Rote Karte für die Rote Karte

Von ministerieller AfD-Kritik und anderen groben Verfassungsklötzen: die wöchentlichen Verfassungsnews von Maximilian Steinbeis

von Maximilian Steinbeis
5 Minuten

Liebe Freunde des Verfassungsblogs,

die AfD zeigt Angela Merkel die Rote Karte. Johanna Wanka zeigt daraufhin der AfD die Rote Karte. Und zwar dafür, dass in der AfD Björn Höcke und andere Volksverhetzer unterstützen, die für sich das Recht in Anspruch nehmen, den Islam und andere Minderheiten vom Platz zu stellen. Man kann in diesem Getümmel leicht den Überblick verlieren, wer hier foult, wer gefoult wird und wer das Pfeifchen bläst.

In dieser Woche hat das Bundesverfassungsgericht in einer mündlichen Verhandlung versucht, sich diesen Überblick zu verschaffen. Die AfD hatte geklagt, weil Bildungsministerin Wanka ihre Rote-Karten-Presseerklärung auf ihrer Ministeriumswebsite veröffentlicht hatte. Damit hatte sie, anders als Kabinettskollegin Manuela Schwesig zur NPD damals, als Amtsträgerin gesprochen und nicht als Politikerin. Das dürfte, wenn man das Urteil des BVerfG zu Schwesig von 2014 beim Wort nimmt, in den Augen des Zweiten Senats einen Unterschied machen: Schwesigs Äußerungen zur NPD hatte er durchgehen lassen, weil eine Ministerin im Zeitungsinterview, soweit sie nicht die mit ihrem „ Amt verbundene Autorität in spezifischer Weise in Anspruch“ nimmt, sich mit ihrem politischen Gegner so scharf auseinandersetzen darf wie jede andere Politikerin auch. Ein solcher spezifischer Rückgriff auf die Amtsautorität liege aber dann vor, „wenn der Amtsinhaber sich durch amtliche Verlautbarungen etwa in Form offizieller Publikationen, Pressemitteilungen oder auf offiziellen Internetseiten seines Geschäftsbereichs (…) erklärt“.

Der normative Grund, den der Zweite Senat gegen Ministerkeile qua Amt ins Feld führt, ist das Demokratieprinzip: Das verlangt, dass politische Willensbildung von unten nach oben stattfindet, „vom Volk zu den Staatsorganen hin vollziehen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin“. Sie darf nicht zu einer geschlossenen Feedbackschleife werden, in der die Staatsorgane dem Volk gleichsam den von ihm zu bildenden Willen herunterreichen, um ihn vom Volk als sein Wille wieder heraufgereicht zu bekommen, so dass Volk und Staatsgewalt effektiv in eins fällt. Daraus folgt für das Bundesverfassungsgericht, was man als „Zwei-Hüte-Lehre“ bezeichnen könnte: Regierungsmitglieder sind in einer Person Minister, ergo Staat, und Parteipolitiker, ergo Volk („Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“, Art. 21 I GG). Sie müssen immer beide Hüte im Gepäck haben und sich, bevor sie als das eine oder als das andere handeln, flugs den richtigen auf den Kopf setzen, dann machen sie nichts falsch.

Dieses Hüte-Spiel mag man weltfremd und künstlich finden. Aber den Ansatz, keine Feedbackschleife der Macht entstehen zu lassen, halte ich für aller Ehren wert. Wenn Viktor Orbán gezwungen wäre, seine Stoppt-Brüssel- und Ausländer-raus-„Referenden“ von der Fidesz-Parteizentrale aus abzuhalten, dann wäre für die ungarische Demokratie schon viel gewonnen. Dass die richtigen Hüte auf den richtigen Köpfen allein nicht ausreichen, Feedbackschleifen dieser Art zu durchbrechen, zeigt umgekehrt der Blick nach Polen: Dort sitzt die Macht sowieso in der Parteizentrale, und PiS-Chef Kaczynski braucht in punkto Kopfbedeckung gar keinen Missbrauch treiben – dass er der Top Dog ist, mit dem man sich besser gut stellt, wenn man keinen Ärger haben will, weiß auch so jeder.