Unsere Watchlist – was kommt nach Corona?

Wir wollen aus dem Corona-Ausbruch möglichst viel für die Zukunft lernen. Doch die zweite Folge unserer Watchlist zeigt, dass in vielen Themenfeldern bisher erst wenig passiert ist.

vom Recherche-Kollektiv die ZukunftsReporter:
17 Minuten
Symbolbild zu Corona: Kind auf dem Arm der Mutter mit Maske

Ende März haben die ZukunftsReporter die erste Watchlist für die Zeit nach Corona mit elf Punkten erstellt. Sars-CoV-2 bedroht nicht nur weltweit die Gesundheit der Menschen. Das Virus dringt auch in alle Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens ein. Der Umgang mit Covid-19 verändert unseren Alltag. Unser Blick als ZukunftsReporter richtet sich bereits auf die Zeit danach. Unsere These: Wir können und müssen aus dem plötzlichen Ausbruch der Corona-Pandemie mehr lernen als nur die richtige Hygiene beim Händewaschen. Welche Veränderungen sollten wir beibehalten? Was hat gefehlt? Woran müssen wir arbeiten? Wir verfolgen viele Diskussionen, damit die Corona-Krise möglichst viele positive Folgen zeigt. Deshalb haben wir die Watchlist erstellt und nun überarbeitet. Darin sammeln wir die Themen, die wir weiter beobachten und über die wir diskutieren wollen. Ende März haben wir die erste Version der Liste erstellt. Heute – zwei Monate später – lesen Sie das erste Update zu den elf Themen. Was ist in der Zwischenzeit passiert? Ehrlich gesagt: Die Bilanz fällt dürftig aus.

Home-Office ist im deutschen Arbeitsmarkt nicht mehr nur ein Sonderfall, sondern eine reguläre Option für alle Arbeitnehmer.

Das Thema Home-Office bleibt durch die Corona-Krise im Fokus. Erste Erfahrungen aus einer Umfrage Ende März: Das Bayerische Forschungsinstitut für Digitale Transformation berichtet, dass 75 Prozent der Home-Office-Neulinge zufrieden sind. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will das Recht auf Arbeit von zu Hause aus gesetzlich verankern. Dem Plan fehlen aber noch konkrete Details. Wo es betrieblich möglich sei, könne künftig jeder Arbeitnehmer das Arbeiten von zu Hause aus einfordern, erläutert Heil das Ziel seiner Initiative. Die Idee findet auch in anderen Parteien Zuspruch. Der Arbeitgeberverband lehnt einen Rechtsanspruch hingegen ab. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben im Jahr 2018 etwa zwölf Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland größtenteils zu Hause gearbeitet, fünf Prozent vollständig. Bei einer Umfrage des Digitalverbands Bitcom von Anfang März berichten 41 Prozent der Berufstätigen, dass ihre Tätigkeit für Home-Office nicht geeignet sei.

Die Auswirkungen von Home-Office auf Familien und Arbeitswelt sind noch nicht gut untersucht. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung von 2018 zeigt: Im Home-Office machen Männer mehr Überstunden, Frauen sind gestresster, weil sie versuchen, Kinderbetreuung und Beruf gleichzeitig unter einen Hut zu bringen. Doch es ist unsicher, ob diese Aussagen auch für die aktuelle Situation gelten. Wirtschaftspsychologen der Ruhr-Uni Bochum befragen seit Mitte April Beschäftigte im Home-Office. Sie interessiert, wie der Umstieg in die virtuelle Zusammenarbeit mit ihren Arbeitskollegen gelingt und welche Faktoren den Erfolg ausmachen. Im Mai startete das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation eine ähnliche Befragung.

Corona verändert Arbeitswelt

Mehr Wissen über die neue Arbeitsform scheint dringend nötig. Bei einer Umfrage der Wirtschaftswoche Ende Mai gaben alle 30 Dax-Unternehmen an, dass die Corona-Krise die Arbeitswelt für immer ändern werde – zugunsten des Home-Office. Derzeit geht der Trend aber zurück ins Büro. Im Rahmen der Mannheimer Corona-Studie werden jeden Tag ca. 3.600 Menschen dazu befragt, wie ihr Leben seit der Corona-Krise aussieht. Zum Stichtag 25. Mai sagen 25 Prozent der Beschäftigten, sie arbeiten ganz oder teilweise im Home-Office. Dieser Wert hat sich seit April kaum verändert, allerdings arbeiten nur noch acht Prozent vollständig zuhause, die übrigen nur tageweise.

Die Digitalisierung ist mehr als nur eine Aufgabe für die Wirtschaft, sondern dringend notwendig für Deutschlands Schulen, Universitäten und den Kulturbetrieb.

Während der Corona-Krise zeigt sich die Bedeutung der Digitalisierung nicht nur für die Wirtschaft: Das Internet verzeichnet hohe Zugriffszahlen als Informationsquelle und für Konzerte im Livestream. Messenger und soziale Medien erweisen sich als der wesentliche Weg zur Kommunikation in Zeiten der Ausgangsbeschränkung. Deutschlands Schulen waren darauf schlecht vorbereitet, gesteht die Bundesregierung ein: „Die Erfahrungen sind unterschiedlich, Vorteile haben Schulen, die schon länger auf digitale Techniken setzen.“ Vielerorts mussten Eltern die Rolle als Lehrer übernehmen, manchen dürfte dazu die Erfahrung oder die digitale Technik fehlen. Im Grundschulbereich setzen manche Lehrer digitale Programme zum freiwilligen Lernen ein – aber es zeigt sich, dass sie damit nur Teile der Klasse erreichen. Eine Umfrage des Elternvereins NRW ergab, dass mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler (58 Prozent) kein regelmäßiges Feedback auf ihre Aufgaben bekommen.

Experten für digitales Lernen fehlen

Hochschulen bieten ihre Veranstaltungen im Sommersemester in der einen oder anderen Form digital an: Manche filmen die Vorlesungen im leeren Hörsaal, andere verknüpfen kurze Videobotschaften mit Übungsaufgaben, die online eingereicht werden müssen. Umstritten ist der Einsatz der Konferenztechnik Zoom, die als zuverlässig, aber problematisch gilt, wie die RiffReporterin Eva Wolfangel berichtet. In Hessen hält die Datenschutzbehörde den Einsatz von Zoom in Schulen für akzeptabel, in Baden-Württemberg warnen die Datenschützer hingegen: eine datenschutzkonforme Nutzung sei derzeit nicht möglich. Wünschenswert wären in jedem Fall ein Erfahrungsaustausch und die Etablierung von Standards in der breiten Anwendung digitaler Unterrichtsmethoden, denn die Empfehlungen der Experten für digitales Lernen haben sich längst nicht durchgesetzt. Hinzu kommt die noch immer schlechte Versorgung: Zehn Prozent der deutschen Haushalte haben einen Anschluss mit weniger als 50 Megabit pro Sekunde.