Zu Gast bei Mr. Spock

Die kanadische Kleinstadt Vulcan zieht Star-Trek-Fans aus aller Welt an – und braucht dafür kaum mehr als ihren Namen.

8 Minuten
Eine Skulptur, die aussieht wie das Raumschiff Enterprise

Dieser Text spielt in Kanada. Aber was ist schon eine Landesgrenze, wenn dahinter eine spannende Geschichte lauert? Und überhaupt: Ist ja Amerika—Nordamerika.

Das Shuttle auf dem Campingplatz hat illegale Fracht an Bord. „Wir müssen aufpassen, dass uns niemand erwischt“, sagt Rochelle Brubacher, als sie die Türen ihres Smarts öffnet. Im Kofferraum kommen Weingläser mit Star-Trek-Logo zum Vorschein, daneben ein Spock-Gemälde und die Uniform eines romulanischen Soldaten.

„Nicht gerade ein offizieller Verkaufsstand“, entschuldigt sich die 49-Jährige, aber sie könne eben nicht anders. „Ich bastle das ganze Jahr an diesen Dingen und muss sie anderen Fans einfach präsentieren.“ Genau wie ihren Smart, den Brubacher liebevoll als Shuttle bezeichnet. U.S.S. Enterprise ist auf den Türen zu lesen – ein Name, der die Augen der Besitzerin zum Leuchten bringt.

Brubacher ist ein eingefleischter Star-Trek-Fan, ein Trekkie. 14 Stunden war sie mit ihrem Smart-Shuttle unterwegs, um die kanadische Kleinstadt Vulcan zu erreichen. Vulcan: In den Ohren von Trekkies klingt das wie Musik. Denn in der TV-Serie ist Vulcan der Heimatplanet der Vulkanier, jener Alien-Rasse, die für ihre Logik und ihr blaues Blut bekannt ist. Ihr berühmtester Vertreter: Mr. Spock.

Das irdische Vulcan liegt im Bundesstaat Alberta, rund eine Fahrstunde von der Metropole Calgary entfernt. Vulcan ist ein Ort im Nirgendwo. Meilenweit nur Weizenfelder und flaches Land. Staub und Plastiktüten wehen über den Highway, im Winter fallen die Temperaturen manchmal auf minus 40 Grad.

Eine Frau mit spitzen Ohren steht neben einem Auto, dessen Kofferraum-Klappe offen ist.
Rochelle Brubacher (verkleidet als Romulanerin) nutzt den Kofferraum ihres Autos als Verkaufsfläche.
Auf einem Stein ist ein Star-Trek-Delta eingraviert. Dazu der Hinweis „2 km“.
Nicht mehr weit bis Vulcan. Trekkies wissen die Wegweiser zu deuten.
Ein Schild zeigt einen Oldtimer mit Seifenblasen. Aufschrift: „Spaceships Welcome“.
Schmutziges Raumschiff? Ab in die Waschanlage. Auch Autos werden akzeptiert.
Ein Straßenschild vor blauem Himmel.
Straßenschild in Vulcan. Das Star-Trek-Emblem darf nicht fehlen.

Ein Außerirdischer, der sich hierhin verirrt, hätte viel Platz zum Laden. „Alberta ist eine sehr konservative Region“, sagt Brubacher, die eine selbst geschneiderte Uniform und spitze Spock-Ohren trägt. „Da wird man oft schrägt angeguckt, wenn man in einem solchen Outfit herumläuft.“ In Vulcan hingegen sei alles anders. „Diese Stadt geht total offen mit ihrem Namen um. Für Trekkies ist das das Paradies.“

Um Trekkies anzulocken, genügt meist schon der Name Vulcan. Dabei hatten die Gründungsväter natürlich nicht Mr. Spock im Sinn, als die Stadt vor hundert Jahren zum ersten Mal auf der Landkarte verzeichnet wurde. Vielmehr sollte der römische Feuergott Vulcan gewürdigt werden, was aber heute niemand mehr so genau nimmt. Immerhin wurden schon viele Star-Trek-Filme in Kanada gedreht, und auch William Shatner alias Captain Kirk ist Kanadier. Viel Potenzial also für den Alien-Tourismus.

Aliens als Wirtschaftsfaktor

In vieler Hinsicht bleibt den 2000 Einwohnern auch nichts anderes übrig, als sich neuen Galaxien zu öffnen. Außer den Trekkies, die regelmäßig nach Vulcan pilgern, ist nämlich kaum etwas los auf dem flachen Land. Die Getreidesilos sind fast alle verschwunden, die Wirtschaft stagniert. Als Haupteinnahmequelle dienen die Arbeiter der Öl-Industrie, die auf der Durchreise einen Zwischenstopp einlegen.

Noch. Denn Vulcan will sich zur kanadischen Star-Trek-Hauptstadt entwickeln. Dazu soll zunächst einmal die Infrastruktur auf Vordermann gebracht werden. Ans schnelle Glasfasernetz hat sich Vulcan bereits anschließen lassen – Warp-Geschwindigkeit fürs Internet. Und da wäre noch der neue Solarpark, den die Wirtschaftsförderung als „so modern wie das Star-Trek-Universum“ anpreist.

Ein Schild zeigt den Kopf eines Außerirdischen, darüber eine Denkblase mit Fragezeichen.
Wo gibt's denn hier 'nen Stadtplan? Da findet sich ja kein Alien zurecht.
Eine junge Frau steht hinter einem Verkaufsstand.
Die Tourist Information von innen. Man beachte die Mutze mit aufgenähten Spock-Ohren.

Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten für Trekkies stehen bereits. Hinter der Tourist-Information, die hier „Trek Station“ heißt, thront eine große Raumschiff-Statue. Die sieht zwar exakt aus wie die Enterprise, darf aber aus lizenzrechtlichen Gründen so nicht heißen.

Als das Modell 1995 aufgestellt wurde, hatte Vulcan noch keinen Vertrag mit dem TV-Sender CBS abgeschlossen, der die Star-Trek-Marke verwaltet. Daher der Name: Raumschiff Vulcan FX6–1995-A.

Bei der Spock-Büste gab es solche Probleme nicht. Schauspieler Leonard Nimoy kam persönlich vorbei, um das Denkmal einzuweihen und seinen Handabdruck zu hinterlassen. „Sein Tod hat uns alle sehr getroffen“, sagt Vulcans Tourismus-Chef Devan Daniels. „Leonard Nimoy hat uns in unseren Bemühungen immer sehr unterstützt.“

75.000 Dollar für ein T-Shirt

Ein paar Häuserblocks weiter kämpft eine Besucherin mit den Tränen. „Es ist einfach unglaublich, das alles in echt zu sehen“, sagt Marion Gohm (62), als sie die Exponate im „Trekcetera Museum“ betrachtet. Rund 230 Originale sind dort zu sehen – von der Phaserpistole bis hin zu den Kleidungsstücken, die die Schauspieler am Set getragen haben.

„Früher habe ich mir selbst solche Uniformen genäht“, erzählt Gohm, die aus dem nahegelegenen Lethbridge stammt. „Ich würde alles dafür geben, den Stoff einmal anzufassen.“

Doch dazu kommt es nicht, Museumsdirektor Michael Mangold interveniert. „Die Preise für solche Uniformen fangen bei 10.000 Dollar an“, belehrt der 51-Jährige seine Gäste. Leonard Nimoy habe einmal einem Jungen ein echtes Spock-T-Shirt geschenkt, um ihm eine Freude zu machen. „Der hat es aber nicht behalten, sondern auf Ebay versteigert – für 75.000 Dollar.“

Ein Mann mit Cowboyhut und Star-Trek-Ansteckern.
Michael Mangold, Direktor des „Trekcetera Museums“, kleidet sich wie ein Space-Cowboy.
Ein Wandgemälde zeigt Mr. Spock als Eisverkäufer.
Ein Eis, kalt wie der Weltraum – gibt's natürlich auch in Vulcan.

Manchmal, sagt Mangold, böten ihm Fans an, ihre Sammelstücke im Museum auszustellen. „Da lehne ich aber ab“, betont der Museumsdirektor. „Wenn diese Schätze kaputtgingen, würden mir das die Besitzer niemals verzeihen.“

Die hohen Summen zeigen, dass es längst nicht nur um ideelle Werte geht – und das, obwohl Geld im Star-Trek-Universum doch gar nicht mehr existiert. Museumsdirektor Mangold, ein Mann mit Cowboy-Hut, Halstuch und angestecktem Communicator, sagt es offen: „Star Trek ist eine Gelddruckmaschine.“

Vor ein paar Jahren hat er seinen Job als Flugbegleiter gekündigt, um das Museum zu eröffnen. „Aber nicht wegen des Geldes“, versichert er. Er selbst sei ein großer Trekkie und habe viele Exponate, die er heute ausgestellt, privat schon besessen. Darunter befinden sich auch bizarre Gegenstände wie der Pfotenabdruck von Porthos, Captain Archers Beagle in der jüngsten Enterprise-Serie. Mangold strahlt: „Ein Hunde-Autogramm, wer hat das schon?“

Draußen, auf der Main Street, sieht auf den ersten Blick alles aus wie in jeder anderen nordamerikanischen Kleinstadt. Einfache Holzhäuser, große Parkbuchten, Strommasten am Straßenrand. Erst beim genaueren Hinsehen fallen die Besonderheiten auf. So hat das Rathaus ein Sternenflotten-Logo in die Mitte der Zebrastreifen pinseln lassen. Die Straßenschilder erstrahlen im gleichen Design; auf einer Laterne steht ein Modell des Raumschiffs Enterprise.

Ein Star Trek Wandbild, vor dem Auto parken.
Echte Trekkies wissen, dass dies die Ärzte sind, die in den diversen Serien vorkommen.
Eine Frau geht über einen Zebrastreifen. Einer der Streifen ist das Star-Trek-Logo.
Schon wieder prangt das Logo der Sternenflotte irgendwo. Diesmal auf dem Zebrastreifen.
Ein Fenster, in dem ein Mr. Spock aus Pappe steht.
Souvenirläden an jeder Ecke. Die Trekkies mögen's.

Im Schaufenster der Bibliothek liegt das Wörterbuch „Klingonisch-Englisch“ aus, während die Tourist-Information von außen wie eine Raumstation aussieht, deren Blumenkübel wiederum an ein Shuttle erinnern. Auch Privatleute engagieren sich, indem sie ihre Hauswände mit Planeten bemalen oder Werbeschilder mit Alienköpfen aufstellen.

Doch das war’s dann auch schon. So richtig kommerzialisiert, wie sich das manche Vulkanier wünschen, ist ihre Stadt noch nicht. Selbst das „Vulcan Ale“ – ein Dosenbier, das man in vielen Liquor Stores kaufen kann – stammt aus Calgary.

„Man könnte hier viel mehr machen“, schimpft der Immobilienmakler Lyle Magnuson. Er selbst habe das Potenzial des Städtenamens lange unterschätzt, erzählt der 47-Jährige. Erst bei einer Europa-Reise sei ihm ein Licht aufgegangen.

Kein Spock-Cocktail weit und breit

„Als ich am Flughafen meinen Pass zeigen musste, wurde der Zollbeamte auf einmal superfreundlich. Er konnte es gar nicht fassen, dass ich aus Vulcan komme – von einem anderen Planeten.“ Doch der Einzelhandel tue zu wenig, um das enorme Potenzial zu nutzen. „Warum gibt es nirgendwo einen Spock-Cocktail? Wieso sehen unsere Hotels aus, als seien sie zuletzt vor 50 Jahren renoviert worden?“

Die Tourismus-Verantwortlichen hören solche Sätze nicht zum ersten Mal. „Am Anfang waren die Leute von der Star-Trek-Idee überhaupt nicht begeistert“, sagt Devan Daniels. Umsonst kommt der galaktische Ruhm nämlich nicht: Zwar macht der Souvenirshop in der „Trek Station“ rund 80.000 Dollar Umsatz im Jahr.

Ein geöffnetes Dosenbier
Mogelpackung: Das „Vulcan Ale“ wird gar nicht in Vulcan hergestellt.
Silhouette eines Außerirdischen an einer Hauswand.
Die Aliens lauern an jeder Ecke. Aber nutzt die Stadt auch ihr volles Potenzial?

Von jedem verkauften Produkt fließt ein prozentualer Anteil an CBS – zuzüglich einer jährlichen Lizenzgebühr im vierstelligen Bereich. „Viele hielten das für eine wahnsinnige Geldverschwendung“, sagt Daniels.

Seit die Besucherzahlen steigen, habe sich die Stimmung aber gewandelt. „Die Stadt drohte auszusterben, und mit dem Trek-Tourismus steuern wir dagegen an.“ Doch es dauere Zeit, bis diese Botschaft in allen Köpfen angekommen sei.

In der kommunalen Curling-Halle beginnt unterdessen die „VulCon“. Neben den jährlichen Spock-Tagen gilt die Star-Trek-Convention als Highlight der touristischen Aktivitäten in Vulcan. „Unser Event ist viel persönlicher und authentischer als die großen Treffen und Los Angeles oder Frankfurt“, meint Daniels. „Hier können sich Schauspieler und Fans noch treffen, ohne für jedes Wort einzeln bezahlen zu müssen.“

Tatsächlich ist die VulCon billiger als vergleichbare Conventions. Geduldig sitzen die Schauspieler in der Curlinghalle und signieren Autogrammkarten. Captain Kirk ist allerdings nicht dabei, eher B-Promis wie Catherine Hicks (Nebenrolle in Star Trek IV) oder Gary Graham, der den vulkanischen Botschafter spielt.

Mann mit Star-Trek-Uniform und spitzen Ohren.
In Vulcan ist sogar der Bürgermeister verkleidet.
Ein Grabstein in Form eines Star-Trek-Deltas.
Friedhof in Vulcan. Manche Trekkies bleiben ihrer Lieblingsserie sogar nach dem Tod verbunden.
Eine Büste vor einem Haus
Kleine Pause neben Mr. Spocks Büste. Muss auch mal sein.

Auch Tom Grant, der Bürgermeister von Vulcan, mischt sich unter die Gäste. Er trägt, wie immer bei solchen Anlässen, eine rote Uniform und Spock-Ohren. Grant mischt seit fast zwei Jahrzehnten in der Lokalpolitik mit, hat den Alien-Tourismus nach eigenen Angaben immer unterstützt.

Und er lernt dazu: Wenn Trekkies ihn grüßen, gibt er ihnen nicht mehr die Hand. Stattdessen erhebt er sie zum Vulkaniergruß, auch wenn das mit den abgespreizten Fingern noch nicht so ganz klappt. Egal. Wozu gibt es Gummiband!

Tom Grant geht in seiner Rolle so sehr auf, dass er die Uniform sogar bei Politiker-Treffen in anderen Städten anzieht. Gelacht habe darüber noch niemand, beteuert er. „Im Gegenteil. Andere wären froh, wenn sie ein solches Markenzeichen hätten.“ Er liebt den Moment, wenn fremde Menschen auf ihn zukommen und fragen, warum er sich spitze Ohren anklebt. Dann nämlich schlägt sie wieder einmal, die Stunde des Stadt-Marketings.

Doch ist das Oberhaupt der Star-Trek-City überhaupt selbst ein Trekkie? „Nein“, antwortet der Bürgermeister ohne zu zögern. „Ich bin Vulkanier.“

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Der Text ist zuerst in der Süddeutschen Zeitung erschienen und wurde behutsam aktualisiert.

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