Die Tränen von Manzanar

Im Zweiten Weltkrieg wurden über 120.000 japanischstämmige Amerikaner ohne Anklage in Gefangenenlager deportiert. Noch heute kämpfen Zeitzeugen dafür, dass sich die Geschichte nicht wiederholt..

8 Minuten
Ein hölzerner Wachturm in der Prärie, im Hintergrund schneebedeckte Berge.

Der Film läuft noch keine fünf Minuten, da weinen die ersten Zuschauer schon in ihre Taschentücher. Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus den 1940er-Jahren huschen über die Leinwand: Eine Schulklasse vor der amerikanischen Flagge. Ältere Herren. Junge Mütter. Eine Gruppe Baseballspieler. Schließlich ein Tanzabend, bei dem ein beliebter Westernsong läuft: „Don’t Fence Me In“. Sperr mich nicht ein.

Für sich betrachtet haben die Bilder nichts Verstörendes. Sie zeigen keine Gewalt, kein Blut. Dennoch dokumentieren sie ein Verbrechen, über das in der amerikanischen Gesellschaft bis heute kaum gesprochen wird: die Massen-Inhaftierung der japanischstämmigen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg. Vor diesem Hintergrund wirken die scheinbar harmlosen Szenen plötzlich ganz anders. Die Schulkinder geloben der amerikanischen Verfassung, während nebenan die Soldaten patrouillieren. Die Baseball-Mannschaft darf nur zum Heimspiel antreten, weil hinter dem Spielfeld der Stacheldrahtzaun beginnt. Der Westernsong: wahrhaftig beliebt, aber bitterlich zweideutig für diejenigen, die zu ihm tanzen.

Die Zuschauer, die an diesem Tag im Kino sitzen, kennen solche Szenen nicht nur aus dem Geschichtsbuch. Sie haben die Executive Order 9066 selbst miterlebt, jenen Präsidenten-Erlass, den Franklin D. Roosevelt am 19. Februar 1942 unterzeichnete. Er machte den Weg frei für die größte Verhaftungswelle in der amerikanischen Geschichte. Etwa 120.000 japanischstämmige Amerikaner wurden in Gefangenenlager deportiert. Ohne Anklage. Ohne Prozess.

Drei Monate zuvor hatten japanische Kampfflieger den US-Stützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii bombardiert und damit nicht nur den Kriegseintritt der USA eingeläutet, sondern eine regelrechte Hysterie an der Heimatfront. Die in den USA lebenden japanischen Einwanderer standen fortan unter Generalverdacht – selbst die mit amerikanischem Pass. „Man kann einen Japs nicht von einem anderen unterscheiden“, hetzte der für die Lager zuständige US-General John DeWitt. „Sie sehen einfach alle gleich aus.“

Im 9. Mai 1942 begann die Deportation – von der Regierung als „Evakuierung“ beschönigt. Kishimura Faye war damals neun Jahre alt. Die heute 84-Jährige lebte mit ihren Eltern, ihrem Bruder und ihren sieben Schwestern im kalifornischen San José, als Executive Order 9066 in Kraft trat. Innerhalb von einer Woche musste die Familie ihr gesamtes Hab und Gut verkaufen. Die Möbel. Den Kühlschrank. Das Auto. Sogar das geliebte Radio. Mitnehmen durften sie nur einen Koffer pro Person – eine Schmach, die all jenen, die so aussahen wie sie, zuteil wurde. Die „Japs“, so der verächtliche Ausdruck, wurden zu Gefangenen im eigenen Land.

Ein gerahmtes Schwarzweiß-Foto eine Frau, die auf ein Schild mit der Aufschrift „Japs keep moving: This is a White Man's Neighborhood“ zeigt.
Nach dem Angriff auf Pearl Harbor verschärfte sich im ganzen Land die Stimmung gegen japanischstämmige Amerikaner.
Ein Holzschild mit der Aufschrift „Manzanar War Relocation Center“ vor blauem Himmel.
Eingangsbereich des „Manzanar War Relocation Center“.
Ein gedrungener Obilisk mit Umzäunung.
Das Lager in Kalifornien wurde inzwischen als Mahnmal wieder aufgebaut. Andernorts sind die Camps vielfach in Vergessenheit geraten.
Ein Schild an einem Highway vor schneebedeckten Bergen.
Ein Schild am Randes des Highways weist auf das Camp hin.
Ein Restaurant von außen mit Gästen
Japanisches Viertel in Los Angeles. Viele Amerikaner beginnen erst heute, die Vergangenheit aufzuarbeiten.
Ein alter Mann lächelt in die Kamera.
Der 86-jährige Bill Shishima war als Kind selbst in einem Lager interniert. Heute gibt er sein Wissen als Museumsguide weiter.
Ein Museum, im Vordergrund ein Zebrastreifen.
Japanese American National Museum in Los Angeles.
Ein Schwarzweiß-Foto einer Familie.
Bill Shishima zeigt ein Foto aus seiner Kindheit. Der kleine Junge unten in der Mitte ist er.