Die Pionierinnen der Mondladung

Als „Human Computers“ trugen Frauen maßgeblich zum Erfolg der Mondlandung bei

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Auf dem Bild sind 25 Frauen in zwei Reihen zu sehen, darunter eine Afroamerikanerin. Sie arbeiteten im Jahr 1953 als „Human Computers“ bei der NASA.

Der Erfolg der Apollo-Missionen beruht auf den Berechnungen unzähliger Frauen. Auch die ersten Programmiererinnen rund um die Mond-Missionen waren Frauen – und ihr Code war erstaunlich raffiniert, sogar wenn man ihn mit heutiger Software vergleicht.

Ein Gastbeitrag von VR-Reporterin Eva Wolfangel

Womöglich hat die Welt – und mit ihr zahlreiche Raumfahrtjournalisten – die Augen zu spät geöffnet, wenn es um eine gesellschaftliche Gruppe geht, die zentral zum Erfolg der Apollo-Missionen und damit zur ersten Mondlandung beigetragen hat: Als 2016 der Film „Hidden Figures“ in die Kinos kam, wurde vielen Menschen erstmals bewusst, dass Frauen einen Großteil der nötigen Berechnungen für solche Missionen erstellt haben.

„Hidden Figures“ erzählt die Geschichte der sogenannten „human computers“, der menschlichen Computer – und die waren zu großen Teilen Frauen. Im Vordergrund der Handlung stehen die drei afroamerikanischen Mathematikerinnen Katherine Johnson, Dorothy Vaughan und Mary Jackson, die an der West Area Computing Unit am Langley Research Center Berechnungen für die Vorläuferorganisation der NASA durchführen. Der Name ihrer Gruppe: „Coloured Computers“. Der Film auf Basis des gleichnamigen Buchs erzählt nicht nur eindrucksvoll, welchen Vorurteilen und Diskriminierungen schwarze Frauen in den 1950er Jahren in den USA – insbesondere in der männerdominierten Luft- und Raumfahrt – ausgesetzt waren, sondern auch, wie abhängig der Erfolg der damaligen Missionen von diesen menschlichen Computern war.

„Der Film hat uns alle überrascht“, sagt Gerhard Kowalski, Raumfahrt-Journalist seit mehr als 40 Jahren, „dass ausgerechnet schwarze Frauen gerechnet hatten, das war ein Tabu-Thema.“ Wieso hat man das nicht gewusst? „Die Raumfahrt hatte viel mit Geheimhaltung zu tun“, so Kowalski weiter. Er selbst hat sich große Teile seiner Karriere mit der russischen Raumfahrt beschäftigt sowie mit der ostdeutschen Raumfahrt vor der Wiedervereinigung: „In Russland hatten Studenten gerechnet, das wusste man.“

Aber es gibt auch eine andere Perspektive: Die Sache mit den weiblichen Computern in der Luft- und Raumfahrt sei aus seiner Sicht ein alter Hut, sagt Paul Ceruzzi, Kurator emeritus am National Air and Space Museum in Washington, D.C.: „Es ist schon länger bekannt, dass Frauen schon in den 1930er und 40er Jahren für die amerikanische Luftfahrt Windkanal-Berechnungen durchgeführt haben.“ Auf Grundlage dieser Berechnungen wurden Flugzeuge entwickelt. Der Name „Computer“ kommt dabei nicht von ungefähr – zumal das Wort „to compute“ im Englischen einfach „rechnen“ bedeutet: „Die Planung verlief genau so, wie es heute ein Computer macht: Jede Frau machte einen Rechenschritt.“

Am Jet Propulsion Laboratory in Kalifornien bedienen Frauen an Schreibtischen sitzend alte Rechenmaschinen; um 1936.
Die „Human Computers“ arbeiteten schon ab 1936 am Jet Propulsion Laboratory in Kalifornien, lange bevor die NASA gegründet wurde.

Billige Arbeitskräfte

Der Grund dafür, dass das ausgerechnet Frauen waren, ist ebenso banal wie enttäuschend: „Sie waren einfach billiger als Männer.“ Und für Frauen, die in den 1930er und 40er Jahren Mathematik studiert hätten, habe es nur wenig andere mögliche Berufe gegeben. „Ihre einzige Chance war, als Lehrerin zu arbeiten.“ Im Vergleich dazu war der Job als menschlicher Computer wiederum besser bezahlt – und für Frauen die einzige Möglichkeit, in dieser Branche aktiv zu sein: Weibliche Ingenieurinnen gab es damals so gut wie nicht. Zudem sei damals in Süd-Virginia Arbeit insgesamt rar gewesen sei: „Es war ein armer Teil des Landes, und es war ein besserer Job, als sie irgendwo anders bekommen konnten.“

Gleichzeitig sei diese Arbeit nicht besonders anspruchsvoll und auch nicht sehr sinnhaft gewesen: „Die Frauen mussten nicht wissen oder verstehen, wofür die Berechnungen gut waren.“ Ihr Beitrag habe vor allem eine hohe Sorgfalt verlangt, berichtet Paul: „Und darin wiederum waren Frauen sehr gut.“ Das bestätigt ein Bericht der damaligen NASA-Vorgängerorganisation National Advisory Committee for Aeronautics (NACA) aus dem Jahr 1942: Die ersten weiblichen Computer in Langley hätten Berechnungen angestellt, die zuvor im Aufgabenbereich der Ingenieure selbst gelegen haben. Die Frauen hätten die Daten „schneller und genauer“ berechnet als die Ingenieure – und an einem Morgen mehr erreicht, als ein Ingenieur an einem ganzen Tag.

Eine der ersten dieser ehemaligen Lehrerinnen, von denen Ceruzzi berichtet, war Virginia Tucker, die 1935 zusammen mit vier anderen Frauen den ersten „Computer-Pool“ in Langley bildete. In den folgenden Jahren wuchs dieser Pool auf mehrere Hundert Frauen an: Tucker selbst reiste dafür an verschiedene Universitäten, um diese Frauen auszuwählen. 1946 leitete Tucker diese Abteilung, die rund 400 Frauen rekrutiert und angelernt hatte. Die menschlichen Computer seien angestellt worden, um die Berechnungen effizienter zu machen und die Ingenieure zu entlasten, so ein Dokument des Langley Research Center über den sozialen Einfluss der weiblichen Computer.

Wirken im Verborgenen

In den 1940er Jahren seien schließlich gezielt afro-amerikanische Frauen rekrutiert worden, zunächst allerdings streng getrennt von ihren weißen Kollegen und Kolleginnen: Sie hatten getrennte Büros, die in weit voneinander entfernten Gebäudeflügeln waren. Es gab sogar eigene Toiletten, und manche der weißen Computer wussten nichts von ihren afro-amerikanischen Kolleginnen.

Rechts im Bild sitzt eine Frau am Schreibtisch; sie trägt einen weißen, kurzärmeligen Kittel und eine Brille; vor ihr auf dem Schreibtisch, im Bild links, steht eine Rechenmaschine und im Hintergrund ein Globus.
Die Mathematikerin Katherine Johnson an ihrem Schreibtisch. Der Globus ist das „Cellestial Training Device“, das unter anderem Astronaut John Glenn vor seinem ersten Flug nutzte.

1953 stieß Katherine Johnson dazu, die ebenfalls zuvor als Lehrerin gearbeitet hatte; spätestens seit dem Film „Hidden Figures“ ist sie auch einem breiten Publikum ein Begriff . Sie arbeitete zunächst bei der NACA als Computer, indem sie Daten aus Windkanal-Experimenten berechnete und diese grafisch darstellte. Doch sie wollte sich nicht mit der ihr zugedachten Rolle abfinden: Sie wollte nicht nur rechnen, ohne genauer zu wissen, wie diese Ergebnisse eingesetzt würden. Als sie zeitlich befristet für eine Abteilung zur Flugforschung Berechnungen anstellte, die bis dahin nur mit Männern besetzt war, nutzte sie ihre Chance: Sie verlangte, ebenfalls an den Besprechungen teilnehmen zu dürfen, die bis dahin Männern vorbehalten waren. Da es kein explizites Verbot für Frauen gab, stieß sie schließlich dazu – doch sie blieb eine Ausnahme. „Die Frauen taten, was ihnen aufgetragen wurde“, sagte sie später gegenüber der Nasa. „Sie stellten weder Fragen, noch dachten sie über ihre direkte Aufgabe hinaus. Ich habe Fragen gestellt, ich wollte wissen, wieso wir das machen.“

Vom menschlichen Computer zur Programmiererin

Offenbar machte sich Johnson schnell einen Namen unter den Ingenieuren, unter anderem, weil sie sich gut mit analytischer Geometrie auskannte. Schließlich schrieb sie zusammen mit Kollegen wissenschaftliche Abhandlungen über ihre Berechnungen, auf deren Grundlage schließlich Alan Shepard als erster Amerikaner ins Weltall flog. Als die Frauen schließlich von echten, maschinellen Computern ersetzt wurden und riesige, raumfüllende IBM-Maschinen die Berechnungen übernahmen, bestand offenbar ein gewisses Misstrauen seitens der Astronauten: So hat der Astronaut John Glenn 1962 laut „Hidden Figures“-Buchautorin Margot Lee Shetterly nach „dem Mädchen“ gefragt – also Johnson –, nachdem er die vom Computer berechnete Umlaufbahn seines Fluges gesehen hatte. Er werde nur dann fliegen, „wenn sie sagt, dass die Zahlen richtig sind.“ Doch während Johnson im Film nur wenige Sekunden rechnet, habe das in Wirklichkeit sicher mehrere Tage gedauert, wie die Autoren des Weltraum-Geschichtsblog „CollectSpace“ anmerken, die einige zentrale Themen des Films auf ihren Wahrheitsgehalt überprüften.

Ein Astronaut, John Glenn, im Raumanzug steht vor einer Mercury-Raumkapsel.
Astronaut John Glenn soll vor seinem Flug 1962 darauf bestanden haben, dass Katherine Johnson die Bahndaten seines bevorstehenden Flugs eigenhändig kontrolliert.

„Etwa ab 1950 wurden die ersten elektronischen Computer eingesetzt, und einige der Frauen wechselten ihren Job: Sie wurden Programmiererinnen“, so Ceruzzi. Das hatte zur Folge, dass Porgrammieren zu dieser Zeit als unmännlich galt. Margaret Hamilton war eine der ersten Programmiererinnen – „und sie war eine der besten.“ Sie ist heute relativ bekannt, insbesondere das Bild, das sie vor einem frauhohen Papierstapel zeigt, den Ausdrucken der Apollo-Flugsoftware, die sie in ihrer Funktion als Director of Apollo Flight Computer Programming verantwortete. Diese Aufgabe sei schwieriger gewesen als vergleichbare Programmierungen heutzutage, betont Ceruzzi: „Die Software für den Apollo Guidance Computer musste Wochen bis Monate vorher installiert werden, bevor die Rakete startete.“ Schließlich gab es keine Fernwartung, „die Software war fest verdrahtet mit dem Computer. Die Qualität war sehr hoch.“

Sicher zum Mond

Doch die Programmiererin arbeitete sehr gewissenhaft: „Hamiltons Arbeit war entscheidend für den Erfolg von sechs Flüge zum Mond zwischen 1969 und 1972“, sagt Ceruzzi. Ihre wahre Stärke zeigte diese Software bei der Landung von Neil Armstrong auf dem Mond, bei der der Bordcomputer plötzlich einen Fehler meldete. Unter Historikern sei man sich uneins, was genau der Grund für diesen Alarm gewesen sei, so Ceruzzi, „aber wir wissen, dass diese Software, die Hamiltons Gruppe entwickelt hatte, es ermöglichte, dass der überlastete Bordcomputer neu startete, unwichtige Prozesse schloss und schließlich die Astronauten sicher landen ließ.“

Diese Fähigkeit, zwischen wichtigen und unwichtigen Aufgaben zu unterscheiden, war eine Besonderheit – insbesondere in der damaligen Zeit. „Daran sollten wir denken, wenn wir heute von Software-Projekten lesen, die ihr Budget sprengen oder mit fatalen Fehlern ausgeliefert wurden.“ Hamiltons Code habe so gut wie keine Fehler gehabt. Darüber hinaus habe Hamilton immer Humor bewahrt. So habe sie kleinere Fehler im Programm „lustige kleine Dinge“ genannt – und wenn es darum ging, ein Programm auf Fehler zu überprüfen, nutzte sie die von ihr begründete „Augapfel-Methode“: „Dabei schaute sie auf den Code und versuchte ihn so zu lesen, als sei sie ein Computer. Das hat funktioniert.“

Ceruzzi hat mit vielen, auch weniger prominenten Zeitzeuginnen gesprochen: „Die Frauen waren sehr stolz.“ Viele von ihnen wären freilich selbst gerne ins All geflogen: „Aber sie hatten keine Chance.“

Eine Frau steht neben einem Stapel an Papierausdrucken, der ebenso hoch ist wie sie groß.
Margaret Hamilton mit Ausdrucken der Software, die das Apollo-Raumschiff steuerte. Sie entwickelte mit ihrem Team am Massachusets Institute of Technology den Programmcode.

Doch nicht nur das – ihre Existenz war bis vor wenigen Jahren weitgehend unbekannt. Die Journalistin und Autorin Nathalia Holt war 2010 zufällig auf ein Foto einer Gruppe weiblicher Computer gestoßen, als sie einen Namen für ihr Baby suchte: Als sie den Namen Eleanor Frances googelte, der in der engeren Wahl für ihre Tochter war, fand sie das Foto einer Frau namens Eleanor Francis Helin, die eine Auszeichnung der NASA entgegen nahm. Schließlich stieß sie auf ein Foto aus den 1940er Jahren, das eine Frauengruppe am damaligen Jet Propulsion Laboratory in Pasadena in Kalifornien zeigte. „Ich war geschockt, dass ich von diesen Frauen nie gehört hatte“, sagt Holt. „Ich hatte nicht gewusst, dass zu dieser Zeit schon Frauen für die NASA gearbeitet hatten.“

Arbeiten und Mutter sein – eine Kulturrevolution bei der NASA

Holt machte diese Frauen, ebenfalls weibliche Computer, ausfindig und führte unzählige Interviews. Ihre Recherche fasste sie im Buch „Rise of the Rocket Girls: The women who propelled us, from Missiles to the moon to the Mars“. „Ich habe dieses Buch nicht nur geschrieben, um ihre Erfahrungen zu dokumentieren und ihnen die nötige Anerkennung auszusprechen, sondern auch, weil ich neugierig war, wie sie damals die Herausforderungen rund um Arbeit und Mutterschaft lösten.“ Sie berichtet von einer Mitarbeiterin, die ihren Jahresurlaub nach der Geburt ihres Kindes nahm, um ihren Beruf nicht zu verlieren und nach sechs Wochen wieder arbeitete: „Damals mussten werdende Mütter kündigen.“ Diese Frau habe später bei der NASA dafür gesorgt, dass Mütter nach der Geburt eines Kindes in ihren Beruf zurückkehren konnten.

Auch Holt ist überzeugt, dass ohne diese Frauen die Apollo-Missionen nicht so erfolgreich verlaufen wären: „Die Fingerabdrücke dieser Frauen sind überall in dieser Mission“, sagt Natalia Holt in Bezug auf Apollo 11: „Die Rakete, der Treibstoff – das alles wurde auf der Grundlage der Berechnungen dieser Frauen entwickelt.“

Ein wenig Anerkennung bekamen diese Frauen erst nach den medial wirksamen Veröffentlichungen wie „Hidden Figures“ und zuvor „Rocket Girls“. So erhielt Katherine Johnson für ihre Beiträge zur Berechnung der Flugbahnen für das Mercury-Programm und den ersten bemannten Flug zum Mond im Rahmen der Apollo-11-Mission erst Ende 2015 die Presidential Medal of Freedom – beinahe 50 Jahre später.

Aber sie haben etwas sehr wichtiges erreicht, wie Holt betont: „Diese Frauen haben die Kultur arbeitender Mütter bei der NASA begründet“, so die Autorin. „Dank ihres Einsatzes war es möglich, eine neue Generation weiblicher Ingenieurinnen zu etablieren, die bis heute unsere Raumfahrtagentur dominieren.“ So arbeiten heute am Jet Propulsion Laboratory auf jeder Hierarchiebene mehr Frauen als in jeder anderen NASA-Einheit – „und das ist die direkte Folge der Bemühungen dieser Pionierinnen.“


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