Schöne Schande

Im krisengeplagten Detroit stehen über 80.000 Gebäude leer. Was Einheimische als peinlich empfinden, feiern Foto-Touristen als Attraktion.

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Eine verlassene Fabrikhalle in Detroit

Als Jesse Welter die ersten Patronenhülsen entdeckt, hören die Kameras kurz auf zu klicken. War vielleicht doch nicht die klügste Idee, in dieser Ruine herumzustöbern, noch dazu in einer der gefährlichsten Städte der USA. Welter, der Tour-Guide, ist abgehärtet: „Sind doch nur Gummigeschosse“, erklärt er fröhlich. „Die feuert die Polizei auf Einbrecher. Seid froh, dass es nicht die Kugeln der Vorstadt-Kids sind – denn die sind echt.“

Charlotta, 16, schaut wie gebannt auf die Munition.

Fritz, 77, stützt sich verlegen auf sein Stativ.

Eben noch war die Gruppe voller Elan durch die verlassene Schule gestapft, ausgestattet mit Digitalkameras, Wollmützen und Stirnlampen. Jede Glasscherbe eine Entdeckung, jeder Klassenraum ein Motiv.

Und jetzt? Der totale Stimmungskiller. Doch Welter weiß, wie man ängstliche Touristen beruhigt: „Keine Sorge, es ist erst halb acht. Da schlafen die Betrunkenen noch.“

Tatsächlich ist das, was Jesse Welter in seinem Wohnort Detroit anbietet, nicht ungefährlich. Bevor die Foto-Safari im Beton-Dschungel losgeht, müssen alle Teilnehmer einen Haftungsausschluss unterschreiben. Festnahmen, Verletzungen und sogar der Tod – all das könnte im Extremfall passieren, wenn Gebäude, die seit Jahren leer stehen, heimlich betreten werden. Zumal die Sache nicht ganz legal ist.

Doch genau dieser Kick beschert Welter immer neue Kunden. Der 44-jährige Fotograf hat sich auf „Urban Exploration“ spezialisiert, die Erkundung von Ruinen im städtischen Raum. Davon gibt es Detroit mehr als genug. Die Stadt, in der Henry Ford einst die industrielle Fließband-Produktion einführte, hat harte Zeiten hinter sich. Viele Betriebe sind nach Fernost abgewandert; 2013 meldete Detroit Insolvenz an, die größte kommunale Pleite in der US-Geschichte.

Ein Mann mit Mütze vor einem Bus
Tour-Guide Jesse Welter.
Blick über Hochhäuser
Die gute Seite von Detroit: Blick vom „General Motors“-Hochhaus auf die Innenstadt.
Blick durch eine zerbrochene Fensterscheibe auf verlassene Fabrikhäuser.
Das andere Detroit: Etwa 80.000 Gebäude stehen in der Stadt leer. Sie verfallen zu lassen, ist schlicht billiger, als sie abzureißen.
Eine Tankstelle und Gebäude an einer leeren Ampelkreuzung.
Obwohl es wirtschaftlich wieder bergauf geht, wirken viele Viertel noch immer wie ausgestorben.
Ein Mann mit Zigarette im Mund schaut durch eine Digitalkamera, die auf einem Stativ steht.
Der Verfall zieht Touristen an. Einheimische sprechen abschätzig von „Ruinen-Pornos“, weil sich die Besucher am Elend ergötzten.
Ein Fabrikgebäude mit eingeworfenen Fensterscheiben. Davor mehrere Straßenabsperrungen, von denen einige umgefallen sind.
In der Fisher Body Plant wurden einmal Autoteile hergestellt. Seit den 1990er-Jahren steht die Fabrik leer.
Eine marode und verlassene Fabrikhalle
Eine verlassene Fabrikhalle in Detroit
Eine ältere Frau mit einem Stativ auf der Schulter.
Rosie Lemons macht die Tour schon zum zweiten Mal. „Diese Orte haben ihren eigenen Charme“, sagt die 61-Jährige.
Ein eingeschneiter Basketballkorb samt Aufhängung liegt auf dem Boden.
In dieser Turnhalle wird schon lange kein Sport mehr getrieben.
Eine verlassene Turnhalle, deren Wände mit Graffiti übersät sind
Die Urban Explorers besuchen Schulen…
Ein Mann steht in einem verlassenen und ramponierten Klassenraum und fotografiert.
Etwa die Hälfte aller Schulen in Detroit steht leer.
Leer stehende Kirche mit Schutt auf dem Boden, im Hintergrund eine Frau vor einem Stativ.
Verlassene Kirchen sind ebenfalls ein beliebtes Fotomotiv.
Eine mit Graffiti versehene Wand mit einem Loch in der Mitte. Hinter dem Loch ist eine leer stehende Fabrikhalle zu sehen, in der ein Mann mit Kamera in der Hand steht.
In manchen Ruinen haben Metalldiebe die Wände aufgehackt.