Träumen von der User-Republik

VerfassungsNews: Max Steinbeis präsentiert aktuelle Debatten über die (rechtlichen) Grundlagen des Zusammenlebens

von Maximilian Steinbeis
7 Minuten
Menschen in einem Kaufhaus beim Shopping.

Berlin, 08. April 2017

Liebe Freunde des Verfassungsblogs,

Bundesjustizminister Heiko Maas hat in dieser Woche sein so genanntes Hate-Speech-Gesetz durchs Kabinett gebracht, und von netzpolitik.org über Heribert Prantl bis zum „liberal-konservativen“ Ende des Meinungsspektrums ist man sich einig: Das ist ganz schlimm, was da passiert. Die Durchsetzung des Rechts wird vom demokratisch legitimierten Staat in Mark Zuckerbergs private Hände gelegt, die Meinungsfreiheit der Zensur preisgegeben, die sozialen Netzwerke all ihrer Frei-, Bunt- und Wildheit beraubt und zu Schauplätzen ängstlichen und willkürlichen „Overblockings“ verödet.

Ich will dem gar nicht widersprechen. Es gibt eine Menge plausibler Szenarien, welch schaurige Auswirkungen eine solche Intervention des Gesetzgebers auslösen könnte, und es gibt zweifellos eine Menge juristischer Probleme europa-, medien-, kompetenz– und grundrechtlicher Art. Ich frage mich aber – und ich kann das hier nur antippen –, ob in der Bedrohung nicht auch eine Chance liegt.

Dreifache Angst

Das so genannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz, schon vom Namen her ein einziger Zischlaut, soll bekanntlich Facebook, Twitter und YouTube künftig effektiv dazu zwingen, rechtswidrige Hass-Postings nach Beschwerde zu löschen oder zu sperren. Mal davon abgesehen, wie gut oder schlecht Maas die Erreichung dieser Absicht gelingt – die Angst vor ihr scheint mir grosso modo drei Dimensionen zu haben: Da gibt es zum einen die rechts-libertäre Angst, vor lauter politischer Korrektheit nicht mehr frei die eigene Meinung sagen zu können. Da gibt es die etatistische Angst, dass der Staat die Durchsetzung des Rechts an private Akteure auslagert, die niemand Rechenschaft schulden und niemand dazu legitimiert hat. Und es gibt die links-libertäre Angst um den anarchischen, herrschaftsfreien Online-Diskurs, der durch Verbot und Strafen zensiert, reguliert und stranguliert werden soll.

Die rechts-libertäre Angst speist sich nicht zuletzt aus der vermeintlichen Konturlosigkeit des Grundrecht der Meinungsfreiheit: Was man sagen darf, ist immer Auslegungs- und Abwägungssache; ringsum ist man von Empfindlichkeiten umstellt, die Anstoß nehmen an der Expression der eigenen Weltsicht, und was man sagen darf und was nicht, wird schnell zu einer bloßen Frage von Verhältnismäßigkeit, die der eine so gewichtet und der andere anders. Wo Meinungsfreiheit aufhört und Hate Speech anfängt, erscheint so relativ und standpunktabhängig, dass man schon kaum der verfassungsrechtlich dazu bestellten Justiz eine vernünftige Abgrenzung zutraut, schon gar nicht aber irgendwelchen Facebook-Gestalten. Da ist etwas dran.

Und doch: hat nicht das Bundesverfassungsgericht in den letzten Monaten eine Menge dafür geleistet, die Konturen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit zu schärfen? Hat nicht Karlsruhe erst in dieser Woche, Stichwort „Obergauleiter“, wieder gezeigt, wo die Linie zwischen Schmähkritik und Meinungsfreiheit verläuft? Könnte sich nicht der angeblich so relative und hoffnungslos unscharfe Begriff der Hate Speech auf dieser Grundlage schärfen lassen, auf dass rational verhandelbar wird, was freie Meinungsäußerung ist und was diskursive Gewalt?

Die etatistische und die links-libertäre Angst sind ebenfalls nicht von der Hand zu weisen: Facebook, Twitter und YouTube verhalten sich zum öffentlichen Raum wie die Shopping Mall zum Marktplatz. Sie sind private, profitorientierte Unternehmen, die die Foren, die sie betreiben, als ihr Eigentum behandeln. Sie ihr Hausrecht als Hoheitsgewalt ausüben zu lassen, mehr noch: sie gegen ihren Widerstand dazu zu zwingen, erscheint wie eine Selbstpreisgabe der Republik. Und doch, apropos Shopping Mall: hat nicht auch hier der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts bereits Rat gewusst? Hat nicht die epochale Fraport-Entscheidung vor sechs Jahren zumindest die Richtung gewiesen, in der man nach Wegen suchen könnte, in solchen privaten Räumen Öffentlichkeit zu garantieren?

Die sozialen Medien sind weit entfernt davon, Republiken ihrer User zu sein, in jeder möglichen Hinsicht. Aber auf die lange Sicht, so meine Hoffnung, werden sie es werden. Sie werden sich Bindungen unterwerfen, sich konstitutionalisieren müssen, nicht heute, nicht morgen, aber irgendwann. Auf dem Weg dorthin sind wir noch ganz am Anfang, aber der Gesetzgeber ist dabei nicht unbedingt unser Feind, sondern auch unser Verbündeter (auf den wir natürlich trotzdem aufpassen müssen, damit er keinen Blödsinn macht). Heiko Maas’ Hate-Speech-Gesetz ist ein unperfektes, in vielerlei Hinsicht mangelhaftes, vielleicht sogar in mancher Hinsicht kontraproduktives Ding, das aber wie ein Dorn im Fleisch der privaten Soziale-Netzwerk-Betreiber sitzen und ihnen keine Ruhe lassen wird. Das ist eine Chance.

Das Kapitol der USA, betrachtet von den Säulen des Obersten Gerichthsofes aus.
Das Kapitol in Washington, betrachtet von den Säulen des Obersten Gerichtshofes aus.