Aufzug ins All

Eine japanische Raumsonde testet in Kürze einen winzigen Aufzug im All. In Zukunft könnte diese Technologie die Raumfahrt revolutionieren – doch sie ist bei weitem noch nicht ausgereift.

vom Recherche-Kollektiv Die Weltraumreporter:
8 Minuten
Die Grafik eine Landschaft, aus der einer unten breiter und nach oben schmaler werdender Streifen in den Himmel führt.

Von einer Tropeninsel mitten im Pazifik ausgehend verläuft eine hauchdünne Linie, die sich irgendwo im wolkenlosen Himmelsblau zu verlieren scheint: Es handelt sich um ein Seil, das bis ins All reicht. Entlang dieses Seils steigen Kapseln in den Himmel, die gemächlich Lasten und Menschen bis in eine geostationäre Umlaufbahn befördern. Kein Countdown, keine dampfenden Raketentriebwerke, stattdessen ein geräuschloser Aufzug: Diese Zukunftsvision beflügelt Science-Fiction-Autoren seit Jahrzehnten, würde sie die Raumfahrt doch vielfach kostengünstiger machen und ganz neue Wirtschaftszweige im All eröffnen. Ingenieure aber beginnen erst vereinzelt, sich mit den zu lösenden Problemen auseinandersetzen. Einer von ihnen ist Yoshiki Yamagiwa von der Universität Shizuoka in Japan, der mit seinen Studenten an Bord des unbemannten Versorgungsraumschiffs HTV am 23. September einen winzigen Weltraumaufzug zur Internationalen Raumstation schießen ließ. Es handelt sich um einen zehn Zentimeter breiten und 23 Zentimeter langen CubeSat, der Ende Oktober 2018 von der ISS aus ins All geschubst werden soll, um hier den ersten Aufzug im All zu testen. Die technischen Hürden dieser Technologie dürfte er allerdings kaum beseitigen.

Eine alte Idee

Schon 1895 formulierte der russische Vordenker der Raumfahrt Konstantin Ziolkowski unter dem Eindruck des neu errichteten Eiffelturms die Idee eines noch gewaltigeren Bauwerks, das bis hinauf ins All reichen könnte. Doch fast hundert Jahre lang war schlicht kein Material bekannt, das sich dafür eigenen würde. Stahl etwa würde schon in einer Höhe von kaum 30 Kilometern allein durch sein Eigengewicht brechen, ganz egal wie stabil das Stahlseil konstruiert wäre. Obwohl das Konzept immer wieder von Science-Fiction-Autoren aufgegriffen wurde, begannen Ingenieure sich erst nach 1991 ernsthafter mit dem Aufzug ins All zu befassen. In jenem Jahr nämlich entdeckte der japanische Wissenschaftler Sumio Iijima die Kohlenstoffnanoröhrchen. Dieses Material ist hundert mal stärker als Stahl, aber nur halb so schwer wie Aluminium. Rechnerisch ließe sich ein Seil aus Kohlenstoffnanoröhrchen bis weit hinter eine geostationäre Umlaufbahn spannen; dabei wäre es dennoch so leicht, dass es eine heutige Schwerlastrakete ins All bringen und dann in Richtung Erde abrollen könnte.

Die technischen Details eines solchen Seil betrachtete eine NASA-Studie im Jahr 2000: Von einer Insel oder Plattform in den sturmärmeren tropischen Breiten des Pazifiks würde das Seil bis zu 144.000 Kilometer hoch ins All reichen – bis auf gut ein Drittel des Mondabstands. Hier würde ein Gegengewicht das Seil durch die Fliehkraft stramm halten, während eine Plattform in einer Höhe von 34.000 Kilometern eine Raumstation unter Schwerelosigkeit beherbergen könnte. Lasten und Menschen dorthin transportieren und damit Raketen überflüssig machen. Ein ins All befördertes Kilogramm würde statt heute 20.000 Dollar kaum mehr als 200 Dollar kosten. Die Befürworter der Technik träumen von gewaltigen Hotels im All, von Solarkraftwerken im Orbit und Bergwerken auf Asteroiden. Die Fliehkraft am Seilende würde sogar interplanetare Reise unter einem vielfach geringeren Einsatz von Treibstoff ermöglichen als mit heutigen Antrieben. Doch das gewichtigste Problem bleibt bis heute das Material: Ihre enorme Festigkeit haben die Kohlenstoffnanoröhrchen bis heute nur im Labormaßstab bewiesen; die Fertigungstechniken für Meter- oder gar Kilometerlange Seile gibt es bis heute nicht.

Grafik des Weltraumaufzugs ins All, mit einer Kabine, die am Kabel nach oben ins All fährt.
Weltraumaufzug

Der gerade einmal 2,7 Kilogramm schwere japanische „Space Tethered Autonomous Robotic Satellite – Mini Elevator“ (STARS-ME) ist ein CubeSat, also einer von vielen derzeit ins All beförderten Kleinsatelliten, die neue und technisch riskante Verfahren für die Raumfahrt erproben sollen. STARS-ME trägt ein Kevlarseil mit sich, das noch nicht für einen Aufzug vom Erdboden ins All geeignet ist. Wenn der CubeSat die Raumstation verlassen hat und frei um die Erde kreist, teilt sich der Quader in zwei würfelförmige Cubesats, die über das gerade 14 Meter lange Seil miteinander verbunden bleiben. Zwischen ihnen soll dann ein winziger Roboter mit eigenem Antrieb entlang gleiten. Es wäre der erste Aufzug im All, aber mit der Größe einer Streichholzschachtel ein ziemlich kleiner.

Eine solche Aufzugfahrt im Orbit ist für Markus Landgraf keine sonderlich anspruchsvolle Leistung: „Die Leute stürzen sich auf einfache Probleme, anstatt die wirklich schwierigen zu lösen“, sagt der Ingenieur, der bei der Europäischen Raumfahrtagentur Mondsonden plant, aber privat ein Faible für den Weltraumaufzug hat (TED-Talk 2013, Raumzeit-Podcast 2013). Der Antrieb der Aufzugskapsel zählt laut ihm zu den lösbaren Problemen eines Weltraumaufzugs: Zwar müsste der ganz anders funktionieren als bei einem gewöhnlichen Gebäudelift, denn während dieser von Seilen emporgezogen wird, müsste sich der Weltraumaufzug aus eigener Kraft nach oben arbeiten. Die Kapsel müsste aus Gewichtsgründen vom Boden aus mit Energie versorgt werden, vermutlich über einen starken Laser, der Solarzellen an der Aufzugskapsel bestrahlt. Seit 2005 werden in den USA, Japan, Deutschland und Israel immer wieder Wettkämpfe abgehalten, bei denen ein von Studenten entwickelter Liftroboter möglichst schnell ein von einem Helikopter gehaltenes Seil emporklettern muss. Während in den Anfangsjahren nicht jeder Steigroboter das obere Seilende überhaupt erreichte, gelang es kürzlich einem japanischen Team, immerhin 100 Kilogramm Nutzlast bis in 1200 Meter aufsteigen zu lassen. Diese Wettkämpfe sind allerdings wie auch die Mission STARS-ME noch weit von den Dimensionen eines Orbitalseils entfernt: „Sie spielen sicher ihre Rolle, Studenten mit den dynamischen Effekten der Raumfahrt vertraut zu machen“, sagt Markus Landgraf. „Aber den Weltraumaufzug bringen sie nicht weiter.“

Bei Shuttlemission STS-75 gelingt das Entrollen des Kabels – aber bei 19,7 Kilometern reißt das Seil schließlich.
Bei Shuttlemission STS-75 gelingt das Entrollen des Kabels – aber bei 19,7 Kilometern reißt das Seil schließlich, vermutlich durch eine fehlerhafte Isolation des Kabels an dieser Stelle. Das Experiment diente unter anderem dazu, auftretene Ströme eines Kabels zu untersuchen, die durch geladene Teilchen der obersten Erdatmosphäre induziert werden.
Das Tethered Satellite System wird bei der Mission STS-46 des Space Shuttles erstmals getestet.
Das Tethered Satellite System wird bei der Mission STS-46 des Space Shuttles erstmals getestet. Statt der geplanten 20 Kilometer lässt sich das Seil aber wegen eines Konstruktionsfehlers nur 260 Meter weit ausrollen.
Eine Raketenstufe im Erdorbit ist mit einem Seil verbunden.
Seile im All: Die Raumkapsel Gemini-12 ist 1962 über ein Seil mit dem Agena Docking Vehicle verbunden, mit dem die Astronauten docken sollen.

Schlingern, Stürme und Schrott

Raumfahrtagenturen wie die Europäische Raumfahrtagentur – der Arbeitgeber von Markus Landgraf – messen dem Weltraumaufzug in ihren Budgets bislang keine eine Bedeutung bei. Felix Huber ist auch aus grundlegenden Erwägungen heraus skeptisch: „Ein solches Seil im Orbit stabil zu halten, ist nicht einfach“, sagt der Direktor für Raumflugbetrieb und Astronautentraining beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen. Huber verweist auf verschiedene Versuche der Vergangenheit, bei denen zwei Satelliten über kilometerlange Seile verbunden um die Erde kreisten. Viele dieser Missionen scheiterten, weil sich ungewollt hohe elektrische Spannungen aufbauten, Seilwinden verklemmten oder weil sich die Seile wegen kleiner Produktionsfehler verhedderten. Zudem würden Seile im Orbit leicht ins Schwingen geraten. Ein Weltraumaufzug aber würde nicht nur durchs Vakuum, sondern auch durch die Atmosphäre hindurchreichen, die zusätzlich daran zerrt, etwa während tropischer Stürme. „Auch wenn ein Aufzug nach oben startet, zieht er an dem Seil“, sagt Huber. „Allein dadurch können sich Schwingungen ausbreiten und immer weiter aufschaukeln.“

Ein zehntausende Kilometer langes Seil hätte noch mit weiteren Problemen zu kämpfen: In einer Höhe von 200 bis 900 Kilometer durchliefe es eine Zone, in der durch die UV-Strahlung der Sonne gespaltener, atomarer Sauerstoff vorkommt, der organische Materialien wie ein Seil aus Kohlenstoffnanoröhrchen oxidiert und zersetzen würde. Zusätzlich könnte auch Weltraumschrott das Seil zerstören – speziell im geostationären Friedhofsorbit: Dies ist eine scharf begrenzte und kreisförmige Zone oberhalb geostationärer Umlaufbahnen, in denen ausgediente Satelliten entsorgt werden – und die das Orbitalseil durchkreuzen müsste. Dazu kommt schnell kreisender Weltraumschrott auf tieferen Bahnen und Mikrometeoriten, die Löcher ins Seil schlagen oder es im schlimmsten Fall zerstören könnten.

Der in Flugdynamik erfahrene Markus Landgraf hält all diese Probleme für prinzipiell lösbar: Die Dynamik solcher Seile sei theoretisch längst verstanden. Und die Konstrukteure könnten das untere Ende des Weltraumseils schlicht so lagern, dass es Schwingungen mit gegenläufigen Bewegungen dämpfen würde. Mit solchen bewusst herbeigeführten Schwingungen könnte man größeren Brocken im Erdorbit ausweichen, kleinere hinein gerissene Löcher müssten dagegen repariert werden. Trümmer im Friedhofsorbit wären relativ zum Seil ohnehin recht langsam unterwegs. Und gegen Strahlung und atomaren Sauerstoff müsste das Seil beschichtet werden. Diese Beschichtung könnte sogar auf natürlichem Wege von selbst entstehen: Schon die NASA-Studie von 2000 geht auf Basis von ersten Experimenten davon aus, dass an der Außenseite des Seils eine oxidierte Schicht entstehen würde, die für tiefere Schichten als natürlicher Schutz dient.

Der Visionär schweigt lieber

Die Zahl der zu lösenden Probleme ist nicht klein; Befürworter wie Skeptiker sind sich jedoch einig darin, dass die größte Hürde zum Weltraumaufzug vor allem das Material darstellt. Selbst Elon Musk, dessen Raumfahrtunternehmen SpaceX immerhin das offizielle Ziel verfolgt, den Mars zu kolonisieren, twitterte 2015: „Bitte fragt mich nicht nach dem Weltraumaufzug, bevor jemand eine Struktur aus Kohlenstoffnanoröhrchen baut, die länger als eine Fußgängerbrücke ist.“

Eine Studie der International Academy of Astronautics schätzte die Entwicklungszeit für derartig lange Stränge aus Kohlenstoffnanoröhrchen auf mindestens 20 Jahre – in der Grundlagenforschung eine verwegene Extrapolation.

Markus Landgraf verweist aber darauf, dass Kohlenstoffnanoröhrchen derzeit gar nicht dafür optimiert würden, zu möglichst langen Strängen produziert zu werden. Diese wurden dank der Forschung der letzten Jahre eher breiter als länger. „Wie schnell der Aufzug realisiert werden kann, hängt von der gezielten Ausrichtung der Forschung ab.“ Und abgesehen von winzigen CubeSat-Experimenten ließen sich die meisten anderen technischen Hürden schon heute mit einem echten Weltraumaufzug testen, beispielsweise am Mond, zu dem Raumfahrtagenturen weltweit in den nächsten Jahrzehnten zurückkehren wollen. Hier sind die Gefahren durch Atmosphäre und Weltraumschrott kaum vorhanden; die Ingenieure könnten die Dynamik eines tausende Kilometer langen Seils dort also bereits ungestört testen. Ein weiterer Vorteil: Am Mond ließe sich das Seil problemlos aus Kevlar konstruieren, also einem schon verfügbaren Material.

Zwei ähnliche Texte erschienen kürzlich auf Spektrum.de und in der Neuen Zürcher Zeitung.

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