Das Außen im Innen

VerfassungsNews: Max Steinbeis präsentiert aktuelle Debatten über die (rechtlichen) Grundlagen des Zusammenlebens

von Maximilian Steinbeis
8 Minuten
Männer verschanzen sich hinter Holzschilden und Speeren.

Berlin, 01. April 2017

Liebe Freunde des Verfassungsblogs,

der kaum verhohlene Angriff der ungarischen Regierung auf die Central European University (CEU) verstört Wissenschaftler_innen auf der ganzen Welt, und auch der Verfassungsblog erklärt sich mit der CEU und ihrem Abwehrkampf aus vollem Herzen solidarisch – nicht nur weil die CEU ein Ort akademischer Exzellenz und intellektueller Labsal ist, wie man in der ganzen Region weit und breit so leicht keinen zweiten findet. Auch nicht, weil die CEU unter Leitung unserer Autorin Rénata Uitz ein weltweit einzigartiges Master-Programm in vergleichendem Verfassungsrecht anbietet. Sondern weil die Freiheit der Wissenschaft zum Kernbestand der liberalen Verfassungsstaatlichkeit gehört.

Gegenüber einem Land, das seine Verfassungsstaatlichkeit bereits so erfolgreich entkernt hat wie Ungarn, fühlt es sich einigermaßen vergeblich an, einmal mehr unsere schwache Stimme des Protests zu erheben, zumal Viktor Orbán die Tatsache, dass wir liberalen Konstitutionalisten etwas richtig schlimm finden, eher ermutigen als abschrecken dürfte. Das ist aber nicht der Punkt. Adressat des Protests sollte – mein ceterum censeo seit einem halben Jahrzehnt mittlerweile, wie auch das vieler anderer – die Europäische Union sein, insbesondere der Rat und allen voran die deutsche Bundesregierung. Dass Angela Merkel ihren EVP-Parteifreund Orbán seit so vielen Jahren unbehelligt seine Spur der Zerstörung durch Art. 2 EUV ziehen lässt wie eine Wildsau durchs Gemüsefrühbeet, gehört zu den schändlichsten Aspekten ihrer Kanzlerschaft. Der Schaden, den er anrichtet, ist längst auch ihr Schaden.

Das Motiv für diesen jüngsten Schlag der ungarischen Regierung gegen die Verfassungsstaatlichkeit scheint auf der Hand zu liegen: Gleichschaltung. In der CEU sitzen unabhängige und sehr kluge und gut informierte Leute, die die Regierung furchtlos kritisieren, und wenn man sie los wird, dann wird man auch diese Leute los. Gabór Halmai sieht in der ungarischen Regierung einen „legally sophisticated authoritarianism“ am Werk, der sich formeller rechtlicher Argumente bedient, um seine Gegner kalt zu stellen.

Anders als bei der Gleichschaltung der Justiz und der Medien scheint mir hier aber noch etwas hinzuzukommen: die CEU ist nicht nur eine Quelle von Kritik, sondern eine ausländische Quelle von Kritik. Aber im Inneren. Sie ist das Außen im Innen. Sie ist im US-Bundesstaat New York akkreditiert und von George Soros finanziert, aber sie sitzt mitten in Budapest, mit einem hohen Anteil ungarischer Student- und Dozent_innen, sie ist eine ungarische Universität. Das ist es, was Fidesz, ganz abgesehen von der Kritik, so wahnsinnig macht.

Populisten kennzeichnet, dass sie das Eigene als Totalität sehen wollen, als Ganzes, Ewiges, naturhaft Vorhandenes: das eigene Land, die eigene Geschichte, das eigene politische Schicksal, das eigene Volk. Als Ganzes lässt sich aber jedes Ding nur von außen in den Blick nehmen. Um ein Haus als Ganzes beschreiben zu können, muss man aus ihm heraustreten. Um seinen Körper als Ganzes sehen zu können, muss man in den Spiegel schauen. Von innen sieht man immer nur Perspektiven, Hinsichten, Details, nie die Totale. Das ist der Grund, noch vor allen taktischen und strategischen Nützlichkeiten, warum Populisten so notwendig Feinde brauchen – als Reflektionsschild, in dem sie sich selbst sehen, endlich nicht mehr nur in dieser oder jener Hinsicht, endlich so, wie sie vermeintlich wirklich sind, endlich ganz.

Was aber, wenn in diesem Spiegelbild lauter Blendpunkte auftauchen, Facetten von Außen im Innen – was spiegelt dann was? Was ist das für ein Bild? Man sieht nichts mehr, anstelle des totalen Bildes seiner selbst erkennt man nur ein unklares Reflexgeflimmer. Das ist es, was die Populisten nicht aushalten. Das ist der Grund, warum sie dem Außen im Innen so hartnäckig und wider alle Vernunft an den Kragen wollen, ob das NGOs in Russland sind oder Imame in Deutschland oder eben von Soros finanzierte Universitäten in Ungarn. Und das ist es, was der offiziellen und beim Wort genommen doch nur bizarr zu nennenden Begründung, die Änderung am Hochschulgesetz sei aus Gründen der „nationalen Sicherheit“ notwendig, in Augen ihrer Anhänger einen Anschein von Plausibilität verleiht.

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Die doppelte Staatsbürgerschaft sorgt für viele Konflikte.