„Das Komponieren kann man nicht einfach ausstellen.“

Iris ter Schiphorst über Rhythmen, Rituale und das Komponieren in Zeiten der Pandemie

15 Minuten
Porträtfoto von Iris ter Schiphorst – eine Frau mit kurzen Haaren steht in einem Konzertsaal

Iris ter Schiphorst ist Komponistin. Die Musik, die ihr kreativer Geist erschafft, moderne Musik, will mit ihren sphärischen Klängen, ungewöhnlichen Tönen und Rhythmen beim ersten Hören nicht so recht in die (ungeübten) Ohren. Doch wer sich einlässt auf das Experiment, spürt womöglich etwas von der Wirkung der neuen Klänge, die so fremdartig gar nicht sind.

ter Schiphorsts Tun ist geprägt von der „Liebe zu dem, was klingt“, wie sie selbst sagt. Das Werk der mehrfach ausgezeichneten Komponistin ist beachtlich: 13 große Orchesterwerke, Filmmusiken, vier Opern, szenische Kompositionen, Vokalmusik, Werke für Soloinstrumente und, und, und.

Im Taktvoll-Fragebogen erzählt die Hamburger Künstlerin ein wenig darüber, welche Rhythmen und Rituale ihr wichtig sind und wie sich der Alltag einer Komponistin gestaltet.

Lerche oder Eule?

Ich war eigentlich immer eine Eule, von frühester Kindheit an, doch mit zunehmendem Alter beobachte ich eine Verschiebung hin zur Lerche…

Was gehört für Sie unbedingt zu einem guten Start in den Tag?

Ein gutes Haferflocken- Frühstück und eine Kanne grüner Tee.

Pflegen Sie eine spirituelle Praxis?

Ich mache seit Jahrzehnten Yoga.

Wie bereiten Sie sich auf ein besonderes Ereignis (ein Konzert, ein schwieriges Gespräch..) vor?

Sofern möglich gehe ich vorher zügig spazieren. Das bringt meinen Kreislauf in Schwung und gute Energie. Auch Tanzen oder Radfahren hilft, also alles, was dazu beiträgt, Spannungen abzubauen.

Was bringt Sie aus dem Takt?

Buchstäblich die Zeitumstellung! Es kostet mich immer eine Weile, danach wieder meinen Rhythmus zu finden.

Welche Jahreszeit mögen Sie besonders? Warum?

Ich liebe das Frühjahr und den Herbst. Im Frühjahr begeistert mich jedes Jahr auf’s Neue der Moment, in dem das erste Grün sich zeigt, in dem die ersten Knospen an den Bäumen zu sehen sind. Für mich immer wieder ein Wunder. Am Herbst mag ich die Farben, das Licht, den Geruch, und den Anflug von Melancholie, der sich einstellt, weil man weiß, dass all dies nur von kurzer Dauer ist und bald der dunklen Jahreszeit weichen wird.

Schreiben Sie Tagebuch?

In der Kindheit und Jugend täglich. Durch meine künstlerische Arbeit ist das klassische Tagebuch-Schreiben jedoch dem Notieren von Einfällen und Assoziationen zu den jeweiligen Projekten gewichen, an denen ich gerade arbeite. Das ist etwas Anderes. Manchmal vermisse ich das ‚richtige’ Tagebuch-Schreiben.

Welche Rituale ihrer Kindheit praktizieren Sie heute noch, evtl. jetzt mit den eigenen Kindern?

Wir haben früher in der Familie immer viel zusammen gesungen. Das habe ich später auch mit meinem Sohn gemacht. Auch das gemeinsame Kochen und Essen ist für mich ein wunderbares Ritual.

Tanzen Sie?

Zu wenig. Denn eigentlich liebe ich es, zu tanzen.

Sie kommen nach einem anstrengenden Tag nach Hause, welche Musik hören Sie?

Meistens gar keine. Denn ich höre durch meinen Beruf so viel Musik, dass ich es dann mehr genieße, wenn es einfach mal ganz still ist.

Ein freier Tag liegt vor Ihnen, was machen Sie am liebsten?

Freie Tage habe ich selten. Denn das Komponieren kann man nicht einfach ‚ausstellen’, wenn man mitten in einem Projekt steckt. Man möchte jede freie Minute weiterarbeiten, um zu sehen, wohin einen die Ideen bringen. Aber zwischendurch brauche ich immer wieder lange Spaziergänge, am liebsten in der Natur! Im Sommer gehe ich auch sehr gern zwischendurch Schwimmen.

Welche Rhythmen in der Natur begeistern Sie?

Wie oben bereits erwähnt das ‚Erwachen’ des Lebens im Frühjahr. Auf den Winter mit seiner Dunkelheit könnte ich allerdings ganz gut verzichten.

Wie sehen kleine Atempausen in Ihrem Alltag aus?

Am liebsten gehe ich – und sei es nur kurz – nach draußen, ins Kaffee oder in den Park o.ä.

Zeitung lesen: Papier oder digital?

Durch meine vielen beruflich bedingten Reisen macht es keinen Sinn, eine Zeitung zu halten, daher: digital.

Urlaub: immer das gleiche Ziel oder jedes Mal Neues entdecken?

Beides gefällt mir. Etwas Neues zu entdecken ist natürlich aufregender, aber auch anstrengender. Die Wiederkehr in eine bereits bekannte Umgebung finde ich so schön, weil es mit einem ‚Wiederfinden’ verbunden ist, von Farben, Gerüchen, Klängen…

Wie wichtig sind Ihnen gemeinsame Mahlzeiten mit dem Partner/Partnerin, der Familie?

Eine gemeinsame Mahlzeit am Tag sollte es schon sein, am liebsten am Abend! Denn es ist eine wunderbare Gelegenheit, sich in Ruhe zu begegnen und über die jeweiligen Tageserlebnisse auszutauschen.

Partnerschaft, Ihre Erfahrung: „Gegensätze ziehen sich an“ oder „Gleich und gleich gesellt sich gern?“

Beides! Eine Spur von Fremdheit finde ich spannend, weil der andere dabei immer doch ein wenig geheimnisvoll bleibt. Aber wenn es in den grundlegenden Dingen – in der Lebensauffassung, in der Art zu leben, zu lieben, zu denken, zu handeln, zu arbeiten oder in der ‚Lebens-Energie’ – zu wenig Gemeinsamkeiten gibt, kann, meiner Erfahrung nach, eine Partnerschaft nicht funktionieren.

Lesen Sie vor dem Einschlafen? Welches Buch liegt gerade auf Ihrem Nachttisch?

Ja, es liegen dort mehrere. Ganz obenauf liegt momentan ‚Die letzten Zeugen/Kinder im zweiten Weltkrieg’ von Swetlana Alexijewitsch.

Gibt es eine Zahl, die eine besondere Bedeutung in Ihrem Leben hat?

Seit ich zurückdenken kann, haben Zahlen für mich Farben. Die 22 ist zum Beispiel dunkelgrün, die 10 eher graublau.

Welche Rituale oder Rhythmen sind Ihnen unangenehm?

Immer dann, wenn Rituale zwanghaft werden und nicht mehr getragen sind von einem echten gemeinsamen Bedürfnis werden sie für mich unangenehm.

Was fällt Ihnen zum Begriff „taktvoll“ ein?

Ein Verhalten, das ich mag. Taktvoll zu sein heißt für mich, dem Anderen mit Respekt zu begegnen und seine ‚Höllen’ zu respektieren.

Wie dürfen wir uns den Arbeitstag einer Komponistin vorstellen?

Nach dem Frühstück setze ich mich an meinen Arbeitstisch, klappe meinen Computer auf, hoffe, dass nicht zu viele Emails beantwortet werden müssen und beginne dann, an meinem jeweiligen Projekt zu arbeiten. Je nach Phase des Projektes kann es Recherche sein, Übertragung von Skizzen in ein Notensatzprogramm, die Arbeit mit Audiomaterial in einer bestimmten Software und ähnliches. Mein Arbeitstisch ist sehr groß, es finden sich dort neben meinem Computer und einem sehr großen Monitor Zeichenblocks, Notenblätter, diverse Stifte, Lineale, Bücher. Nach einigen Stunden mache ich eine Pause, esse etwas, gehe – sofern zeitlich möglich, spazieren, um danach weiter zu arbeiten. Bei Termindruck kann es dann auch durchaus mal Nachtschichten geben, denn wir KomponistInnen müssen natürlich genau wie jede andere Sparte Abgabefristen einhalten.

Welchen Einfluss hat die Pandemie auf Rhythmus und Gleichgewicht in Ihrem Leben?

In Nicht-Corona Zeiten war ich wegen Proben zu unterschiedlichen Projekten sehr viel auf Reisen, das hat sich durch die Pandemie natürlich grundsätzlich verändert. Ich reise und probe kaum noch, was einerseits natürlich sehr schade ist, der Konzentration, aber auch dem Körper und dem Schlaf durchaus zu Gute kommt.

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