Die wachsende Angst vor verschmutztem Trinkwasser

Ein Zukunftsszenario

vom Recherche-Kollektiv die ZukunftsReporter:
8 Minuten
Die Sonne scheint auf einen Wasserhahn, aus dem sauberes Trinkwasser läuft.

Stellen wir uns doch einmal vor, die Angst vor verschmutztem Wasser steigt. Welcher Aufwand ist für sauberes Trinkwasser gerechtfertigt? Ein Zukunftsszenario der ZukunftsReporter.

Benedikt Larson ging nervös auf und ab, während er auf den Makler wartete. Die Suche nach einer neuen Wohnung nervte ihn. Er hatte schon viele Zugeständnisse gemacht, aber einige Dinge waren für ihn nicht verhandelbar. Als Aquaner war es sehr schwer, eine passende Bleibe zu finden. Die Küchen der Wohnungen, die er sich bisher angeschaut hatte, boten keinen ausreichenden Platz für einen zusätzlichen Wassertank und den Flaschenbefüller. Larson kaufte sein Trinkwasser direkt aus Südamerika, am liebsten aus dem Quellgebiet der Amazonas-Flüsse. Europäisches Wasser hatte er seit zehn Jahren nicht mehr getrunken.

Diesmal hatte der Makler gesagt, die Wohnung sei für Aquaner geeignet. Ein schwarzer SUV hielt direkt vor dem Haus. Die Fahrerin stellte das Auto neben den Papiercontainern ab. Die Frau, die ausstieg, kannte Larson von dem Foto auf der Webseite der Holding, die das Gebäude vermarktete: Elli Lowener. Die Chef-Verkäuferin hatte sich die Zeit genommen, den ungewöhnlichen Kunden selbst zu bedienen.

Sie begrüßten sich mit einem kurzen Händedruck. „Sie suchen eine Wohnung mit speziellem Wasserkonzept?“, fragte Lowener. Larson nickte und vermutete, dass sein Gegenüber nur wenig über Aquaner wissen würde. Doch die Maklerin zeigte sich gut vorbereitet. „Ich habe selten mit Aquanern zu tun. Darf ich Sie fragen, warum Sie kein Leitungswasser benutzen?“ Larson hörte diese Frage oft, obwohl der Anteil der Aquaner in der Bevölkerung langsam wuchs. „Das stimmt ja nicht: Wir Aquaner benutzen auch Leitungswasser, aber wir verwenden es weder zur Essenszubereitung noch zum Trinken oder zum Händewaschen.“ Larson berichtete über die Rückstände, die regelmäßig im Leitungswasser gefunden werden: Spuren von Medikamenten, nicht abbaubare Süßstoffe, Hormone, Mikroplastik, Pflanzenschutzmittel, der Wirkstoff der Anti-Baby-Pille und sogar Kokain. „Ich möchte mich diesem Risiko nicht aussetzen. Die Konzentrationen sollen zwar unter den Grenzwerten liegen, aber ich traue den Grenzwerten nicht“, erklärte Larson. Er kannte einige Menschen, die unter den Folgen der chronischen Giftportion litten. Die Ärzte nahmen die Sorgen Aquaner oft nicht ernst, aber er wusste, dass einige Frauen nicht schwanger werden, weil sie auf die Hormone im Wasser reagieren. „Auch in bin einer dieser empfindlichen Menschen. Seit ich sauberes Wasser trinke, fühle ich mich viel besser“, erklärte Larson.

Lowener öffnete die Tür zur Wohnung in der vierten Etage: „Wollen wir gleich in die Küche gehen?“ Larson nickte. Er bemerkte erfreut, dass die Türen breit genug waren, um die 350-Liter-Behälter hantieren zu können, in denen sein Wasser geliefert wurde. Für den Tank war eine Nische in der Wand vorgesehen, direkt davor bot sich Platz für die Kochstation mit den Dampfdrucktöpfen und dem Heißwasserhahn für Tee oder Kaffee. Das Wasser aus Brasilien war sehr teuer, deshalb garte er das Essen nur mit nur dem Dampf aus etwa 100 Milliliter Flüssigkeit. Zudem füllte sich Larson jeden Tag zwei Liter Wasser in Glasflaschen ab. Für das alles wäre genug Platz.

Die Maklerin störte ihn in seinen Überlegungen. „Die Küche verfügt über keinen Wasseranschluss“, sagte sie, „wollen Sie das Becken zum Händewaschen und den Tank für die wasserfreie Waschlotion in die Wand einlassen? Ich nehme an, dass Sie damit auch die Spülmaschine betreiben, oder?“ Larson freute sich, dass sich die Maklerin informiert hatte. „Auf jeden Fall“, antwortete er, „Teller und Tassen dürfen nicht mit Leitungswasser in Kontakt kommen, die Gifte könnten daran haften bleiben.“

Elli Lowener musste sich auf die Zunge beißen. Widerspruch war nicht angebracht, denn der Kunde würde viel Geld für die Vermittlung bezahlen. Aber sie persönlich hatte noch Vertrauen in die Qualität des Trinkwassers aus dem Wasserhahn. Das Leitungswasser in Deutschland war nicht schlechter geworden; wenn sich Schadstoffe im menschlichen Gewebe angesammelt haben, so war ihre Konzentration doch sehr niedrig. Dennoch hatten die Aquaner Angst vor den Folgen. Durch die immer empfindlicher werdenden Analysemethoden war in den letzten Jahren die Liste der Stoffe angewachsen, die im Wasser nachgewiesen worden waren und nicht hineingehören. Aber die Dosis war immer so niedrig, dass die Behörden versicherten, für die Verbraucher bestehe keine Gefahr. Lowener dachte an ihr eigenes Verhalten: Sie nutzte das Wasser zum Kochen und Trinken, an einem freien Wochenende nahm sie manchmal sogar ein intensives Vollbad – ganz nackt selbstverständlich und nicht mit einem Schutz für Mund, Nase und andere Körperöffnungen, wie ihn die Aquaner beim Duschen verwenden, damit kein Wasser in den Körper eindringen kann.

„Werden Sie eine Waschmaschine aufstellen?“, fragte sie. Benedikt Larson reagierte gereizt. Das war einer der Punkte, mit denen Kritik am Lebensstil der Aquaner geübt wurde. Der Vorwurf: Aquaner beanspruchen für sich sehr sauberes Wasser, aber sie verschmutzen das der anderen. „Leider kann ich das nicht verhindern“, sagte er, „aber ich habe eine Maschine mit spezieller Filtertechnik, die sehr wenig Leitungswasser benutzt. Und ich verwende aquane Waschmittel, die binnen weniger Stunden wirklich vollständig abgebaut werden. Wir wertschätzen die Natürlichkeit des Wassers, das tun leider nicht alle.“ Larson konnte sich diese Spitze gegen die Maklerin nicht verkneifen. „Wasser hatte viele Jahre keine Lobby. Jeder durfte Produkte herstellen, deren Rückstände von Kläranlagen und Filtern nicht beseitigt werden können. Die Industrie hat diese Verschmutzung billigend in Kauf genommen und die Menschen und die Tiere gefährdet. Erst durch den Protest der Aquaner beginnt sich daran etwas zu verändern.“

„Unser Wasser ist sauber“, protestierte Elli Lowener nun doch. „Jedenfalls sauber genug, dass wir kein Wasser aus Brasilien oder aus dem Himalaya importieren müssen. Sie plündern die letzten Naturreserven.“ „Genau das tun wir nicht. Wir bezahlen einen nachhaltigen Preis und betreiben aktiven Naturschutz, weil die Wasserschützer strenge Kontrollen durchführen. Die Menschen in den Quellgebieten leben sehr gut davon, dass wir ihnen das Wasser abkaufen“, erwiderte Larson. Er wollte weiter ausholen und erklären, wie das Wasser durch den Menschen gequält wird. Doch dann zögerte er, weil er die Wohnung nicht durch einen Streit mit der Maklerin verlieren wollte. „Liebe Frau Lowener, mir gefällt die Wohnung sehr gut. Ich möchte sie gern kaufen. Wollen wir die Einzelheiten beim Mittagessen besprechen?“, fragte er und wertete ihr Lächeln als Zustimmung. „Ich möchte Sie gern einladen. In dieser Stadt gibt es das erste aquane Restaurant. Dort werden alle Speisen mit garantiert sauberem Wasser gekocht. Die haben sogar einen aquanen Wein.“