Geldspritze vom Acker: Wissenschaftler berechnen Wert von Ökolandbau für Gesellschaft
Wissenschaftler der TU München haben die Umweltauswirkungen von Öko- und konventioneller Landwirtschaft in einer Langzeitstudie verglichen. Das Ergebnis zeigt: Ökolandbau ist nicht nur gut für Klima und Natur, er kann auch Milliardensummen sparen.
Der Ukraine-Krieg und die Wirtschaftskrise treffen auch die Biobranche hart. Angesichts hoher Preise und ungewisser Zukunftsaussichten greifen immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher offenbar wieder zu konventionell erzeugten Lebensmitteln. Erstmals seit dem Aufkommen von Bioläden im großen Stil brechen die Umsätze für Öko-Erzeugnisse bundesweit kräftig ein.
„Mehr Bio“ könnte der Gesellschaft Milliarden sparen„
Nicht nur die Branche zeigt sich darüber alarmiert. Auch Wissenschaftler sorgt die Entwicklung. Die Flaute im Bio-Regal gefährde nicht allein das von der Bundesregierung ausgegebene Ziel von Biolandbau auf 30 Prozent der Agrarfläche in Deutschland, sondern könne auch auch verhindern, dass zentrale Ziele beim Klima- und Naturschutz erreicht werden, warnen Wissenschaftler der Technischen Universität München in einer am Montag auf der Grünen Woche in Berlin vorgestellten Studie.
“Mehr Bio" würde dagegen der Langzeitstudie zufolge nicht nur Natur- und Klimaschutz voranbringen, sondern der Gesellschaft auch Milliardensummen sparen.
Die Forscherinnen und Forscher um Prof. Kurt-Jürgen Hülsbergen vom Lehrstuhl für Ökologischen Landbau und Pflanzenbausysteme haben mehr als ein Jahrzehnt lang die Umwelt- und Klimawirkungen ökologischer Agrarbetriebe im Vergleich zu konventionell wirtschaftenden Höfen analysiert.
Zwischen 2009 und 2021 haben sie die Wirtschaftsweisen auf 40 ökologischen und 40 konventionellen Betrieben in verschiedenen Agrarregionen Deutschlands untersucht. Dafür haben sie umwelt- und klimarelevante Daten erhoben – wie die Emissionen von Treibhausgasen und Stickstoff, den Energieaufwand und die Humusbildung in den Böden. Für die Treibhausgas- und Stickstoffemissionen als besonders klima- und biodiversitätsschädliche Komponenten haben sie Umweltkosten berechnet und verglichen.
Artenreicher, treibhausgasärmer und nachhaltiger.
Die Ergebnisse der Analyse fielen eindeutig aus. Danach haben Ökobetriebe artenreichere Fruchtfolgen und einen geringeren Tierbesatz. Sie wirtschafteten als sogenannte „Low-Input-Systeme“ nachhaltiger, ohne chemisch-synthetische Dünger und Pflanzenschutzmittel und mit einem geringeren Einsatz fossiler Energien. Auch in der Bewirtschaftungsweise erwiesen sich die Ökobetriebe als wesentlich naturfreundlicher, weil die Intensität der Landnutzung im Durchschnitt durch weniger Bearbeitungsgänge geringer war. Soweit dürften die Ergebnisse einigermaßen erwartbar sein.
Überraschend sind die Ergebnisse aber bei der Analyse der Umweltkosten, die durch die unterschiedlichen Nutzungsformen entstehen. Diese Kosten fehlen in betriebswirtschaftlichen Rechnungen bis heute. Die oft als wenig rentables Zuschussgeschäft angesehene Biobranche erspart der Gesellschaft demnach in jedem Jahr Umweltkosten in Milliardenhöhe.
Der geringere Stickstoffeinsatz führe zu weniger Ausstoß von Treibhausgasen und gewässerschädigenden Nitraten, der Verzicht auf chemische und synthetische Dünger spare erhebliche Mengen fossiler Energien ein, die bei der Herstellung von Düngemitteln gebraucht werden, und die positiven Wirkungen des Humusaufbaus aufgrund der vielfältigen Fruchtfolgen ließen ökologisch bewirtschaftete Böden zu Treibhausgasspeichern werden. Das vielfältige Leben von Bodenorganismen helfe, die Erträge langfristig stabil zu halten, so das Fazit der Forschenden.
„Ökolandbau spart schon heute 1, 5 Milliarden an Umweltkosten ein“
Die durch Ökolandbau erzielten Kosteneinsparungen werden in der Studie auf 750 bis 800 Euro pro Hektar beziffert. Bei der gegenwärtigen Bio-Agrarfläche von rund 1, 8 Millionen Hektar ergibt sich eine gesellschaftliche Entlastung durch Biolandwirtschaft in Höhe von 1, 5 Milliarden Euro pro Jahr. Bei Erreichen der Zielmarke von 30 Prozent Öko-Flächenanteil würden sogar Umweltkosten von vier Milliarden Euro in jedem Jahr allein in Deutschland eingespart.
Die Forscher empfehlen der Bundesregierung, mit zusätzlichen Anreizen zu versuchen, das selbstgesteckte Ziel eines 30 prozentigen Anteils des ökologischen Landbaus bis 2030 zu erreichen. 2021 betrug der Anteil dem Bundeslandwirtschaftsministerium zufolge 10, 9 Prozent, vor zehn Jahren waren es 6, 1 Prozent. „Je schneller die Umstellung auf ökologischen Landbau erfolgt und je größer die Öko-Anbaufläche ist, um so größer ist die Umweltentlastung und Kosteneinsparung für die Gesellschaft“, heißt es in der Kurzfassung des Gutachtens.
Die Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium, Silvia Bender (Grüne), nannte die Studie „einen wahren Schatz an Informationen“, der eine klare Botschaft sende. „Der Öko-Landbau bietet Antworten auf Artensterben und Klimakrise.“
Die Transformation zu einer ökologischeren Landnutzung zur Lebensmittelproduktion ist auch ein wichtiges Ziel des Ende Dezember in Montreal verabschiedeten Weltnaturschutzabkommens. Zwar wurde auf Druck einiger Länder ein explizites Ökolandbau-Flächenziel für die Staatengemeinschaft nicht in das globale Rahmenabkommen übernommen. Die Staaten der Erde verpflichteten sich aber darauf, die Artenvielfalt auf landwirtschaftlichen Flächen „unter anderem durch eine deutlich verstärkte Anwendung biodiversitätsfreundlicher Praktiken“ bis 2030 zu fördern.
Geringere Erträge durch Ökolandbau – Ausgleich durch Aus für „Biosprit“
Diskutiert wird allerdings auch, wie stark durch extensivere Landwirtschaft nach den Methoden des Ökolandbaus die Erträge pro Hektar sinken. Die Umweltorganisation Greenpeace geht in ihrem 2017 erschienenen „Kursbuch Agrarwende 2050“ von der Annahme aus, dass allein ein Verzicht auf Pflanzenschutzmittel die Erträge pro Hektar zwischen 20 und 40 Prozent reduzieren könnte. Ausgeglichen werden könnte dies zum Beispiel damit, dass auf den Agrarflächen kein Getreide und Pflanzenöl für Biosprit mehr angebaut wird, wie Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) dies durchsetzen will. Der Flächenbedarf könnte auch sinken, wenn der Fleischkonsum zurückgeht und weniger Tierfutter angebaut werden muss. Bleiben Konsummuster allerdings gleich, könnten geringere Erträge in Deutschland den Import von Nahrungsmitteln aus anderen Weltregionen forcieren.
Der Weltnaturvertrag, den 196 Staaten Ende Dezember in Montreal beschlossen haben, sieht als Alternative oder als Ergänzung zur weiteren Extensivierung für den Schutz der Biodiversität auch eine „nachhaltige Intensivierung“ vor. Dies bedeutet, auf umweltschonende Weise mehr aus weniger oder gleichen Flächen herauszuholen. Methoden, die dafür diskutiert werden, sind digitale Unterstützung des Anbaus durch Satellitendaten und Drohnen oder biotechnisch Verfahren wie neue Pflanzensorten, die mit Hilfe genetischer Editierungsverfahren entstehen. Dieser Ansatz wird im klassischen Ökolandbau abgelehnt.