Torten, die sprechen

von Maximilian Steinbeis
7 Minuten
ein Mann mit Brille und Bart [AI]

Liebe Freund_innen des Verfassungsblogs,

Die Torte als Motor und Bremse des diskriminierungsrechtlichen Fortschritts: Irgendwann wird sich eine Rechtshistoriker_in hinsetzen und eine Dissertation zu diesem Thema schreiben. In dieser Woche hat der britische Supreme Court in punkto Tortenjurisdiktion mit dem amerikanischen gleichgezogen und ein Urteil zu der Frage gefällt, was die Torte als Dessert gewordenes Diskriminierungsstatement für rechtliche Folgen auszulösen vermag. Um die Antwort vorwegzunehmen: Verdauungsbeschwerden.

Wir erinnern uns: In USA hatte der Oberste Gerichtshof im letzten Juni im Fall Masterpiece Cakeshop v. Colorado Civil Rights Commission über eine Hochzeitstorte zu entscheiden, die ein christlicher Bäcker nicht backen wollte, weil es ein gleichgeschlechtliches Paar war, das sie für ihre Hochzeit bestellt hatte. Gibt es ein Recht für Homophobe, unter Berufung auf ihr Recht auf Meinungsfreiheit und ihre religiösen Überzeugungen sexuelle Minderheiten zu diskriminieren? Zum Kummer der konservativen Hardliner im US Supreme Court fand sich dafür keine Mehrheit (was sich aber mit dem Wechsel von Justice Kennedy zu Justice Kavanaugh mittlerweile geändert haben dürfte), weshalb sich der Supreme Court am Ende in eine ziemlich windige Kompromisslösung flüchtete, die dem Bäcker Recht gab, ohne zugleich eine solche Gewissens-Ausnahme zu postulieren.

Der Fall, den der britische Supreme Court zu entscheiden hatte, war etwas anders gelagert: Die Torte, die der schwule Kunde bestellte und der christliche Bäcker nicht backen wollte, war keine Hochzeitstorte, sondern für die Feier einer LGBT-Organisation aus Belfast gedacht und sollte eine spezifische Botschaft tragen: Support Gay Marriage. Auch die Lordrichter in London entschieden zu Gunsten des Bäckers: Dass er die Torte nicht backen wollte, lag nicht an der sexuellen Orientierung des Käufers, sondern an der Botschaft, die dieser gebacken haben wollte. „The objection was to the message, not the messenger.“ Jeder, ob straight oder schwul, wäre mit einer solchen Bestellung abgeblitzt. Daher könne von Diskriminierung wegen sexueller Orientierung keine Rede sein. Von Diskriminierung wegen politischer Meinung schon eher – aber hier kommen die Rechte des Bäckers ins Spiel: Er darf nicht gezwungen werden, „Support Gay Marriage“ auf den Zuckerguss zu schreiben, wenn er tatsächlich diametral anderer Meinung ist.

Torten, die sprechen: Aber was sagen sie? Beide Supreme Courts spielen alle möglichen hypothetische Alternativverläufe durch, um der Tortenbotschaft und ihrem diskriminierenden Gehalt auf die Spur zu kommen. Was, wenn ein Hetero eine „Support-Gay-Marriage“-Torte bestellt hätte? Was, wenn er eine „Homosexuality=Sin“-Torte bestellt hätte? Was, wenn ein Hetero für eine Homo-Hochzeit eine Torte bestellt hätte? Was wenn ein Homo für eine Hetero-Hochzeit eine Hochzeitstorte bestellt hätte? Am Ende bleibt kaum mehr als die Erkenntnis, dass es für jedes Ergebnis ein Vergleichsszenario gibt und man nur richtig zu wählen braucht, um beim Gewünschten herauszukommen.

Was aber sagt die Torte? Wäre sie gebacken worden, da gebe ich Neil Gorsuch völlig Recht, würde sie natürlich sagen: Support Gay Marriage. Wenn da zwei heiraten, dann ist das ein glückliches Ereignis, das gefeiert gehört, mit Sahne, Biskuit und Zuckerguss. Gratulation! Das ist die Botschaft der Torte, und das wäre das Statement gewesen, das der Bäcker abgegeben hätte, hätte er sie gebacken.

Auch ein Statement

Er hat sie aber nicht gebacken. Und auch das ist ein Statement. So wie die Torte, wäre sie gebacken worden, ein Statement an den homosexuellen Kunden gewesen wäre für sein und seinesgleichen Recht zu heiraten wie alle anderen auch, so ist die nicht gebackene Torte ein Statement gegen sein und seinesgleichen Recht zu heiraten wie alle anderen auch.

Der Bäcker ist ja nicht irgendein Eremit, der irgendwo in aller Stille seine Gebete verrichtet, und auch keiner, den man um einen Gefallen bittet, wenn man eine Torte bei ihm bestellt. Torten verkaufen ist sein Geschäft. Er hält Torten feil, für jeden und jede, der eine haben will. Wenn er bestimmte Torten bestimmten Kunden nicht verkaufen will, dann kann er das ja machen. Nur ist das dann eine Unterscheidung, die er vornimmt und niemand anders. Dann ist das ein Statement, für das er denjenigen, die er da unterscheidet, eine Rechtfertigung schuldig ist. Und wenn er die nicht liefern kann, ohne zu diskriminieren – ja, dann ist das eben Diskriminierung.

Für dieses Statement will der Bäcker aber keine Verantwortung übernehmen. Er will sich nicht rechtfertigen. Er will keine Gründe angeben müssen, die irgendjemand überzeugen. Homosexualität ist Sünde: Das ist sein Glaube. Das ist nicht etwas, das er weiß, sondern etwas, das er glaubt. Und glauben ist nicht etwas, das man tun kann oder auch nicht. Das ist ein Stück seiner Identität. Er kann gewissermaßen nichts dafür. Er ist so.

Damit tut der Bäcker aber im Prinzip nichts anderes als der Alt-Right-Troll, der im Internet irgendeinen Wahnsinn über Flüchtlinge oder den Islam raushaut und, wenn man ihn auffordert, sich dafür zu rechtfertigen, empört aufheult: Meinungsfreiheit! Er zieht einen Kreis um sich und seinen Glauben und sagt: ab hier sind meine Statements, mit denen ich meine Meinung für euch in Geltung setze, Identitätssache. Wer mir da noch mit Kritik und Forderungen nach Rechtfertigung kommt, der vergewaltigt mich. Ich, der ich Minderheiten bedränge, bin jetzt die bedrängte Minderheit. Ihr denkt, ihr habt Rechte, aber ätsch: das sind jetzt auch meine.

Damit darf man den Bäcker nicht davon kommen lassen. Grundrechte sind kein Darkroom, in dem man unbehelligt vor sich hin diskriminieren kann, ohne dass es einer sieht und einen haftbar macht dafür. Das gilt auch für die Glaubensfreiheit. Der allgegenwärtige Versuch von rechts, die Grundrechte zu eben diesem Zweck umzuwidmen, ist nicht die geringste unter den Gefahren, denen der Konstitutionalismus in diesen finsteren Tagen ausgesetzt ist.

Am Pranger

In Deutschland findet unterdessen die AfD Freude an der Vorstellung, Eltern und Schüler_innen dazu anzustiften, Lehrer_innen für AfD-kritische Bemerkungen im Unterricht an den Internet-Pranger zu stellen. JOSEF FRANZ LINDNER zeigt, dass das ein Verstoß gegen das öffentliche Schulrecht ist, den die Behörden nicht als vermeintliches Privatproblem der Lehrer_innen von sich wegschieben dürfen.

Und apropos Diskriminierung: der Bundestag hat begonnen, über Gesetzentwurf zur Dritten Option zu debattieren, aus welchem Anlass BERIT VÖLZMANN die grundsätzliche Frage stellt, warum der Gesetzgeber überhaupt noch das „Geschlecht“ als rechtliche Kategorie fixiert.

In der Union, genauer: der Jungen Union wird über eine Amtszeitbegrenzung für die Kanzlerin laut nachgedacht, was CARL OTTO LENZ gar keine schlechte Idee findet.

In Bayern wird an diesem Wochenende gewählt, und es sieht ganz so aus, als würde die CSU exakt das Schicksal ereilen, das ich ihr und ihrem Ministerpräsidenten Markus Söder im Frühling an den Hals gewünscht habe. ROMAN KAISER hat sich aber das bayerische Wahlrecht angeschaut und zeigt, dass dies nicht nur zu vielen Überhang- und Ausgleichsmandaten führen wird, sondern auch die ohnehin schon schwierigen Prognosen über mögliche Mehrheiten zusätzlich erschwert.

In Bosnien-Herzegowina wurde am letzten Sonntag gewählt, aber an der verfahrenen Verfassungssituation im Land, mit drei konstitutiven Volksgruppen zu Lasten aller anderen, ändert sich daran nichts, wie CONSTANCE GREWE, langjährige Verfassungsrichterin in Bosnien, erläutert.

Iran hat vor dem Internationalen Gerichtshof im Streit mit den USA um die Wiederaufnahme von Sanktionen nach deren Rückzug aus dem Atom-Abkommen eine einstweilige Anordnung erwirkt – ein Phyrrussieg, schreibt EBRAHIM AFSAH.

In Belgien ist es verboten, im Gerichtssaal Kopfbedeckung zu tragen. Das ist aber nicht Grund genug, Musliminnen zum Ablegen ihres Kopftuchs zu zwingen, hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof entschieden und damit erstmals zugunsten des Kopftuchs geurteilt. SHINO IBOLD berichtet.

Die Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) hat in dieser Woche eine außerordentlich dramatische und folgenreiche Sitzung hinter sich gebracht. Seit der Krim-Annexion 2014 sind die Stimmrechte Russlands suspendiert, weshalb Russland keine Beiträge mehr zahlt und die PACE in arge finanzielle Schwierigkeiten stürzt. SILVIA STEINIGER berichtet, ob und wie das Parlament des europäischen Menschenrechtssystems aus diesem Dilemma herausgefunden hat.

KENNETH ARMSTRONG analysiert eine Vorlageentscheidung des schottischen Court of Sessions an den Europäischen Gerichtshofs, der die Frage beantworten soll, ob und wie die Brexit-Entscheidung nach Art. 50 EUV überhaupt gegebenenfalls noch revidierbar wäre.

In Polen gibt es nominell immer noch ein Verfassungsgericht, man möchte es gar nicht glauben. TOMASZ KONCEWICZ wirft einen traurigen Blick auf das, was von dieser einst so glanzvollen Institution heute übrig ist.

In der Türkei blockiert eine fragwürdige Justizinstitution den Opfern der Regierung den Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. LEIGHANN SPENCER untersucht die Lage.

Die EU schließt Freihandelsabkommen, aber zumeist nicht alleine. Wie es mit den so genannten „gemischten“ Abkommen nach der jüngsten EuGH-Rechtsprechung weitergeht, analysiert LUCA PRETE.

Anderswo

MARK TUSHNET fordert, den US Supreme Court in seiner jetzigen Form mit dem Recht, Gesetze für verfassungswidrig zu erklären, abzuschaffen. ILYA SOMIN macht sich Sorgen, dass die Demokraten dem Gericht mit seiner nunmehr betonharten republikanischen Mehrheit über kurz oder lang mit einem Court Packing Scheme zu Leibe rücken könnten. JIM LINDGREN schlägt aus diesem Grund vor, die Neunköpfigkeit der Richterbank am Supreme Court in der Verfassung selbst zu fixieren (ein Project Waterproof von rechts also, was es nicht alles gibt). ERIC SEGALL schreibt im Jahr 2045 an seine Enkelin, damit sie versteht, was Verfassungsrecht war, bevor damals 2018 alles anders wurde. Und JACK BALKIN stellt fest, dass die von ihm beobachtete Verfassungsfäule nun auch den Supreme Court erreicht hat.

FREDERIC FERREAU schüttelt den Kopf über den jüngsten Eintrag in der Skandalchronik des deutschen Bundesamts für Verfassungsschutz – die Praxis, auf die Medienberichterstattung durch „anwaltliche Korrekturbitten“ Einfluss zu nehmen.

DIRK VOORHOOF weist auf ein neues Urteil aus Straßburg in einem russischen Fall hin, das die Freiheit von Bloggern, die Polizei zu kritisieren, auf ein sehr hohes Niveau hebt.

DANIEL SARMIENTO staunt über den EuGH, der – in diesem Fall gegenüber Frankreich – neuerdings wirklich ernst damit macht, das Versäunmis einer Vorlage in Luxemburg durch ein nationales Höchstgericht als Vertragsverletzung zu ahnden.

BASAK CALI warnt davor, die Bewegung in der Türkei in Richtung Wiedereinführung der Todesstrafe und den damit verknüpften „Trexit“ aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem EU-Beitrittsprozess auf die leichte Schulter zu nehmen.

So viel für diese Woche. Ihnen alles Gute!

Ihr Max Steinbeis



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