„Pay five dollars more“

Die Flüsse in Pakistan werden durch Abwässer der Textilindustrie verdreckt. Stellen wir uns vor, die Menschen wehren sich deshalb gegen unser Konsumverhalten. Ein Zukunftsszenario.

vom Recherche-Kollektiv die ZukunftsReporter:
8 Minuten
Einfluss der Textilindustrie auf die Umwelt in Pakistan. Dieser Fluss in Punjab ist intensiv gefärbt durch Farbreste aus dem Ablauf einer Färberei.

Stellen wir uns doch einmal vor, die Menschen in Pakistan würden plötzlich lautstark etwas einfordern, was in Deutschland selbstverständlich ist: sauberes Wasser. In großen Demonstrationszügen ziehen sie durch die Straßen von Lahore und Karatschi. „Nehmt Euern Dreck wieder mit“, skandieren die Demonstranten, „unsere Kinder sollen gesund aufwachsen“. Sie solidarisieren sich mit den Arbeitern der Textilindustrie, die schon seit Wochen streiken. Ein Zukunftsszenario der ZukunftsReporter.

Pakistans Gewässer haben sich in der Nähe der Betriebe in Kloaken verwandelt. Die übel riechenden Abwässer fließen offen durch die Stadt. Der Protest der Menschen richtet sich zunächst gegen die großen Textilfirmen in Europa und den USA, die in dem asiatischen Land produzieren. Doch mittlerweile wissen die Pakistani, an wen sie sich wirklich wenden müssen. Die Demonstranten greifen direkt die Konsumenten an. Sie skandieren: „Pay five dollars more“. Längst hat sich der Protest auf die Fußgängerzonen in Europa ausgeweitet: Die pakistanischen Arbeiter haben mehrere Zeltlager vor den großen Shopping Malls errichtet. Die Five-Dollar-Bewegung fordert einen solidarischen Aufschlag für jedes Kleidungsstück und will damit die Arbeitsbedingungen in den Betrieben verbessern, Kläranlagen bauen und das Bewässerungssystem für den Baumwollanbau optimieren.

Die Reaktionen sind geteilt. Es gibt (verhaltene) Zustimmung, aber viele Unternehmen haben ihre Produktion bereits in andere Länder verlagert, wo die Bevölkerung weniger kritisch ist. Die Firmenchefs verweisen auf Tausende neuer Arbeitsplätze für die notleidende Bevölkerung und werden freundlich empfangen. Die Karawane zieht weiter. Die europäische Zollbehörde kündigt die Einführung von Strafzöllen für Produkte an, die nicht umweltfreundlich hergestellt werden. Damit soll Druck auf die produzierenden Länder ausgeübt werden. Das finanzstarke China hat bereits reagiert und Investitionen in Milliardenhöhe für eine saubere Produktion angekündigt, die Pakistan nicht aufbringen kann. Jetzt müssen die Textilarbeiter der Five-Dollar-Bewegung damit rechnen, den Job zu verlieren.

Aber keine Sorge. Diese Demonstrationen gibt es nicht. Unsere Kleidung bleibt so günstig, wie sie ist.

Blick in die Färberei eines Textilveredlungsbetriebes in Lahore in Pakistan. Umweltschutzstandards werden nur selten eingehalten.
Färberei eines Textilveredlungsbetriebes in Lahore

Wenn die pakistanische Bevölkerung gleiche Umweltstandards wie in Europa fordern würde, hätte das FiW ein Projekt, das als Basis dienen könnte. Die Aachener koordinieren das Projekt „InoCotton GROW“. „Wir testen in Pakistan die erste Anaerob-Anlage zur Reinigung von hochbelasteten Textilabwässern aus der Entschlichtung“, erklärt Projektleiter Frank-Andreas Weber, ein Prozess, bei dem nach dem Webevorgang ein vorher aufgebrachter Schutzfilm abgewaschen wird. Die Pilotanlage wäre, wenn sie denn funktioniert, einfacher und billiger als eine klassische Abwasserreinigung und würde der Firma auch noch Biogas für die Warmwasserbereitstellung produzieren. Sie könnte auch Ländern helfen, die in einer ähnlichen Situation stecken. Andere Projekte sollen den Wasserverbrauch der Textilmaschinen verringern und die Umstellung auf umweltfreundlichere Farbstoffe einleiten.

Neben diesem praktischen Ansatz leisten die Aachener Forscher und ihre Partner auch viel theoretische Arbeit. Sie messen per Satellit die Wasseraufnahme von Baumwollpflanzen, Computer modellieren die Wasserläufe in Flüssen und im Grundwasser. Denn in der Zukunft soll die Belastung für die einzelnen Länder präziser ermittelt werden. Für jedes Produkt wird der ökologische Fußabdruck berechnet. Nachhaltigkeit wird zu einer messbaren Größe. Teilweise kennen wir solche Bilanzen schon, etwa beim Treibhausgas Kohlendioxid. Der Wasser-Fußabdruck ist eines der Werkzeuge, die Umweltschutz besser quantifizierbar machen. Seit Herbst 2015 regelt eine internationale Norm, wie dieser Wert weltweit einheitlich berechnet werden muss. Doch in den meisten Ländern fehlt es schlicht an statistischen Daten, aus denen sich für die Export-Produkte ein Fußbadruck errechnen ließe.

Kritik am Wasser-Fußabdruck

Der Wasser-Fußabdruck entspricht der Menge an verbrauchtem Wasser und setzt sich aus drei Teilen zusammen. Der grüne Anteil besteht aus dem natürlichen Regenwasser, das eine Pflanze während des Wachstums aufnimmt. Er wird im Wesentlichen durch das regionale Klima bestimmt. Der blaue Anteil spiegelt die Wassermenge wider, die dem Grundwasser-Reservoir oder dem Oberflächenwasser, also Flüssen und Seen, entnommen wird. Damit werden Pflanzen bewässert oder er fließt als Prozesswasser in die industrielle Produktion. Die Baumwollproduktion in einem niederschlagsarmen Land weist automatisch einen höheren blauen Fußabdruck aus.

Der dritte Anteil, der graue Fußabdruck, ist eine rechnerische Größe und wird stark von der Verschmutzung beeinflusst. Er berücksichtigt die Menge Wasser, die benötigt wird, um verdrecktes Abwasser theoretisch zu säubern. Ein Beispiel: Wenn die Schadstoff-Belastung von einem Liter Wasser zehnmal höher ist, als es die nationalen Grenzwerte erlauben, gehen zehn Liter Wasser als Ausgleich in den grauen Wasser-Fußabdruck ein. Tatsächlich sauber wird das Wasser dadurch natürlich nicht.

„Das Problem der verschmutzten Abwässer wird vom Wasser-Fußabdruck nur sehr schlecht abgebildet“, kritisiert Frank-Andreas Weber vom FiW. Der Ansatz, die Abwässer so lange zu verdünnen, bis die Grenzwerte eingehalten werden, sei keine geeignete Lösung für die Wasserprobleme, sagt der Projektleiter. Im Beispiel Pakistan trägt der graue Bereich nur zu 15 Prozent zum gesamten Wasserverbrauch bei. Das sieht nach wenig aus und mag die Verantwortlichen bewegen, lieber den Anteil des grünen und blauen Wassers zu reduzieren. Indem man die Bewässerung verbessert, lässt sich beim Fußabdruck am meisten in Richtung weniger Wasserverbrauch bewegen.

„Mindestens dasselbe Engagement müssen die Staaten bei der Reinigung der Abwässer zeigen“, fordert Frank-Andres Weber. „So wie der Fußabdruck jetzt ist, führt er zu falschen Entscheidungen.“ Denn die 15 Prozent graues Wasser zu verringern, würde den Menschen und der Umwelt deutlich mehr bringen. „Das bisherige System zählt Wasser einfach nur in Litern, dabei hat jeder Liter eine Wirkung und die kann ganz unterschiedlich sein“, sagt Weber. Wenn die Wirkung berücksichtigt wird, lässt sich besser entscheiden, wo Geld oder Technologie besonders ertragreich eingesetzt werden können. „Der Wasser-Fußabdruck soll ein Steuerungsinstrument werden, um lokale Entscheidungsträger bei der vorausschauenden Bewirtschaftung knapper Wasserressourcen zu unterstützen“, sagt Weber.

Die Textilindustrie ist für Pakistan wichtig. Das Foto zeigt eine Baumwoll-Plantage nahe einer pakistanischen Stadt.
Eine Baumwoll-Plantage nahe einer pakistanischen Stadt.

Doch trotz aller Schwächen scheint der Wasser-Fußabdruck nicht nur für die Textilbranche nötig, um die Produktion auf umweltfreundlichere Wege zu lenken. Die Aachener Forscher sind überzeugt, dass Umweltschäden messbar sind und sich vergleichen lassen. Als Orientierung könnten dabei die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen dienen. „Wir dürfen natürlich nicht die Wasserbelastung gegen Sozialdumping ausspielen“, sagt Weber, „das muss man ausbalancieren: Wasser, Ausbildung, Gesundheit, Mindestlöhne, Arbeitsschutz und andere Faktoren.“ Deshalb lehnt auch Bolle einen Boykott wasserintensiver Textilien mit Blick auf die Erreichung wirtschaftlicher und sozialer Nachhaltigkeitsziele in diesen weltpolitisch sensiblen Regionen ab.

Pakistan ist derzeit weit von Protesten gegen die Textilindustrie entfernt. Doch die Ereignisse des arabischen Frühlings zeigen, wie schnell Bürgerbewegungen entstehen und welche Macht sie entwickeln können. Friedrich-Wilhelm Bolle sieht einen anderen Weg, um die Situation in Pakistan zu verbessern. „Wir müssen unser Importverhalten verändern, wenn wir in den Ländern etwas bewirken wollen“, sagt er. Derzeit betreibe Europa ein Umwelt- und ein Sozialdumping, indem es billige Textilien importiert. „Das wird früher oder später zurückschlagen oder schlägt teilweise jetzt schon zurück“, erklärt Bolle und denkt dabei an neue Flüchtlingsströme. „Die Frage, wie wir unseren Konsum gestalten, daran müssen wir in Deutschland oder in Europa selber arbeiten, und diese Frage ganz weit nach vorn stellen“, ergänzt er.

Es ist ein spannender Gedanke, was passiert, wenn sich Umweltbelastung in einem normierten Verfahren messen lässt. Dann könnte man sie auch mit einem Preis belegen. Eine europäische Zollbehörde könnte die Einfuhr von Waren verweigern, die nicht einen bestimmten Mindeststandard erfüllen. Oder sie reagiert flexibel: Je ökologischer die Produktion, desto geringer die Zölle. Steigende Preise für Textilien wegen Umweltauflagen – darin würden viele Menschen den Beginn einer Öko-Diktatur sehen. Wie damals, als die Grünen forderten, dass ein Liter Benzin fünf Mark kosten müsste. Trotzdem erscheint das Anliegen der Five-Dollar-Bewegung nicht übertrieben. Mit welchem Argument wollte man dagegenhalten? Nach ersten Berechnungen der Aachener Forscher würde die Abwasserreinigung den Preis von Textilien um weniger als 50 Cent anheben.

In Pakistan arbeiten die 27 Partner im Projekt „InoCotton GROW“ derweil gemeinsam mit Baumwollfarmern und mittelständischen Textilherstellern, die teils auch nur einzelne Schritte der langen Produktionskette übernehmen. Die Ideen der Forscher fallen auf fruchtbaren Boden. „Wissen und Ausbildung werden in Pakistan hochgeschätzt“, berichtet Weber. Die jungen Ingenieure seien dort besser ausgebildet, als es die oft veraltete Technik erwarten ließe. Die Praktiker in Pakistan erzählen noch von anderen Problemen. Alle Hersteller der Textilmaschinen haben vor Ort Büros, derzeit gibt es aber kaum Firmen, die eine funktionierende Kläranlage bauen könnten.