Mein Leben bestimmst DU!

Der Amerikaner Mike Merrill ist eine lebende Aktie: Wer investiert, darf über sein komplettes Leben entscheiden. Einfach so.

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Ein junger Mann mit Brille und grauen Haaren

Kaffee oder Tee? Wenn Mike Merrill streng wäre, müsste er jetzt erst einmal seine Aktionäre fragen. Nicht wegen des Preises – in den Hipster-Cafés von Los Angeles sind fünf Dollar pro Pappbecher ganz normal. Sondern wegen des Prinzips: Merrill lässt fremde Menschen über fast jede Entscheidung seines Lebens abstimmen.

Der 40-jährige Amerikaner hat sich selbst zur Aktiengesellschaft gemacht, eine menschliche Ich-AG, die nach den gleichen Prinzipen funktioniert wie die Wall Street. Meistens jedenfalls.

Dass so etwas existiert, ist die erste Überraschung. Die zweite: Merrill wirkt keineswegs so verrückt, wie es seine Lebensweise nahelegt. Durchtrainierter Oberkörper, akkurat gescheitelte, graumelierte Haare. Seine Umgangsformen sind höflich, seine Zähne so weiß wie das Hemd, das er trägt. „An einem Samstagmorgen würde ich so eigentlich nicht rumlaufen“, sagt er zur Begrüßung. „Aber ich repräsentiere schließlich eine Firma.“ Er lacht und nimmt einen Schluck aus dem Becher. Es ist Kaffee.

Was Merrill über den Kapitalismus weiß, hat er sich selbst beigebracht. Auf dem College war er nie, dafür bei der US-Army, stationiert in Heidelberg. Heute arbeitet er als Projektmanager in einer Werbeagentur.

Sogar über Mikes Parteibuch entscheiden die Aktionäre

„Nicht auf der kreativen Seite“, ergänzt er, „ich hab’s eher mit Zahlen.“ Die seien schließlich „der Maßstab, an dem sich unsere Welt orientiert.“ Im Jahr 2008, auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise, gründete er seine Ich-AG, genannt: KMikeyM. „Ich wollte etwas Cooles machen“, sagt Merrill, „und ich wollte die Leute für ihre Teilnahme belohnen.“

Für die Aktionäre kommt die Belohnung in Form von Mitbestimmung daher. Eine Dividende schüttet „Mikey“ nicht aus, das Produkt ist er selbst. Vegetarier oder Fleischesser? Republikaner oder Demokrat? Yoga oder Fitness-Studio? Alles Dinge, über die Merrill seine Anteilseigner schon hat abstimmen lassen. Er selbst legt die Fragen fest, was ihm eine gewisse Kontrolle ermöglicht. Ob die Mehrheit am Ende mit Ja oder Nein abstimmt, lässt sich aber nie mit Gewissheit vorhersagen.

Ein Handy zeigt eine Aktienkurve.
Mike checkt seinen Aktienkurs. Nicht schlecht, findet er.
Ein junger Mann mit Hund.
Mike führt den Hund einer Bekannten aus. Seinen eigenen darf er auch manchmal sehen – dank eines Beziehungsvertrags, den ihm seine Investoren verordnet haben.