Geologisches Neuland auf dem Mond

Erstmals in der Geschichte ist mit Chang'e 4 eine Raumsonde sanft auf der Mondrückseite gelandet. Die technisch aufwendige Mission könnte viele Monate aktiv sein.

vom Recherche-Kollektiv Die Weltraumreporter:
7 Minuten
Rover Yutu 2 verlässt das Landegestell der Raumsonde Chang'e 4

Am 3. Januar 2019 lenkten Ingenieure die Raumsonde Chang’e 4 mit einem gezielten Feuern der Triebwerke aus einem niedrigen Mondorbit gen Mondoberfläche. Um 3:26 Uhr mitteleuropäischer Zeit setzte der 3870 Kilogramm schwere Lander mit seinem kleinen Rover an Bord offenbar unversehrt auf: Die erste Raumsonde überhaupt ist damit sanft auf der Mondrückseite gelandet. Bislang waren auf der Mondrückseite nur Sonden zerschellt, nie aber intakt gelandet.

Nach dem Start am 8. Dezember 2018 hatten chinesische Ingenieure Chang’e 4 zunächst im Mondorbit geparkt, um den nächsten Tag auf der erdabgewandten Seite des Mondes abzuwarten – zwei Wochen (14 Erdtage) lang geht die Sonne dann nicht unter. Nun steht die Sonde im Krater Von Kármán – und ist bereit für eine Fahrt, die längst nicht nur chinesische Forscher interessiert.

Auch Mondexperten außerhalb Chinas warten gespannt auf erste Ergebnisse von Chang’e 4, denn für sie, die sich bereits jahrzehntelang für neue Raumsonden zum Erdtrabanten eingesetzt haben, ist der chinesische Vorstoß ein großes Glück. Der Krater Von Kármán etwa wurde schon vor elf Jahren vom Wissenschaftsrat der Vereinigten Staaten als vorrangiges Ziel für die zukünftige Exploration des Mondes hervorgehoben, während allerdings bis heute keine Lander aus den USA dorthin entsandt, geschweige denn ausreichend finanziert worden sind.

Die Landung von Chang’e 4 war riskant: Zwar hatten chinesische Ingenieure bei der fast baugleichen Sonde Chang’e 3 vor fünf Jahren gute Erfahrungen gemacht, aber sie landete auf der Mondvorderseite mit direktem Funkkontakt zur Erde. Beim Nachfolger war der Einsatz des Relaissatelliten Queqiao mit einer entfaltbaren 4,2 Meter großen Antenne nötig, der schon im Mai 2018 gestartet war. Doch auch das Gelände beschäftigte die Missionsplaner: „Ein Großteil der Mondrückseite ist von hohen Bergen und Kratern geprägt“, sagte Sun Zezhou, der Chefdesigner von Chang’e 4, kürzlich gegenüber dem Fernsehsender CCTV. „Es ist schwierig, hier ein großes und flaches Gebiet zu finden.“

Auf der Mondrückseite liegt das Südpol-Aitken-Becken und darin der Krater Von Kármán
Mondrückseite mit Südpol-Aitken-Becken und darin dem Krater Von Kármán

Große geologische Fragen

Die Rückseite des Erdtrabanten ähnelt kaum jenem vertrauten Mondgesicht, das wir kennen. Die sogenannten Mare der Vorderseite, also ausgedehnte vulkanische Ebenen, sind hier selten. Auf der Rückseite gibt es vor allem viele Krater; dominiert wird die südliche Hemisphäre vom Südpol-Aitken-Becken: Es ist mit 2500 Kilometern Durchmesser eines der größten bekannten Einschlagsbecken im Sonnensystem und eines der ältesten. Vor über vier Milliarden Jahren muss hier ein gewaltiger Meteorit eingeschlagen sein – viele Jahrmillionen später bildeten sich weitere Einschlagskrater auf seiner Oberfläche, zu denen auch der 180 Kilometer breite Von-Kármán-Krater gehört, in dem Chang’e 4 nun steht.

Von Kármán ist ein Sonderfall der Mondrückseite, denn der Kraterboden ist von flachen Marebasalten bedeckt, was letztlich auch die Entscheidung, hier zu landen, begünstigt haben dürfte. Gleichzeitig liegt Von Kármán am Rand des Südpol-Aitken-Beckens und damit in einer besonders für Geologen sehr spannenden Region: „Wir haben bisher nur sehr kleine Bereiche der Mondoberfläche [mit Landern] untersucht“, sagt Jessica Flahaut von der Universität im französischen Nancy und eine der internationalen Beraterinnen der chinesischen Missionsplaner. „Alle Raumsonden landeten bisher in Geländetypen, die gerade vier Prozente der Mondoberfläche ausmachen“, sagt sie. In Von Kármán besteht dagegen eine gute Chance, dass der Einschlag das lunare Krustengestein durchschlagen und tief darunter liegende Mantelgesteine offengelegt hat, die Forscher bislang noch nie zu Gesicht bekommen haben.

„Alle Raumsonden landeten bisher in Geländetypen, die gerade vier Prozente der Mondoberfläche ausmachen.“ (Jessica Flahaut, Universität Nancy)

Durch die Mission die Mondrückseite erhoffen sich Geologen, bislang ungelöste Rätsel der Entwicklung des Erdtrabanten klären zu können: Die Forscher würden gerne verstehen, warum die vulkanischen Prozesse auf Vorder- und Rückseite so unterschiedlich waren – und die Mare nicht überall gleich verbreitet sind. Lange Zeit glaubten sie, dies könnte daran liegen, dass die Kruste auf der Mondvorderseite dünner ist und vulkanische Schmelzen in den ersten Jahrmillionen der lunaren Geschichte somit leichter aufsteigen konnten. Die NASA-Mission Grail bestimmte bis Ende 2012 allerdings das lunare Schwerefeld und konnte keine auffällig erhöhte Krustendicke auf der erdabgewandten Seite feststellen (Quelle: Wieczorek et al 2013). Warum gibt es dort dennoch kaum vulkanische Mare? – „Das ist eine große Frage“, sagt Harald Hiesinger, Planetengeologe und Mondexperte an der Universität Münster.

Anhand des Mondinneren können Forscher lernen, wie sich der Mond seit seiner Entstehung entwickelt hat. Wie die mondweit ähnliche Krustendicke und der überwiegend fehlende Vulkanismus auf der Mondrückseite zeigt, gibt es dabei immense Verständnisprobleme. Vor 4,5 Milliarden Jahren entstand der Mond mutmaßlich während eines planetaren Einschlags auf der jungen Erde. Die dabei ausgeworfenen Gesteine sammelten sich im Erdorbit zum Urmond und waren zunächst sehr heiß. Dann sanken laut Erkenntnissen aus Experimenten und Modellen schwerere Mineralien aus der Schmelze nach unten und formten den Mondmantel, während leichtere nach oben gelangten und die Kruste bildeten. „Wir können dieses Magmaozean-Modell jetzt überprüfen“, sagt Harald Hiesinger: Das Modell ist bis heute nicht völlig bestätigt – wie auch die Mondentstehung durch einen Einschlag selbst bis heute von manchen Forschern bestritten wird.

Das Projektteam aus Kiel und China vor dem Raketenstart
Das Projektteam aus Kiel und China vor dem Raketenstart im Xichang Satellite Launch Center am 7. Dezember (v.l.n.r.): Yong Gan, Lars Seimetz, Dr. Sönke Burmeister, Projektleiter Prof. Wimmer-Schweingruber, Prof. Shenyi Zhang und Björn Schuster.
Nahaufnahme des Strahlenmessgerät der Uni Kiel ist recht klein und ist etwa so groß wie zwei Hände
Strahlenmessgerät der Uni Kiel: Lunar Lander Neutron Dosimetry
Forscher kalibrieren das Kieler Instrument in der Mondsonde in Peking.
Vor dem Start der Mission: (von rechts nach links) Jia Yu, Sönke Burmeister und Robert Wimmer-Schweingruber von der Uni Kiel und Ping Zhou vom Chinesischen National Space Center (NSSC) kalibrieren das Kieler Instrument in der Mondsonde in Peking.

Neue angewandte Experimente

Chang’e 4 soll anders als die meisten bisher auf dem Mond abgesetzten Sonden nicht nur geologische Feldforschung erbringen. Der 2013 gelandete Vorläufer Chang’e 3 samt seines Rovers Yutu hatte beispielsweise ein Röntgenspektrometer dabei, mit dessen Hilfe chinesische Forscher ein zuvor unbekannte Form basaltischen Vulkangesteins nachweisen konnten (Quelle: Ling et al, 2015). Auf dem Nachfolger befinden sich außer mehrerer Kameras und Infrarot-Spektrometern auch einige neu entwickelte Instrumente. Allen voran ist das ein Radioteleskop, denn allein die natürliche Streustrahlung der Erde verhindert Blicke in die sogenannte dunkle Zeit des jungen Universums, gerade 380.000 Jahre nach dem Urknall: Bestimmte Wellenlängen aus jener Zeit sind im erdnahen Raum fast gar nicht, auf der Mondrückseite dagegen ausgezeichnet messbar. Ein ähnliches Instrument befindet sich an Bord des Relaissatelliten Queqiao und wurde in den Niederlanden entwickelt.

Wie wichtig der chinesischen Akademie der Wissenschaften internationale Beiträge waren, zeigt auch das Instrument Lunar Lander Neutron Dosimetry von der Universität Kiel. Kaum zwei Jahre vor dem Start entschied Robert Wimmer-Schweingruber, sich mit diesem Instrument zur Messung von sogenannten thermischen Neutronen an Chang’e 4 zu beteiligen. Sein Institut ist in dem Bereich weltweit führend und hat bereits vergleichbare Geräte für Sonden der NASA und ESA sowie für die Internationale Raumstation entwickelt. Für Chang’e 4 musste alles sehr schnell gehen: „Schon dreizehn Monate nach Förderungsbeginn haben wir unser Instrument ausgeliefert“, sagt Robert Wimmer-Schweingruber. „Es war sehr hektisch.“

Der Neutronendetektor zeigt die praktische Seite der Mondforschung: Forscher wollen herausfinden, was für Gefahren menschliche Mondbesucher erwarten könnten – und wie sie beim Bau von bewohnbaren Habitaten berücksichtigt werden müssten. Besonders thermische Neutronen sind bislang zu wenig beachtet worden, denn sie können nicht nur von oben in menschliche Behausungen eindringen, sondern auch von unten: „Wir schätzen, dass 10 bis 20 Prozent der Teilchenstrahlung von unten kommt, also von der Mondoberfläche reflektierte Strahlung ist“, sagt der Physiker Wimmer-Schweingruber. Sein Experiment soll diese Schätzung mit Messungen untermauern.

Kurios scheint ein biologisches Experiment, das sich an Bord des Landegestells von Chang’e 4 befindet: Es enthält Kartoffeln, Samen des verbreiteten Wildkrauts Ackerschmalwand und Eier der Seidenraupe. Damit wollen Forscher erproben, wie sich irdische Lebewesen unter der verringerten Schwerkraft des Mondes verhalten. Dieses Experiment gewann gegen 200 Bewerber von verschiedenen Universitäten – und seine Auswahl zeigt, wie ernst es chinesischen Forschern mit dem Ziel ist, im übernächsten Jahrzehnt Menschen zum Mond zurückzubringen, die sich dort auch mit Nahrungsmitteln versorgen müssten.

Weite Fahrtstrecken denkbar

Die Mission von Chang’e 4 könnte längere Zeit aktiv bleiben: Denn das Landegestell verfügt für seine stationär arbeitenden Instrumenten über eine Radioisotopbatterie, die während der jeweils zwei Wochen langen und entsprechend kalten Mondnächte neben Wärme als erste chinesische Raumsonde überhaupt auch Strom produzieren wird.

Die Reise des neuen Rovers Yutu 2 über die bislang nie zuvor aus der Nähe untersuchte Landschaft der Mondrückseite dürfte mindestens einen Mondtag (14 Erdtage) lang andauern – solange versorgt die Sonne die Solarzellen mit Strom und hält die Elektronik des Fahrzeugs warm. Die langen Nächte soll auch er dank radioaktiver Zerfallswärme überstehen. Schon der Vorgänger Yutu war für ein Jahr auf dem Mond und Fahrtstrecken weit über zehn Kilometer ausgelegt. Doch Yutus Antrieb versagte noch in der ersten Mondnacht, als der Rover gerade einmal 114 Meter weit gefahren war. Für diesen Ausfall war chinesischen Raumfahrtvertretern zufolge ein sehr kleiner Teil der Hardware verantwortlich. Der Fehler sei nun behoben und der Nachfolger könnte somit monatelang in Betrieb sein und kleinere Krater, Felswände der Umgebung erkunden.

Dieser Text erschien zuerst am 3. Januar 2018 auf Spektrum.de.

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