Cannabis aus dem Bio-Reaktor

Die synthetische Biologie ist ein aufstrebendes Forschungsgebiet. Sie nutzt Bakterien als Bio-Fabriken. Ein Zukunftsszenario.

vom Recherche-Kollektiv die ZukunftsReporter:
9 Minuten
Cannabis-Pflanze und Forschung, ein Wissenschaftler untersucht die Blätter

Stellen wir uns einmal vor, die Biotechnologie entwickelt sich vom Nischenprodukt zu einer Produktion mit industriellen Mengen. Hauptdarsteller sind Bakterien, Hefe und Algen. Ihr Stoffwechsel ist das Ergebnis des Designs von Ingenieuren. Ein Zukunftsszenario der ZukunftsReporter.

Für Betriebsleiter Chris Janneck beginnt der Tag mit einem unangenehmen Gespräch. Die Sicherheitskontrolle seines Unternehmens hat einen Vorfall gemeldet, um den er sich kümmern muss. Zwei seiner Mitarbeiter aus der Fermentation waren mit Spuren von Hasch im Blut erwischt worden. Jeder Angestellte der Bacteria-Power AG muss zu Schichtbeginn einen Tropfen Blut abgeben. Formell geht es um Prophylaxe: Die Mitarbeiter des Biotechnologie-Unternehmens werden zum eigenen Schutz auf fremde Bakterien getestet. Doch natürlich bemerken die Analytiker während der Untersuchung auch einen erhöhten Gehalt an Cannabinoiden im Blut.

Janneck denkt sofort an Diebstahl: Wollten die beiden Mitarbeiter mit den Bakterienkulturen der BP AG auf eigene Rechnung handeln? Das wäre keine Überraschung. Schließlich hat die Firma die größte Produktion des Rauschmittels in ganz Europa. Ein Teil davon geht als Arzneimittel an Krankenhäuser, die größere Menge verkauft das Unternehmen inzwischen aber an Privatkunden.

Janneck blickt von seinem Büro direkt auf die zehn metallenen Fermenter in der Produktionshalle. Im großen Edelstahlkessel ganz rechts an der Wand produzieren Milliarden Bakterien die begehrten Cannabinoide, mehr als genug um den Bedarf in Deutschland zu decken. Die kleinen Biester arbeiten ziemlich effektiv. Am ersten Tag im neuen Unternehmen hatte er damit gerechnet, es läge ständig der typische Duft einer Kifferkneipe in der Produktionshalle, aber aus den Fermentern dringt nichts nach außen. Wenn überhaupt etwas in der Nase kitzelte, dann der typische Geruch von Hefe, der dann zu vernehmen war, wenn die Mitarbeiter einen der Kessel öffneten. „Guten Morgen, Chef, wir melken heute." Der Schichtführer steht in der Tür, Janneck hat ihn nicht kommen hören. „Melken", nennt es das Team, wenn die Kessel der Milchproduktion geöffnet werden.

Bacteria-Power ist nicht nur Marktführer bei Cannabinoiden, die Firma stellt auch lactosefreie Milch, Proteine aus Hühnereiern und Himbeeraroma her. Natürlich, ohne dafür Tiere zu belasten. Was die Zellen im Huhn oder im Euter einer Kuh können, ist nicht an den Organismus gebunden. Die Enzyme funktionieren genauso gut in Hefe, die Biotechnologen hatten deren DNA entsprechend umgebaut. Jannecks Milch benötigt keine Antibiotika und kommt mit viel weniger Fläche aus. Er zeichnet das Produktionsprotokoll ab, das der Schichtleiter ihm vorlegt. Wenn gemolken wird, dürfen nur Mitarbeiter mit einer speziellen Sicherheitsausbildung die Halle betreten. Aber dieser Vorgang ist längst Routine bei BP.

Es klopft an der Tür. Lina Olssen und Nick Herwig schauen herein. „Sie hatten um ein Gespräch gebeten, da sind wir", sagt Lina, als sie das Büro betritt. „Setzen Sie sich", antwortet Janneck. Auf dem Bildschirm seines Computers erscheint die Personalakte seiner Besucher mit den Ergebnissen der Blutanalyse. Olssen und Herwig sind Studenten, die nur in den Semesterferien und am Wochenende im Betrieb arbeiten. Seit drei Jahren gehören sie zum Personal, die Bewertungen sind alle ausgezeichnet. Warum sind die beiden zu Dealern geworden? Janneck überlegt, wie er das Gespräch beginnen soll. Die beiden wirken überhaupt nicht angespannt, eher euphorisch. Also geht er direkt ins Thema: „Kiffen Sie manchmal?". „Nein" sagt Herwig und auch Lina Olssen schüttelt sofort den Kopf. „Bitte lügen Sie mich nicht an", antwortet Jannick, „Wir haben Cannabinoide in ihrem Blut gefunden. Und zwar nicht wenig. Sie wissen, dass wir Sie nicht weiter beschäftigen können, wenn Sie sich nicht an die Sicherheitsvorschriften halten und BP bestehlen." Er macht eine Pause. „Sie haben bisher einen guten Ruf bei uns. Also erklären Sie mir bitte, was passiert ist", ergänzt er mit ernster Stimme.

Nick Herwig wird nervös. „Ich habe doch gesagt, dass BP es herausfindet", sagt er in Richtung Lina Olssen. Doch die lächelt nur. „Sie wissen, dass wir LifeScience studieren, genauer gesagt den Schwerpunkt synthetische Biologie", erklärt Lina. Was sie dann erzählt, kann Chris Janneck kaum fassen. Die beiden Studenten haben die Cannabis-Bakterien als Studienobjekt mitgenommen und aus Neugierde an der Uni die DNA analysiert. Das war einfach, denn Gen-Analysen bilden an der Uni einen festen Bestandteil der Ausbildung. Dann haben sie das Genom mit anderen Varianten in den Datenbanken verglichen und nächtelang über die Unterschiede diskutiert. „Lina ist aufgefallen, dass zwei Gene in der Hefe nicht so stark aktiviert sind, wie es sinnvoll wäre", sagt Nick Herwig, „Es gibt Forschungsarbeiten aus Kanada, die ein ähnliches Problem behandeln und dort wurde das Design der DNA etwas verändert, sie haben sie verlängert." Nick holt seinen Laptop aus dem Rucksack und zeigt ein paar Skizzen, deren Inhalt Chris Janneck sofort versteht. Es ist nur eine einfache Änderung, aber die Auswirkungen sind vermutlich gravierend. Sie schafft mehr Platz für die großen Moleküle, die während der Produktion der Cannabinoide entstehen.

Janneck macht ein Foto der Skizze und tippt auf seinem Mobiltelefon auf das Profil des Geschäftsführers. „Hallo Peter, hier ist Chris", sagt er. „Hast Du die beiden Stellen in der Entwicklungsabteilung schon besetzt?", fragt er, „Sonst hätte ich dafür zwei sehr gute Kandidaten.. Ich schicke Dir mal ein Foto." Lina Olssen und Nick Herwig können Peters Antwort nicht verstehen. Chris Janneck wartet ein bisschen, dann sagt er nur: „Ja, die beiden können schon morgen anfangen. Den Rest regele ich mit ihnen."