Der Klimawandel ist schneller

Veranstalter und Athleten machen sich Sorgen wegen der Hitze bei den Olympischen Spielen in Tokio 2020

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Rennende Beine in Sportdress mit Laufschuhen. Symbolbild: Spitzengruppe beim Marathonlauf

Durch den Klimawandel könnten die Temperaturen in vielen Ländern Werte erreichen, bei denen sportliche Wettkämpfe zu einer Gefahr für die Athleten werden. Das zeigte sich auch in der Vorbereitung zu den Olympischen Spielen in Tokio 2020, die inzwischen auf das Jahr 2021 verschoben worden sind.

Als Tokio die Olympischen Spiele 2020 zugesprochen bekam, war der Jubel in der japanischen Hauptstadt groß. Doch bald begannen die Sorgen: Im Sommer kann das Klima in der Metropole heiß und sehr feucht sein – ein Problem für Ausdauer-Wettbewerbe unter freiem Himmel. Das Internationale Olympische Komitee hat darum vor wenigen Tagen vorgeschlagen, die Königsdisziplin der Leichtathletik, den Marathonlauf, in die Stadt Sapporo zu verlegen. Auch die Geher werden sich voraussichtlich dort, 800 Kilometer nördlich der Hauptstadt, messen.

Schon vor kurzem hatte sich bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Doha gezeigt, wie sehr Hitze und Feuchte den Sportlerinnen und Sportlern zusetzen. Der Marathon der Frauen war in die Nachtstunden verlegt worden, trotzdem brachen 28 von 68 Starterinnen das Rennen ab und mussten teils mit Rollstühlen von der Strecke gebracht werden. Bei den Männern waren die Bedingung etwas besser, aber auch hier gaben 18 Athleten das Nachtrennen auf. Umgekehrt dürften die kühlen Temperaturen beim Marathon in Chicago – beim Start waren es acht Grad Celsius – zum neuen Weltrekord der Kenianerin Brigit Kosgei beigetragen haben.

Mit dem Problem der Hitze und Luftfeuchtigkeit, die bei den Spielen in Tokio 2020 zu erwarten sind, hat sich Ende September ein Artikel der japanischen Tageszeitung Asahi Shimbun beschäftigt, den wir hier im Rahmen der Covering-Climate-Now-Partnerschaft übersetzt wiedergeben.

Dieses Logo weist darauf hin, dass der Artikel im Rahmen der Aktion Covering Climate Now von einem Partner-Medium übernommen wurde, in diesem Fall von Asahi Shimbun in Japan.
Hinweis auf die Aktion CoveringClimateNow

Olympische Sommerspiele in Tokio: Schutzmaßnahmen gegen Hitze für die Teilnehmer reichen nicht aus

Von Yoshiyuki Ito (Tokio), Sawaaki Hikita (Paris) und Takashi Ishihara (Johannesburg) / Asahi Shimbun

Die Organisatoren der Olympischen Spiele in Tokio testen eine Reihe von Maßnahmen, mit denen sie bei Wettkämpfen im Freien der glühenden Hitze entgegenwirken wollen, die für den kommenden Sommer erwartet wird.

Bis jetzt ist es in mindestens einem Test nicht gelungen, die Ausdauersportler vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen. Als globales Problem könnte er noch größere Auswirkungen auf künftige Olympische Sommerspiele haben. Weil Klimaforscher warnen, beim Marathonlauf im kommenden Jahr könnte es beispiellose Hitzegrade geben, verzichten womöglich einige Sportler auf die Teilnahme an der prestigeträchtigen Veranstaltung.

Als Teil eines Tests fing der Damen-Triathlon im Tokioter Stadtteil Odaiba am 15. August schon um 7:30 Uhr morgens an. Die Temperaturen waren in der Nacht nicht unter 25 Grad Celsius gefallen, was in den heißen und feuchten Sommern Tokios häufig vorkommt. Als der Startschuss fiel, lag die Temperatur trotz des frühen Starts im Zentrum Tokios bei 29,1 Grad. Nach der 1,5 Kilometer langen Schwimmstrecke und der 40 Kilometer langen Fahrradfahrt begann sich die französische Sportlerin Cassandre Beaugrand unwohl zu fühlen.

Vorschlag: den Marathon schon um 6:30 Uhr starten

Sie absolvierte jedoch noch den 5 Kilometer langen Lauf und belegte den 19. Platz. Wegen der Hitze hatte die Rennleitung den Laufabschnitt um die Hälfte gekürzt. Nach dem Rennen klagte Beaugrand über Bauchschmerzen und wurde in ein Krankenhaus gebracht, wo eine Dehydrierung festgestellt wurde. Um sie mit ausreichend Flüssigkeit zu versorgen, legten die Ärzte ihr umgehend eine Infusion.

Das Gebiet um Odaiba war zu Beginn des Triathlons bewölkt. Im Zentrum Tokios erreichte die Temperatur an diesem Tag 32,6 Grad, bei einer durchschnittlichen Luftfeuchtigkeit von 83 Prozent. Die Teilnehmer hätten sich in einer noch ernsteren Lage befunden, wenn der Himmel klar gewesen und das Rennen nicht verkürzt worden wäre, sagte die französische Mannschaftstrainerin Stephanie Deanaz, die an jenem Tag in Tokio war. Sie schlägt vor, den Beginn der Veranstaltung während der Olympischen Spiele auf 6:30 Uhr vorzuziehen.

Die Sommerspiele von Tokio beginnen am 24. Juli 2020. Mit Blick auf die Wetterstatistiken wächst in Japan und im Ausland die Sorge, wie die Sportwettkämpfe während des heißen Tokioter Sommers durchgeführt werden können. Laut der japanischen Wetterbehörde erreichten die Tageshöchsttemperaturen in Tokio im Juli und August der Jahre 2010 bis 2019 durchschnittlich 31,3 Grad bei einer mittleren Luftfeuchtigkeit von 75,5 Prozent. Die Gesundheitsbehörde der Hauptstadt hat in fünf der vergangenen zehn Jahre – einschließlich 2019 – jeweils mehr als 100 Todesfälle wegen Hitzschlags in den 23 Stadtbezirken registriert. Der Sommer 2018 war besonders heiß: Allein im Juli starben damals in ganz Japan 1032 Menschen an Hitzschlag – ein Rekordwert für einen einzigen Monat.

Das Meteorologische Forschungsinstitut hat danach untersucht, inwieweit die globale Erwärmung die Temperaturen im Sommer 2018 in die Höhe getrieben hatte. Es kam zu dem Schluss, dass die glühende Hitze ohne den Klimawandel nicht stattgefunden hätte. „Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass in Zukunft heiße Sommer in beispielloser Häufigkeit auftreten“, sagte Yukiko Imada, eine leitende Forscherin am Institut. Die globale Erwärmung ist damit nicht nur für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio, sondern auch für alle zukünftigen Sommerspiele zu einer Bedrohung geworden.

Eine Läuferin mit gesenktem Kopf wird von zwei Frauen gestützt, während ein Mann mit offizieller Weste ihr zur Kühlung Wasser über Schultern und Nacken gießt. Nach dem Frauen-Triathlon im August 2019 brauchte die Sportlerin Hilfe.
Nach dem Frauen-Triathlon im August 2019 braucht diese völlig erschöpfte Sportlerin Hilfe.

Ein Forschungsteam der University of California in Berkeley veröffentlichte im August 2016 einen Bericht in der britischen medizinischen Fachzeitschrift Lancet. Demnach würde die Zahl der Städte, die in der Lage sind, die Sommerspiele auszurichten, aufgrund der weltweit steigenden Erwärmung drastisch abnehmen: Das Team schätzte die Temperaturen und Luftfeuchtigkeit im Juli und August 2085, wenn nichts gegen die globale Erwärmung unternommen wird.

In Doha rannten die Marathon-Läufer durch die Nacht

Von den 645 Städten in der nördlichen Hemisphäre, die aufgrund ihrer Bevölkerungszahl und geografischen Bedingungen die Olympischen Sommerspiele ausrichten könnten, wären nur 33 in der Lage, einen Marathonlauf ohne Probleme abzuhalten. In Asien erfüllten allein die Städte Ulan Bator in der Mongolei und Bischkek in der Kirgisischen Republik diese Bedingungen. Mit Blick auf künftige Olympische Sommerspiele hieß es in dem Bericht: „Die Spiele können komplett in Indoor-Anlagen, im Winter oder ohne den Marathon und andere hitzeempfindliche Ausdauer-Events ausgetragen werden.“ [Anmerkung: 25 der Städte liegen der Studie zufolge in West-Europa, davon wiederum allein 15 in Groß-Britannien.]

Einige Athleten haben sich bereits entschieden, sich nicht auf den Marathon bei den Olympischen Spielen in Tokio zu konzentrieren. Am 15. September fand in Tokio die Marathon Grand Championship als Qualifikationsrennen für japanische Läufer statt. Doch Yuki Kawauchi, der den Boston Marathon 2018 gewann, ging nicht ins Rennen. Kawauchi, der seine Bedenken über das Laufen in der Hitze von Tokio nicht verbirgt, sagte, er setze stattdessen auf den Marathon bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Doha am 5. Oktober. [Anmerkung: Er wurde bei dem Rennen, das mitten in der Nacht abgehalten wurde, 29. mit mehr als sieben Minuten Rückstand auf den Gewinner.]

Yuko Arimori hat schon gegen die Hitze gekämpft, als sie 1992 bei den Olympischen Spielen in Barcelona Silber und 1996 in Atlanta die Bronzemedaille im Marathon gewann. Sie sagt, dass eine Reihe von hochrangigen Läufern aus dem Ausland solche Rennen ausgelassen haben, weil ihnen die Hitze Sorgen machte. „Auch bei prestigereichen Olympia-Rennen wäre es nicht überraschend, wenn sich einige professionelle Marathonläufer entscheiden, nicht teilzunehmen, weil sie die damit verbundenen Risiken als zu hoch einschätzen“, sagte Arimori.

Eliud Kipchoge aus Kenia, der den aktuellen Marathon-Weltrekord der Männer hält, sagte der Asahi Shimbun: „Die Hitze von Tokio ist anders als die von Kenia, aber ich mache mir keine Sorgen. Jeder Athlet muss damit fertig werden. Ich bin also nicht der Einzige, der sich darauf einstellen muss.“

Dagegen scheint sich der kenianische Trainer Stephen Ole Marai, der viele Olympiateilnehmer betreut hat, darüber Sorgen zu machen, was einige der Sportler in der japanischen Hauptstadt erwartet. Viele kenianische Marathonläufer trainieren in großen Höhen. Dort wird es nicht heißer als 30 Grad und die Luftfeuchtigkeit ist niedrig. Deshalb erwartet er, dass der Tokio-Marathon für viele Läufer ein aufreibender Wettkampf sein werde. Überdies könne sich die körperliche Verfassung einiger Athleten verschlechtern, wenn sie kurz vor der Veranstaltung bei den hohen Temperaturen und der Luftfeuchtigkeit in Japan trainieren.

Drei Männer laufen an einem Tisch vorbei, der hinterste greift gerade nach einem Beutel. Bei der Marathon-Meisterschaft in Tokio (September 2019) brauchen die Läufer Kühlung in Form von bereitgestellten Tüten mit Eiswürfeln.
Bei der Marathon-Meisterschaft in Tokio (September 2019) griffen die Läufer gern nach der angebotenen Kühlung in Form von bereitgestellten Tüten mit Eiswürfeln.

Die Olympischen Spiele in Tokio müssen gemäß der Bedingungen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) im Hochsommer stattfinden. Bei der Suche nach künftigen Ausrichtern verlangt das IOC, dass die Wettkämpfe in einem Fenster zwischen dem 15. Juli und dem 31. August ablaufen. Zwar fanden 1964 die Olympischen Spiele von Tokio im Oktober statt, aber dieser Monat liegt inzwischen mitten in der Saison vieler beliebter Profisportarten in Nordamerika und Europa. Als das Tokioter Komitee seine Bewerbung um die Olympischen Spiele 2020 einreichte, erklärte es, dass die Wetterbedingungen für den Zeitraum vom 24. Juli bis 9. August „ideal“ seien, da es viele sonnige Tage mit warmen Temperaturen gebe.

Gleichwohl ist nun auch das IOC gezwungen, die vielen Bedenken zu zerstreuen, die jetzt wegen der heißen Sommer in Tokio geäußert werden. Im August veröffentlichte es eine Broschüre mit dem Titel „Beat the Heat“ (Schlage die Hitze). Sie beschreibt verschiedene Maßnahmen im Umgang mit hohen Temperaturen. So wird beispielsweise empfohlen, dass die Athleten sich an die Hitze in Tokio gewöhnen, indem sie zwei Wochen vorher bei ähnlichen Wetterbedingungen wie dem Tokioter Sommer trainieren.

Das japanische Organisationskomitee hat ebenfalls eine Reihe von Schritten unternommen: Beispielsweise soll der Marathon eine Stunde früher gestartet und ein Teil der Marathonstrecke mit einem Wärmeschutzmittel abgedeckt werden, um die Oberflächentemperaturen zu senken. Auch sollen eisgefüllte Taschen an den Wasserversorgungspunkten für das Rennen verteilt werden.

Yuko Arimori sagte, es wäre ideal, wenn jede Gastgeberstadt die Sommerspiele unter ihren besten klimatischen Bedingungen durchführen könnte. Weil die Termine für die Olympischen Spiele in Tokio aber nicht geändert werden können, ergänzte sie: „Ich hoffe, dass das Organisationskomitee bis zum Beginn der Spiele so viele Maßnahmen wie möglich ergreift. Aber ich möchte auch, dass sich Athleten und Zuschauer bewusst machen, dass sie selbst als Einzige in der Lage sind, überhaupt etwas zum Schutz ihres eigenen Körpers zu tun.“ ◀

Übersetzung: Christiane Schulzki-Haddouti

Zum Weiterlesen:

Artikel in Asahi Shimbun auf Englisch

Ankündigung des IOC, den Marathonlauf aus Tokio nach Sapporo zu verlegen

Bericht in The Lancet, dass viele Städte 2085 zu heiß für Sommerspiele sein könnten

Bericht in Nature über die Lancet-Studie mit Karte


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