Schulhofbullys

Beobachtungen von der Frankfurter Messe und andere Verfassungsnews von Max Steinbeis

von Maximilian Steinbeis
6 Minuten

Liebe Freunde des Verfassungsblogs,

Ich bin ziemlich erschöpft und auch ein bisschen krank nach dieser Wahnsinnswoche, daher fällt dieses Editorial etwas knapper aus als die letzten. Wahnsinnswoche? Katalonien, Österreich, Regierungsbildung in Deutschland – es passiert wahrhaftig mehr als genug in diesen Tagen. Zu Beginn der Woche erschien aber auch unser Buch „Mit Rechten reden“, und am gleichen Samstag ereignete sich in Frankfurt auf der Buchmesse etwas, das wie eine Inszenierung unserer zentralen These wirkte und unser Buch zum „wohl meist diskutierten Buch der Messe“ machte, wie die Süddeutsche Zeitung so freundlich war zu schreiben.

Falls Sie es nicht mitbekommen haben: Ein rechter Verlag bucht eine Veranstaltung, um ein paar rechte Bücher vorzustellen; hier ein Häuflein linker Aufrechter, die den Auftritt mit Pfiffen und Protest unmöglich machen wollen; dort ein Häuflein rechter Aufrechter, die genau darauf nur gewartet haben; Tumult, Polizei, ein hilfloser Messechef mit Megaphon versucht erfolglos den Abbruch der Veranstaltung durchzusetzen, und am Ende steht der rechte Verleger auf exakt der Bühne, die ihm die linken Protestierer nicht gewährt sehen wollten, und kann sein Glück nicht fassen: Bühne, ach was, ein ganzes Stadion hatte er bekommen! Er, der kleine randständige Verleger als Großkapitalist der Aufmerksamkeitsökonomie, der Verfemte als Triumphator der Frankfurter Buchmesse! Und das (für ihn) Schönste: Ob seine Bücher überhaupt etwas taugen, hatte er nicht mit einem einzigen Satz begründen müssen.

Was dieses Debakel für Linke und andere Nicht-Rechte für Lektionen bereit hält, darüber ist in dieser Woche schon genug Kluges geschrieben und gesendet worden, etwa hier, hier, hier oder hier. Ich will hier nur noch zwei Gedanken nachreichen, und zwar zum Stichwort Meinungsfreiheit.

Die Meinungsfreiheit der Rechten, das wäre mein erster Punkt, verpflichtet die Linken zu gar nichts. Sie verpflichtet die Polizei, die Justiz, den Gesetzgeber, aber nicht Leute, die sich hinstellen und von ihrer eigenen Meinungsfreiheit Gebrauch machen, und sei es auf noch so lautstarke und rabiate Weise. Im Gegenteil: nicht nur verpflichtet sie die Linke zu nichts, sie berechtigt sie sogar. Die Antifa hat (soweit sie gewaltfrei agiert) das Recht auf ihrer Seite, wenn sie der Rechten ihre Meinung streitig macht. Sie darf das. Und es gibt jede Menge konkreter Situationen, in denen ich noch weitergehen und sagen würde: Sie soll das. Nur halt nicht in dieser.

Und die Rechten? Schützt die Meinungsfreiheit auch „rechtes Gedankengut“? Natürlich tut sie das. Sie schützt sogar regelrechtes Nazi-Gedankengut, man sollte es nicht glauben (die Regel bestätigende Ausnahme: § 130 Abs. 4 StGB). Nur heißt das noch lange nicht, dass man alles sagen darf. Wer etwas sagt, sagt nicht nur, sondern tut auch etwas, und was man tut, kann anderen schaden, und für diese Schäden hat man Verantwortung zu übernehmen. Das ist keine Niedertracht und liberale Heuchelei, sondern eigentlich ganz trivial. Und schon gar nicht muss das irgendjemand für sich gelten lassen, nur weil ein anderer sagt, was er sagt. Das ist es, was den meisten Rechten so unendlich schwer fällt zu begreifen: Dass nichts sie berechtigt, für alle anderen festzulegen, was ist und was sein soll. Dass auf Behauptung Begründung folgen muss. Weil die bloße Behauptung für alle anderen außer einem selbst einfach wurscht ist, irrelevant, bloßes Geräusch, ohne Verbindlichkeit. Es sei denn durch Gewalt.

Die Rechten behaupten, von allen möglichen Seiten her zum Opfer gemacht und daran gehindert zu werden, die zu sein, die sie sind: von Ausländern, von Frauen, von Linken, von wem immer. Das behaupten sie, und weil diese Behauptung Empörung auslöst, nehmen sie diese Empörung und sagen: Da seht ihr, wie wir zum Opfer gemacht werden! So operieren Schulhofbullys, und so operiert die Rechte. Sie nährt sich geradezu parasitisch von der Empörung, die sie provoziert und ihr die Notwendigkeit erspart, ihre behauptete Opferstellung tatsächlich begründen zu müssen.

Dieses Sprachspiel haben wir in unserem Buch zu analysieren versucht. Das hat viele Linke sehr gekränkt. Das verstehe ich, aber ich sehe dazu keinen Grund. Was wir anbieten, ist zwar eine Kritik ihrer bisherigen Strategie – mit Kritik sollte die Linke umgehen können –, aber auch ein Angebot, ein Hinweis auf eine mögliche Erweiterung ihres strategischen Arsenals. Das müsste ihr angesichts des Erfolgs, den die Rechte mit ihrem Schulhofbully-Spiel fortlaufend innerhalb wie außerhalb der Frankfurter Buchmesse erzielt, doch eigentlich gelegen kommen. Schließlich wollen wir, was die Rechten betrifft, das Gleiche.

Ex Oriente Lux?

In Österreich hat die Rechte schon längst ein ganz anderes Ausmaß an Hegemonialität erlangt als in Deutschland, was man auch an den Wahlergebnissen des letzten Wochenendes ablesen kann. ALEXANDER SOMEK, der Rechtsphilosoph aus Wien, hat seine Gedanken zum Wahlergebnis hier aufgeschrieben. THEO ÖHLINGER analysiert die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten für Bundespräsident Alexander van der Bellen, die Regierungsbildung zu beeinflussen.

Unterdessen fährt der katalanische Sprengstoff-Truck weiter ungebremst auf die Betonmauer in Madrid zu. Konstitutionalist_innen, die ihrer Alarmiertheit Ausdruck verleihen wollen, seien hiermit erneut aufgefordert, sich einem klugen und von ZORAN OKLOPCIC verbreiteten Aufruf zum Dialog anzuschließen.

In Italien wird am Sonntag ebenfalls am regionalen Separatistenrad gedreht, und zwar in den norditalienischen Regionen Lombardei und Veneto, wo die Lega Nord ihre politische Stellung gern durch ein Volksvotum für mehr Autonomie und weniger Solidarität gegenüber ärmeren Regionen gekräftigt sähe. SOFIA FRANCESCUTTO und MARIO RICCIARDI erläutern, was es mit diesem Referendum auf sich hat und was politisch daraus folgen könnte.

In Polen drückt die PiS dem Rechtsstaat die Luft ab, und die EU-Kommission kann und kann sich nicht entschließen, dagegen wirklich aktiv zu werden. TOMASZ KONCEWICZ verliert die Geduld.

In Großbritannien freuen sich die Brexiteers darauf, die Kontrolle über die Einwanderung zurück zu erhalten, und wenn DANIEL THYM Recht behält, dann freuen sie sich zu früh: Nicht mehr, sondern weniger Kontrolle wird ihr Schicksal sein. (Was heißt hier Schicksal…)

Apropos Migration: Das Bundesverfassungsgericht hat nach Ansicht von MEIKE RIEBAU eine Chance vertan, die erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Ausschluss des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte zu klären.

TOBIAS KLARMANN sieht sich anlässlich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) die Problematik der Abschiebung so genannter „Gefährder“ genauer an, also von Leuten aus dem islamistischen Spektrum, die einstweilen nichts verbrochen haben, aber mit einiger Wahrscheinlichkeit das noch tun könnten.

Das deutsche Bundeskriminalamt hat mit dem Foto eines 4-jährigen Pädophilenopfers öffentlich nach dem Täter gefahndet, und zwar mit Erfolg. Warum eine solche Öffentlichkeitsfahndung trotzdem aus der Perspektive des Opferschutzes hoch problematisch ist, legt SABINE WITTING offen.

Anderswo

P.Y. LO bringt den Spezialstatus von Hongkong in der Volksrepublik China als mögliches Modell für Katalonien ins Gespräch. MICHELE DELLA MORTE fragt über das katalanische Drama nach der schwindenden Steuerungskraft des Rechts, und MIGUEL ANGEL PRESNO LINERA fragt sich angesichts von Forderungen aus der Partido Popular, die independistischen Parteien zu verbieten, ob diese Leute Witze machen, was wie so oft ein Indikator ist, wie wenig dem Fragesteller zum Lachen zumute ist. XAVIER ARBÓS sieht keinen Spielraum für die spanische Zentralregierung, auf Basis des berüchtigten Art. 155 der Verfassung in Katalonien Neuwahlen herbeizuführen.

RÉNATA UITZ’ Langversion des Posts zur jüngsten Wendung in Sachen Lex CEU und Ungarn, dessen Kurzversion wir letzte Woche gepostet haben, ist hier.

MARK ELLIOTT zeigt, wie furchtbar wenig das souveräne britische Parlament gegen einen „No Deal Brexit“ unternehmen könnte: solche Versuche wären wenig mehr als „das gesetzgeberische Äquivalent zu den Anweisungen von König Knut an die Gezeiten“.

Das Urteil des EGMR in Sachen Pushback von Flüchtlingen in der spanischen Exklave Melilla, über das wir schon vorletzte Woche berichtet haben, hat eine breite Diskussion ausgelöst, an der sich DAVID MOYA, ANNICK PIJNENBURG, ROSELINE LETTERON sowie CRISTINA GORTAZAR ROTAECHE und NURIA FERRÉ TRAD beteiligen.

Jetzt ist dieses Editorial doch wieder ziemlich lang gewesen, aber so ist es eben in diesen Zeiten. Ich koche mir jetzt einen Tee und versuche, noch ein paar letzte Herbstsonnenstrahlen einzufangen. Ihnen und mir eine erfolgreiche und vielleicht zur Abwechslung nicht gar so furchtbar aufregende Woche!

Alles Gute,

Max Steinbeis

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