Die Macht und die Mehrheit
VerfassungsNews: Max Steinbeis präsentiert aktuelle Debatten über die (rechtlichen) Grundlagen des Zusammenlebens
Berlin, 18. März 2017
Liebe Freunde des Verfassungsblogs,
Die Niederländerinnen und Niederländer haben bekanntlich kein Verfassungsgericht. Als die alte und tief gegründete Demokratie, die sie sind, vertrauen sie darauf, Verfassungsfragen politisch beantworten zu können und nicht durch Richterspruch. Die Mehrheit darf zwar nicht alles, aber was genau sie dürfen soll, bleibt am Ende ihre Verantwortung. So läuft das in den Niederlanden wie übrigens auch in vielen anderen europäischen Ländern, in Skandinavien etwa, und läuft es etwa schlecht? Nein, es funktioniert. Es funktioniert seit langer Zeit. Länger als die meisten Demokratien mit Verfassungsgerichten überhaupt existieren.
Auch am Mittwoch hat es wieder funktioniert. Vier von fünf Wahlberechtigten haben ihre Stimme abgegeben, und von ihnen wiederum sechs von sieben in dem Sinne, auf den sich wohl alle Freunde des Verfassungsblogs verständigen können, nämlich nicht für Geert Wilders. 13,1 Prozent: Deutlicher kann man dem Anspruch der Rechtspopulisten, für das eigentliche und wahre Volk zu sprechen, nicht die Luft ablassen. Der Wind der Geschichte, anstatt nach Brexit und Trump die Segel der Populisten zu füllen, hat stattdessen die Staubschicht weggeblasen, die die Demokratie nicht nur in den Niederlanden überkrustet hatte: Die Mehrheit will das nicht.
Bevor wir jetzt übermütig werden und im Vertrauen auf die Sturmfestigkeit unserer politischen Systeme alle Juristinnen und Juristen nach Hause schicken, würde ich aber zwei Caveats anbringen wollen.
Zum einen steht die Mehrheit nicht einfach in der Landschaft herum. Sie muss erst hergestellt werden, und zwar in einem rechtlich determinierten Verfahren auf Basis von Freiheit, Gleichheit und Meinungsvielfalt. Das gleiche gilt für die Macht der Mehrheit: Sie muss gesagt bekommen, was sie darf, was notwendig einschließt, dass sie gesagt bekommt, was sie nicht darf. Von wem? Vom Recht. Genauer: vom Verfassungsrecht. In einem Verfassungsstaat ist ohne solche rechtliche Anleitung die mächtigste Mehrheit weder mächtig noch eine Mehrheit. Theresa May musste durch das Miller-Urteil des UK Supreme Court einsehen, dass selbst ein Volksentscheid sie nicht ermächtigt, den Brexit ohne das Parlament einzuleiten, und das in einem System, das nicht einmal eine geschriebene Verfassung hat, geschweige denn ein Verfassungsgericht. Donald Trump kann auch im zweiten Anlauf keinen Muslim Ban durchsetzen; dazu ist ihm keine Macht verliehen, solange das Verfassungsrecht religiöse Diskriminierung nicht zulässt und es in Hawaii oder anderenorts Bundesrichter gibt, die diesem Verbot zur Geltung verhelfen.
Dieser Zusammenhang von Macht und Verfassungsrecht, und das ist mein zweites Caveat, ist aber instabil. Die Macht, die einem das Verfassungsrecht verleiht, lässt sich gegen das Verfassungsrecht wenden und es von innen heraus erodieren. Man ist ermächtigt, Gesetze zu ändern (z.B. das zum Prozedere des Verfassungsgerichts) und Institutionen zu besetzen (z.B. Verfassungsrichterposten), und wenn man davon rücksichtslos Gebrauch macht, hat man am Ende, ohne einen Buchstaben an der Verfassung zu ändern oder außer Kraft zu setzen, die eigene Macht auf eine Weise vervielfältigt, die von der verfassungsrechtlichen Ermächtigung nicht viel übrig lässt. Man ist nur noch mächtig, weil und soweit man halt mächtig ist. Wie in einer klassischen Autokratie.
Das Recht gegen die Autokratie
Das Paradebeispiel dafür, das wird keine Leserin dieses Blogs überraschen, ist natürlich Polen. Agnieszka Grzelak beschreibt, welch absurde Auswüchse die Unterwerfung des polnischen Verfassungsgerichts mittlerweile hervorbringt: Drei der dort jetzt amtierenden Richter sitzen eigentlich auf Posten, die schon von anderen besetzt sind – was sie urteilen, ist eigentlich null und nichtig. Jetzt haben sie ein Gesetz (in einem politisch relativ harmlosen Fall) für verfassungswidrig erklärt – und der Bürgerbeauftragte, der eben dies beantragt hatte, kann das Urteil nicht anerkennen!
Weit gediehen war die Reductio ad Absurdum der Macht auch in Südkorea, wo die demokratisch gewählte Präsidentin, Tochter eines früheren Autokraten, sich von einer obskuren Rasputin-Figur zur Marionette hatte machen lassen. Massenproteste auf der Straße und ein parlamentarisches Impeachment-Verfahren waren die Folge, aber den eigentlichen Akt der Ent-Mächtigung hat das Verfassungsgericht vollzogen, indem es die Präsidentin per Urteil ihres Amtes enthob. Yoon Jin Shin und Mattias Kumm haben die faszinierende Geschichte aufgeschrieben.
In der Türkei gibt sich der Autokrat Erdogan nicht mehr mit Veränderungen der subkonstitutionellen Verfassungswirklichkeit zu seinen Gunsten zufrieden, sondern will die Verfassung selbst seinen Machtansprüchen anpassen und dies per Volksabstimmung legitimieren. Dafür will er auch in Deutschland, Frankreich und den schon erwähnten Niederlanden Türkinnen und Türken mobilisieren dürfen, was vor allem die ihrerseits im Wahlkampf befindliche niederländische Regierung entschlossen und erfolgreich zu verhindern wusste.
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