Wahnsinn mit Methode

VerfassungsNews: Max Steinbeis präsentiert aktuelle Debatten über die (rechtlichen) Grundlagen des Zusammenlebens

von Maximilian Steinbeis
7 Minuten
Eine große Menschenmenge in der Dunkelheit.

Berlin, 18. Februar 2017

Liebe Freunde des Verfassungsblogs,

der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten hat sie nicht mehr alle. Das scheint in dem Teil der Öffentlichkeit, den ich überblicke, der Befund zu sein nach dem mangels treffenderer Begriffe „Pressekonferenz“ genannten Vorgang im Weißen Haus diese Woche. "Unhinged„, “insane“, "bat-shit crazy": Die meisten Kommentatoren wussten sich in ihrer Fassungslosigkeit nur noch durch die Flucht in die psychiatrische Ferndiagnose zu helfen, und zwar nicht nur bei den Medien, die Donald Trump zu seinen Feinden erklärt hat: Selbst auf Fox News sah man entsetzte Moderatoren ihre aschfahlen Köpfe schütteln.

Was Trumps Auftritt über seinen Geisteszustand verrät, kann ich nicht beurteilen. Mir kommt aber ein anderer Verdacht: Ist dies auch Wahnsinn, hat es doch Methode. Die zeigt sich vor allem in Trumps Antwort auf die Frage eines Reporters nach den an die Öffentlichkeit gedrungenen Informationen über die Russland-Kontakte des zurückgetretenen Sicherheitsberater Michael Flynn. Diese Informationen sind real, hatte Trump gesagt. Wie kann es dann sein, so die Frage des Reporters, dass die Berichte darüber erfunden seien? Was von beiden? Sind die Informationen nun wahr oder sind sie falsch? Sie können doch nicht beides sein, oder?

Wahr oder falsch, tertium non datur: Der Reporter schien einen Trumpf ausgespielt zu haben, gegen den kein Stich mehr möglich ist, nämlich die Logik. Indes: kein Problem für Donald Trump. Die Öffentlichkeit, sagte er ruhig, wisse nicht, ob wahr oder falsch. Aber er wisse das. „Ich weiß, wann Sie die Wahrheit sagen und wann nicht.“

Zu lügen heißt, etwas Falsches für wahr zu erklären oder umgekehrt. Das tut Trump obendrein, und das ist schlimm genug. Das Gleiche für sowohl wahr als auch falsch zu erklären, ist aber von anderer Qualität. Das verneint die Bedingung der Möglichkeit, sich überhaupt noch über Wahr und Falsch auseinanderzusetzen. Dann wird Wahr und Falsch zu einer Frage der Dezision: Was wahr ist und was falsch, entscheide ich.

Hat das Methode? Ich fürchte schon.

Was Trump macht, lässt sich vielleicht bis zu einem gewissen Punkt mit dem vergleichen, was Kaczyński mit der polnischen Verfassung getan hat: ein Gesetz zu erlassen, das gleichzeitig verfassungswidrig und nicht verfassungswidrig ist. Wem an der Herrschaft des Rechts gelegen ist, der findet das unerträglich. Wem aber an der eigenen Herrschaft gelegen ist, für den ist das womöglich gar nicht so übel. Für den ist so ein Zustand innerer Widersprüchlichkeit mitsamt den dadurch entstehenden Spielräumen, zum Entzücken der faszinierten Anhängerschaft die eigene dezisionistische Tatkraft zu inszenieren, durchaus attraktiv.

Mir scheint, mit den Pathologisierungen lässt man Trump eher zu billig davon kommen. Ist dieser Mann krank? Ist er nicht zuvörderst – oder will es zumindest sein – ein Tyrann im klassischen Sinne?

Verfassungschaos

Wäre Trump ein Fall für die Psychiatrie, dann käme auf jeden Fall der 25. Zusatzartikel der US-Verfassung ins Spiel. Der sieht ein Verfahren vor, wie ein zur Amtsführung „untauglicher“ Präsident durch den Vizepräsidenten ersetzt werden kann, wenn der Kongress das so beschließt. Mark Tushnet, Verfassungsrechtsprofessor aus Harvard, hat dazu einen kurzen Blogpost geschrieben, den ich für den Verfassungsblog übersetzt habe. Tushnet hält es für denkbar, dass für Trump auch diesseits der Schwelle zur Geisteskrankheit dieses Verfahren scharf gestellt werden könnte, sofern sich das Establishment der Republikaner dazu entschlösse. Da in diesem Verfahren, anders als bei der Amtsenthebung, der Vizepräsident und das Kabinett die Initiative ergreifen müssten, wäre das für die Republikaner im Kongress mit ihrer Angst vor dem Zorn der Trump-Anhänger möglicherweise eine gar nicht so unattraktive Option.

Was Polen betrifft, so legt Marcin Matczaks Bericht Zeugnis darüber ab, was das Verfassungschaos, das Kaczyńskis PiS-Partei angerichtet hat, mittlerweile für bizarre Blüten treibt: Ein Zivilgericht muss jetzt entscheiden, ob die neue PiS-treue Verfassungsgerichtspräsidentin überhaupt korrekt ins Amt gewählt worden ist. Daran gibt es nämlich begründete Zweifel. Wenn das Warschauer Berufungsgericht dieselben teilt, dann würde das womöglich eine Tür zu einer zivilgerichtlichen Ersatz-Verfassungskontrolle anstelle des neutralisierten Verfassungsgerichts aufstoßen.

Eine junge Frau hält ein Poster hoch.
Die Pro-Putin-Aktivistin Maria Katasonova hält ein Plakat mit Portraits von Donald Trump, Marie Le Pen und Vladimir Putin hoch.