Unter Bäumen

Richard Powers hat mit „Die Wurzeln des Lebens“ einen streckenweise wunderbaren Roman geschrieben

von Jens Eber
6 Minuten
Buchenwald im Herbst.

Um die vorvergangene Jahrhundertwende herum gelangte Cryphonectria parasitica in die USA. In Ostasien war der Schlauchpilz als relativ harmloser Parasit der Kastanie bekannt, an seiner neuen Wirkungsstätte löste er eine Katastrophe aus.

Angenommen wird, dass der Pilz ein einer Schiffsladung Holz steckte, die im Hafen von New York gelöscht wurde. Und er fand in der Amerikanischen Kastanie einen praktisch wehrlosen Wirt: Binnen weniger Jahrzehnte brach überall in den riesigen Kastanienbeständen des nordamerikanischen Ostens der Kastanienrindenkrebs aus, der zum Absterben unzähliger Bäume führte.

Unterschiedlichen Quellen zufolge raffte der unscheinbare Pilz bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts bis zu vier Milliarden Kastanien dahin. Eine Katastrophe, die sich, wie so oft im Wald, im Zeitlupentempo vollzog. Heute gibt es in den einstigen Kastaniengebieten der USA nur noch wenige Exemplare, und die kommen kaum über das Jungwuchsstadium hinaus.

Aufgegriffen hat diese Geschichte der US-amerikanische Schriftsteller Richard Powers in seinem Roman „Die Wurzeln des Lebens“. Wo nicht der Pilz die Kastanien tötete, so beschreibt es Powers, war es der Mensch, der in Panik breite Schneisen in die Wälder trieb, um die Krankheitsausbreitung zu stoppen.

Es half nichts: „Die Äxte, mit denen sie die befallenen Äste abschlagen, verbreiten die Sporen noch weiter“, schreibt Powers. Dabei, so nimmt der 1957 geborene Schriftsteller wohl zu Recht an, wurden vermutlich auch resistente Exemplare gefällt, die die Grundlage neuer Kastanienwälder hätten bilden können. Umso mehr wird in „Die Wurzeln des Lebens“ eine weitab aller Pilzausbreitung gepflanzte Kastanie zum Symbol, fast zum Protagonisten eines Romanabschnitts.

Nun ist ein Roman zwar keine geeignete journalistische oder gar wissenschaftliche Quelle. Aber Powers hat seiner Fiktion nicht nur einen weit verzweigten Plot zu Grunde gelegt, sondern auch umfangreiche Recherche. Der Erfolgsautor hat zwar einen gut 600 Seiten starken Roman verfasst, in dem es um Bäume und Wälder geht, aber bei aller dargestellten Bewunderung, etwa für die mächtigen Douglasien im Westen der USA, und bei aller schier grenzenlosen Zuneigung der handelnden Personen für Bäume, ist „Die Wurzeln des Lebens“ zunächst kein naturromantisches Kitschwerk, sondern weist stabile Kenntnisse der Forstwirtschaft, der Biologie und der Historie und des Wandels der Waldnutzung auf.

Das Cover des Romans „Die Wurzeln des Lebens“ von Richard Powers.
„Die Wurzeln des Lebens“ von Richard Powers erschien auf Deutsch im S. Fischer Verlag.
Ein Mann blickt in die Kamera.
Der Schriftsteller Richard Powers.