Streit um Diesel-Pkw geht am Problem vorbei

Franz Rohrer erforscht seit 25 Jahren die Quellen von Stickoxiden in deutschen Städten. Sein Rat: Statt über Diesel-Pkw zu streiten, sollten sich die Politiker um Lkw und Busse kümmern.

vom Recherche-Kollektiv die ZukunftsReporter:
9 Minuten
Der qualmende Auspuff eines Pkw. Die Schadstoffbelastung durch Stickoxide und Feinstaub kann man nicht direkt sehen, im Foto ist weißer Qualm dargestellt.

Die Luftqualität in den Innenstädte ist eine zentrale Frage der Zukunft. Benötigen wir Fahrverbote für Diesel-Pkw, eine umfangreiche Nachrüstung oder bessere Katalysatoren? Die Zukunftsreporter haben bereits ein Szenario beschrieben, in dem die Bürger Widerstand leisten. Aber wir beschäftigen uns auch mit der Gegenwart. Dazu gehört, dass Wissenschaftler in dieser Debatte zu Wort kommen. Das passiert viel zu selten. Einer der wenigen ist Franz Rohrer. Er forscht seit 25 Jahren am Forschungszentrum Jülich an der Verteilung von Stickoxiden in den Städten. Der Atmosphärenchemiker misst die Luftbelastung durch den Verkehr. Nicht auf einem Prüfstand, getäuscht durch Schummelsoftware, sondern auf der Straße. Im Interview mit den Zukunftsreportern zeigt er einen anderen Weg auf, wie die Luft sauberer wird.


Herr Rohrer, durch die Regulierung von Diesel-Pkw soll die Luft in den Innenstädten sauberer werden. Sie sind skeptisch, ob auf diesem Weg das Problem der Überschreitung der Stickoxid-Grenzwerte gelöst werden kann. Warum?

Rohrer Dazu muss man sich nur anschauen, woher die Stickoxide in deutschen Innenstädten stammen. Aus Untersuchungen im Labor kann man die verschiedenen Quellen hochrechnen. Ein Pkw der Marke XY emittiert beispielsweise pro Kilometer eine bestimmte Menge Stickoxide. Mit der Kenntnis der Verkehrsdichte und der Art der Fahrzeuge lässt sich berechnen, wie viel Stickoxid auf einer bestimmten Strecke emittiert wird. Zusätzlich gibt es gute Labor-Untersuchungen dazu, wie sich die Abgase verändern, wenn ein Pkw oder ein Lkw mit 20, 30 oder mit 50 km/h unterwegs ist oder beschleunigt. Man kann so Stop-and-Go-Verkehr berücksichtigen. Schließlich addiert man alle Verkehrsteilnehmer und sieht, welchen Anteil jeder Einzelne an der Belastung trägt.

Was kommt dabei heraus?

Rohrer Die Lkw-Flotte, Kleintransporter und Busse emittieren – so wie sie heute unterwegs sind – unserer Berechnung nach mehr als 50 Prozent der Stickoxide in deutschen Innenstädten. Die Einsparmöglichkeiten sind dort deswegen viel größer als bei den Diesel-Pkw, die nur ein Drittel der Stickoxide verursachen.

Sie sprechen von Laborwerten. Meinen Sie die offiziellen Messwerte von den Prüfständen, bei denen geschummelt wurde und die den Diesel-Skandal ausgelöst haben?

Rohrer Nein, wir verwenden Werte, die aus dem Labor stammen, aber dem realen Verkehr entsprechen. Der Diesel-Skandal ist entstanden, weil bei den Pkw die Katalysatoren auf der Straße aus verschiedenen Gründen gezielt abgeschaltet wurden. Bei den Lkw trifft das nicht zu. Da gibt es keinen Skandal. Generell funktionieren dort die SCR-Katalysatoren, die die Stickoxide abfangen. Aber das gilt nur, wenn ständig eine große Motorleistung abgefordert wird, wie es auf der Autobahn der Fall ist. Der Abgasstrang unter dem Lkw ist dann sehr warm und die Entfernung der Stickoxide durch die SCR-Kats arbeitet zuverlässig. Aber auf den Straßen in der Innenstadt herrscht oft Stop and Go. Rote Ampeln, Busse stoppen an Haltestellen, Müllfahrzeuge halten an Mülltonnen. Dadurch kühlt der Katalysator ab und funktioniert nicht mehr. In den Innenstädten hat die Abgasreinigung der Lkw und der Busse ein Temperaturproblem.

Heißt das, die Lkw fahren durch die Innenstadt, als hätten sie gar keinen Kat?

Rohrer So könnte man das beschreiben. Es kommt darauf an, wie gut die Abgasnachbereitung arbeitet. In der Innenstadt fährt ein Lkw nur wenig, aber er emittiert viel. Bei 25 km/h emittiert ein Lkw fünfmal mehr Stickoxide als im Mittel auf der Autobahn. Die Lkw-Flotte ist zu 90 Prozent noch Euro 5, die haben fast alle das Temperaturproblem. Dann kommen Sie schnell darauf, dass Lkw und Busse in der Innenstadt eine dominante Rolle spielen.

Porträt von Franz Rohrer
Franz Rohrer ist Atmosphärenchemiker am Forschungszentrum Jülich. Seit 1984 beschäftigt er sich intensiv mit Stickoxidchemie. Seit 2006 ist er Leiter der Abteilung „Energiebezogene Emissionen“ am IEK-8 Troposphäre.
Messfahrzeug des FZ Jülich
High-Tech: Dieses Fahrzeug des FZ Jülich ist ein fahrendes Labor. Vollgestopft mit Messtechnik kann es während der Fahrt in Echtzeit die Belastung der Luft mit Schadstoffen messen. Das Ergebnis: Obwohl eine Straße stark belastet ist, kann schon in der Nebenstraße die Situation ganz anders sein.
Grafik zur Herkunft von Stickoxiden
Abgeschätzte Stickoxid-Emissionen (NOx) des Verkehrs in deutschen Städten, in Kilotonnen pro Jahr, 1995 bis 2015: blau: Benzin-Pkw, grün: Diesel-Pkw nach EU-konformen Grenzwerten, rot: Überschüsse Diesel-Pkw bei realem Fahrverhalten (RDE=Real Drive Emissions), gelb: Kleintransporter, Busse und Lkw) Copyright: Faraday Discuss., 2016, 189, 407, DOI: 10.1039/c5fd00180c (CC BY 3.0)