Krise zu verstehen“, sagt der Chef des Dorfes Yara im Zentrum von Mali. „Die Angreifer reden mal vom Heiligen Krieg, mal von Weideland für ihre Tiere. Wir wissen nicht, was sie wollen.“ Der Dorfchef, der um die 80 Jahre alt sein mag, sitzt neben Schafen und Rindern auf einem Bettgestell aus rohem Holz. Bewaffnete Islamisten hätten sein Dorf in diesem Frühjahr aufgesucht und erst einmal über ihre Religion gesprochen. Kurze Zeit später seien sie wiedergekommen, hätten die Menschen aus ihrem Dorf vertrieben oder getötet. An der Seite der Islamisten sah Guindo Nachbarn, die er gut kannte. Wie die Islamisten gehörten sie zum Volk der Fulani, sie lebten in einem eigenen Teil des Dorfes. Die Dogon dagegen sind Bauern. Beim Anblick seiner Nachbarn sei ihm klar geworden, dass die Religion, von der die Islamisten zunächst gesprochen hatten, nur ein Vorwand war. „In Wirklichkeit geht es um unser Land, es ist sehr gutes Weideland“, glaubt der Dorfchef. „Die Fulani denken offenbar, dass sie uns nur vertreiben müssten, um Weideflächen für ihre Tiere zu kriegen.“ Er ist davon überzeugt, dass sich seine Nachbarn organisiert hätten, um die Bauern mit Hilfe der Islamisten in die Flucht zu schlagen. Die halbnomadischen Fulani seien auf der Suche nach Weideland, weil ihre angestammten Weideflächen im Sahel wegen der häufigen Dürren inzwischen zu trocken seien. Deshalb begehrten sie nun die Felder der Dogon, die weiter südlich liegen, weiter von der Wüste entfernt.

Klimawandel und Konflikt

Tatsächlich hat sich das Klima in Mali in den vergangenen Jahren verändert. Das bestätigt der Klimatologe Hartmut Behrend, der in Mali für die deutsche staatliche Entwicklungshilfe arbeitet, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ. Behrend zufolge hat sich die Durchschnittstemperatur im Sahel seit 1960 um knapp ein Grad erhöht. Die Wasserverfügbarkeit sei seit 1980 um fünf Prozent zurückgegangen. Behrend leitet ein Projekt, das Mali bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels unterstützten soll. Die machen sich durch Wetterextreme bereits deutlich bemerkbar: Die Regenzeiten wurden sehr viel unregelmäßiger, die Starkregen heftiger, die Überschwemmungen größer. Für die Bauern bedeutet das, dass ihr Anbau unsicher geworden ist. „Niemand weiß, wann er aussäen soll“, fasst der Klimatologe zusammen. Wird zur falschen Zeit gesät, bleibt die Ernte mickrig oder fällt sogar aus, selbst wenn irgendwann später womöglich doch noch ergiebiger Regen fällt.

Behrend forscht seit mehr als 30 Jahren zum Klimawandel. Zu seinem Spezialgebiet wurde der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Konflikten. Anfangs arbeitete er dazu im Auftrag der Bundeswehr, denn Behrend ist Beamter der deutschen Armee und der GIZ nur „ausgeliehen“. Schon seit 2007 interessieren sich Bundeswehr und NATO für den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Sicherheitsfragen. Im Sahel „sind das an erster Stelle „Ressourcenkonflikte, die aufgrund der Erhöhung der Temperatur, der geringen Verfügbarkeit von Wasser und des Rückgangs der Nahrungsmittelproduktion entstehen“, sagt Behrend.

Kühe und Schafe sind auf einem Viehmarkt in Mali. Die Schafe liegen unter einer Überdachung aus Stroh und Ästen.
Auf dem Viehmarkt von Bamako hausen jetzt ein paar Dutzend Vertriebene.

Was das für das Leben der Menschen bedeutet, können unter anderem die Vertriebenen auf dem Viehmarkt von Bamako berichten. Dort drängen sich an diesem Vormittag Frauen, Männer und Kinder um ein paar Reissäcke. Gespendet wurden sie von einem malischen Geschäftsmann, dessen Verwandtschaft unter den Vertriebenen ist. Der alte Dorfchef Mahamad Guindo sitzt ein paar Meter vom größten Trubel entfernt. Er erzählt von der Gewalt, die ihn und andere Bewohner aus dem Dorf Yara nach Bamako trieb. Vordergründig flohen sie vor islamistischer Gewalt, die in Mali weit verbreitet ist. Auch die Bundeswehr ist deshalb dort im Rahmen einer UN-Mission im Einsatz. Nach Yara kamen die Islamisten zum ersten Mal in diesem Frühjahr. „Sie hatten keine alten Jagdflinten, sondern moderne Waffen“, erinnert sich Guindo. „Die Leute wurden panisch und ergriffen die Flucht.“ Die Islamisten hätten alle zurückgerufen und die Bevölkerung beruhigt: Niemand brauche Angst zu haben, sie seien nicht gekommen um zu töten, sondern um mit den Menschen über den wahren Islam zu sprechen. „Aber dann haben sie uns auch noch erklärt, dass sie in unserem Dorf eine Basis errichten wollten und wir Yara deshalb verlassen müssten.“

Ein paar Tage später seien die Islamisten wiedergekommen. Sie hätten den Bewohnern des Dorfes ein Ultimatum gestellt: Sie müssten das Dorf bis drei Uhr in der Nacht verlassen haben. Andernfalls würden sie schon sehen. „Die meisten Bewohner sind in Nachbardörfer geflohen“, berichtet der Alte. Außerdem hätten sie alle ihre Tiere in Sicherheit gebracht. „Um fünf Uhr morgens sind die Islamisten zurückgekommen. Sie haben überall herumgeschossen, mit Sprengsätzen und Kalaschnikows, mit Granatwerfern.“ Nur sieben Menschen waren in Yara zurückgeblieben, „die haben sie alle getötet. Und sie haben das Dorf in Brand gesetzt“. Und dabei auch die Getreidespeicher und alle Lebensmittelvorräte verbrannt.

Regelmäßige Angriffe, Unklare Täterschaft

„Fast jeden zweiten Tag finden Angriffe statt“, berichtet der Leiter der Menschenrechtsabteilung der UN-Mission für Mali, Guillaume Ngefa, über die Lage im Zentrum des Landes. Mal zwei oder drei, mal einer am Tag. Mit Toten oder ohne. „Aber selbst wenn die Angreifer unbeteiligte Zivilisten verletzen, ohne sie zu töten, ist das ein schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte.“ Im Zentrum von Mali eskalieren die blutigen Konflikte zwischen Dogon und Fulani seit 2015. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden allein im vergangenen Jahr 500 Zivilisten Opfer der Gewalt, und zwar Dogon und Fulani. Die Anzahl und die Grausamkeit der Übergriffe haben in den vergangenen Monaten weiter zugenommen. Die UN-Menschenrechtsabteilung ermittelt immer wieder nach Massakern und Übergriffen. Als Täter gelten Selbstverteidigungsgruppen der jeweiligen Volksgruppen und Bewaffnete in Uniformen. Das seien allerdings keine Soldaten der malischen Armee, sagt Guillaume Ngefa. Es gebe in der Region mittlerweile etliche bewaffnete Gruppen, die teils militärisch organisiert seien. Wer dahinter steckt, kann auch Ngefa nicht mit Sicherheit sagen: bewaffnete Islamisten, kriminelle Gruppen oder ausländische Söldner?

Portrait von Guillaume Ngefa.
Guillaume Ngefa leitet die Menschenrechtsabteilung der UN-Mission in Mali.

Dorfchef Mahamad Guindo allerdings glaubt ja zu wissen, worum es bei dem Angriff auf sein Dorf ging: um fruchtbares Weideland. Dabei hätten Fulani und Dogon früher zum beiderseitigen Gewinn miteinander gelebt. „Die Fulani sind Nomaden. In der Regenzeit ziehen sie mit den Tieren nach Norden, um sie dort weiden zu lassen“, beschreibt Guindo das frühere Muster. „Nach der Ernte kommen sie zurück und lassen die Herden auf unseren abgeernteten Feldern fressen.“ Die Rinder, Schafe und Ziegen waren den Bauern willkommen, denn ihr Dung verbesserte die Fruchtbarkeit des Bodens. „So haben wir immer zusammen gelebt.“

Von diesem Zusammenleben berichtet auch Abdoul Aziz Diallo. Der emeritierte Professor der Sozialwissenschaft ist Präsident der Fulani-Kulturorganisation Tabital Pulaaku. Auch er beschreibt, dass die Menschen in Mali einen Modus entwickelt hatten, in dem sie einträglich miteinander leben konnten – „bis die Folgen des Klimawandels spürbar wurden“. Im Zentrum von Mali spielt der mächtige Niger-Fluss eine wichtige Rolle, und er prägte auch das jahreszeitliche Muster, nach dem die Menschen der Region die Landschaft nutzten. Früher stieg der Niger jährlich über die Ufer, der Schlamm düngte die Felder. „Das Hochwasser war die Zeit der Fischer“, sagt Diallo. „Wenn das Wasser wieder fiel, fanden die Hirten ideale Weideflächen für ihre Tiere. Wenn das Wasser noch weiter abgelaufen war, fingen die Bauern an, ihre Felder zu bestellen.“ Die Menschen nutzten das Ökosystem also in einem Rotationsprinzip. „Jeder hatte Arbeit, sie lebten in Frieden und ergänzten einander.“ Inzwischen hat sich vieles verändert: „Der Niger tritt nicht mehr über die Ufer. Außerdem ist die Bevölkerung stark gewachsen.“

Kollaps tradierter Systeme

In Folge von Klimawandel und Bevölkerungswachstum sind die Ressourcen noch knapper als früher. Deshalb funktionieren die tradierten Managementsysteme für die Ressourcen nicht mehr, erklärt auch Baba Dakono, der Büro des afrikanischen „Instituts für Sicherheitsstudien“ ISS in Bamako leitet. Im 19. Jahrhundert sei zwischen Bauern und Hirten klar geregelt gewesen, wer das Land wann nutzen darf. Eine Weidesatzung legte fest, wann die Nomaden ihre Herden zu anderen Weidegründen treiben durften. Dadurch war geregelt, dass die Wanderung nicht in die Erntezeit fiel. „Die Bauern bestellten also ihre Felder, und wenn alles abgeerntet war, kamen die Hirten von den nördlichen Weideflächen zurück, die Tiere zogen über die Brachflächen.“ Außerhalb dieser festgelegten Zeiten mussten die Hirten mit ihren Herden festgelegte Wanderrouten nutzen, die neben den Feldern verliefen. „Es gab also bestimmte Mechanismen, die das Verhältnis der verschiedenen Berufsgruppen zueinander regelten und dafür sorgten, dass es möglichst wenige Konflikte gab.“

Durch den Klimawandel seien die Regenzeiten unberechenbar geworden – auch für die Nomaden, die auf dem Rückweg von ihrer Wanderung vielleicht überraschend mit ihren Tieren mitten in einem erntereifen Feld stehen. Hinzu kommt laut Dakono, dass die Böden mit der zunehmenden Trockenheit verarmen und die Bauern weitere Felder angelegt haben, auch auf den traditionellen Wanderwegen der Nomaden. „Die Tiere sind dann praktisch gezwungen, über ein Feld zu gehen.“ Der Klimawandel sei also ein wichtiger Grund für die Konflikte, weil sich das Verhältnis zwischen den Volksgruppen durch dessen Folgen verschlechterte.

Rinder stehen auf sandigem Boden. Darauf befinden sich auch trockene Bäume.
Rinder der Fulani im Süden von Mali.

Das reicht aber nicht, um so schwere Konflikte zu erklären, wie sie derzeit beispielsweise das Zentrum von Mali erschüttern. „Kein Konflikt hat nur eine einzige Ursache“, betont Julius Jackson von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, kurz FAO. „Immer spielen mehrere Gründe auf komplexe Weise zusammen, und was den Konflikt am Ende auslöst, hängt immer vom jeweiligen Kontext ab.“ Deshalb sei es sehr vereinfachend, die Gewalt im Zentrum von Malis als nur religiösen Konflikt zu bezeichnen, oder bloß von ethnischen Zusammenstößen zwischen Hirten und Bauern zu reden. Schließlich gehen Hirten und Bauern nicht plötzlich aufeinander los, nur weil sie zu unterschiedlichen Ethnien gehören, betont Jackson. Wenn Ressourcen knapp werden, die Menschen vielleicht sogar in existentielle Not geraten, steigt natürlich das Konfliktpotential. Aber ehe die Menschen gewalttätig werden, braucht es weitere Auslöser – und das gilt nicht nur für Mali. Vielleicht fühlt sich eine Volksgruppen schon seit langem von ihrer Regierung vernachlässigt und benachteiligt, vielleicht gibt es lange schwelende Konflikte, vielleicht ungeklärte Fragen rund um Nutzungsrechte an Land, Brunnen oder anderen Wasserstellen.

Klimawandel als Verstärker

Experten wie Jackson von der FAO oder Behrend von der GIZ sehen im Klimawandel deshalb einen Multiplikator der Bedrohung, einen Verstärker von Konflikten. Er schafft sie nicht unbedingt aus dem Nichts heraus, aber er kann bestehende Spannungen und verdeckte Brüche verschärfen. Der Klimawandel kann also ein zusätzlicher Risikofaktor für Gewaltausbrüche sein und Situationen verschlechtern, die ohnehin auf der Kippe stehen. Wie eng der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Konflikten ist, war unter Experten lange umstritten. Derzeit hat sich eine Einschätzung durchgesetzt, die Jackson teilt. Sie ist auch das Ergebnis einer Studie, die das Wissenschaftsjournal „Nature“ im Juli dieses Jahres veröffentlichte. Die Autoren hatten untersucht, wie Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen den Zusammenhang zwischen klimatischen Veränderungen und Konflikten einschätzen. Ihr Fazit: Das Klima hat ohne Zweifel Einfluss auf organisierte bewaffnete Auseinandersetzungen in unterschiedlichen Ländern. Viel entscheidender sind aber andere Faktoren, darunter eine geringe sozio-ökonomische Entwicklung und ein schwacher Staat.

Abdoul Aziz Diallo von der Fulani-Kulturorganisation Tabital Pulaakuspitzt das noch zu: „Das Problem sind das Desinteresse des Staates, seine Abwesenheit und die Korruption“, glaubt er. „Das ist es, was uns diese ganzen Schwierigkeiten eingebracht hat. Jeder will sich bereichern, jeder will seinen Teil vom Kuchen haben.“

Streitigkeiten gab es auch früher – aber auch klare Regeln für deren Schlichtung. So wurde ein Rind, das in einen bestellten Acker getrampelt war, vom Dorfchef in Gewahrsam genommen. Der Besitzer konnte es auslösen, gegen eine Entschädigung für den Bauern. Auch bei Landkonflikten richteten die Ältesten. In der modernen Gesellschaft haben sie an Einfluss verloren. Nun müssten der moderne Staat und seine Justiz diese Rolle übernehmen, müssten Recht sprechen und Konflikte dadurch lösen. Aber die Justiz in Mali ist ein eigenes Thema. Laut der Hilfsorganisation Transparency Internationalist sei sie eine der problematischsten Bereiche in einem ohnehin durch und durch korrupten System. „Deshalb werden die Probleme und die Ursachen der Konflikte nie abschließend geklärt“, beschreibt Diallo. „Die Beteiligten werden bloß narkotisiert.“

Die Folge ist ein weit verbreitetes Gefühl von Rechtlosigkeit und Ungerechtigkeit – ein wichtiger Faktor für das Entstehen von Gewalt. „Wie Klima und Konflikt genau zusammenhängen, ist weiterhin ungewiss“, fasst Jackson von der FAO zusammen. „Trotzdem gehen wir gegenwärtig davon aus, dass auch das Risiko künftiger Konflikte steigt, wenn der Klimawandel weiter zunimmt.“ Denn es sei ja davon auszugehen, dass auch in Zukunft andere Faktoren hineinspielen werden, wie beispielsweise die Vernachlässigung von Teilen der Bevölkerung durch ihre jeweiligen Regierungen.

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