Wie der Klimawandel auf die Gesundheit schlägt

Herzinfarkte, Allergien, Durchfall und Hitzschlag – der Klimawandel schlägt auf die Gesundheit. Das Gesundheitssystem muss sich darauf einstellen. Ein Bericht von Christiane Schulzki-Haddouti

8 Minuten
Patientin im Krankenhaus.

Der Klimawandel setzt der Gesundheit zu: Hundert Fachleute aus 35 Institutionen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Universitäten zeigen dies in einem groß angelegten Bericht nicht nur in einem globalem Maßstab, sondern auch für Deutschland auf.

Wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher, sind bis zum Ende dieses Jahrhunderts jährlich bis zu fünf zusätzliche Hitzewellen in Norddeutschland und bis zu 30 in Süddeutschland zu erwarten – bei einem Anstieg der Durchschnittstemperatur um 3,7°C. Stress durch Hitze und bodennahes Ozon schlägt auf die Gesundheit. Das Gesundheitssystem kann dieser Entwicklung noch nichts entgegensetzen.

Die raschen Veränderungen im Klima betreffen alle Menschen, vor allem Kinder und ältere Menschen. Schon heute leiden sie unter extremen Wettereignissen und Luftverschmutzung, hält der aktuelle Jahresbericht des internationalen Klimaforschungsprojekts „The Lancet Countdown on Health and Climate Change“ fest, der 41 Schlüsselindikatoren untersuchte. Erstmals wurde dazu auch ein Deutschland-Bericht erstellt – mit an Bord sind die Bundesärztekammer, die Charité Berlin, das Helmholtz Zentrum München, das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sowie die Hertie School.

Gesundheit gehört zum Klimaschutz

Gesund aufwachsen in der Klimakrise – das soll auch Top-Thema der UNO-Weltklimakonferenz in Madrid werden, fordert das Forscher-Konsortium, zu dem rund 100 Expertinnen und Experten gehören. Mehr für die Gesundheit zu tun, könnte gleichzeitig den Klimaschutz voranbringen, lautet die Botschaft. Bewegen sich beispielsweise mehr Menschen zu Fuß oder mit Rad, tun sie nicht nur etwas für die körperliche Bewegung, sondern senken gleichzeitig CO2-Emissionen und Feinstaub-Ausstoß.

Die Forscher plädieren dafür, das Thema „Gesundheit“ ganz oben auf die Agenda zu setzen – mit Blick auf die heranwachsende Generation. Denn Kinder sind klimabedingten Gesundheitsrisiken in besonderem Maße ausgesetzt, weil ihr Körper empfindlicher auf Krankheiten und Schadstoffe reagiert. Und die gesundheitlichen Folgen wirken sich auf ihr gesamtes Leben aus.

Kranke Tomaten am Strauch.
Ernteausfälle sind dank Starkregen und Dürre künftig öfter zu erwarten.

Mangelernährung

Weltweit sinkt die Weizenernte um sechs Prozent pro Grad Temperaturanstieg. Pflanzenschädlinge können sich besser ausbreiten, das Wasser wird knapper. Hinzu kommen häufigere Dürren und Starkregen, die das Wachstum der Pflanzen beeinträchtigen. Schon heute sind 800 Millionen Menschen unterernährt. Vor allem Kinder und Jugendliche sind gefährdet, da sie auf eine ausgewogene Ernährung angewiesen sind. Bei Unterernährung leiden die betroffenen Kinder stärker an Durchfall sowie an Erkrankungen wie Dengue, die von Mücken übertragen werden.

2019 waren mit 2,7 Mio. laut einem Bericht der Pan American Health Organization in Süd- und Nordamerika so viele Menschen wie nie zuvor von Dengue-Infektionen betroffen. Das von Moskitos übertragene Dengue-Virus gehört zu den zehn größten Gesundheitsrisiken weltweit. Das Bild zeigt, wie 2016 in Kalifornien Insektenschutzmittel gegen Moskitos gespritzt werden.
2019 waren mit 2,7 Mio. laut einem Bericht der Pan American Health Organization in Süd- und Nordamerika so viele Menschen wie nie zuvor von Dengue-Infektionen betroffen. Das von Moskitos übertragene Dengue-Virus gehört zu den zehn größten Gesundheitsrisiken weltweit. Das Bild zeigt, wie in Kalifornien Insektenschutzmittel gegen Moskitos gespritzt werden.

Infektionen

Über Vektor-Krankheiten, die in unseren Breiten bisher selten vorkommen, müssen sich Ärzte in Deutschland mehr Gedanken machen: Dabei handelt es sich um Krankheiten, die von lebenden Organismen wie Mücken oder Zecken übertragen werden. Dazu gehören FSME und Borreliose, aber auch neue Infektionskrankheiten wie Dengue, Zika und Chikungunya. Weil sich mit wärmeren Temperaturen die Lebensbedingungen für die Überträger verbessern, wandern tropische Krankheiten mit ihnen aus dem Süden Richtung Norden. Dies gilt beispielsweise für asiatische Tigermücken, die das lebensgefährliche Dengue-Fieber übertragen können. In Südostasien sterben immer mehr Menschen an dieser Infektion. 2019 wurde erstmals in Deutschland ein Mann durch den Stich einer heimischen Mücke mit dem West-Nil-Virus infiziert. Er erkrankte in der Folge an einer Meningoenzephalitis.

Auch die Bedingungen für Vibrio-Bakterien im Meer verbesserten sich, die neben Cholera auch Gastroenteritis, Durchfall und Blutvergiftungen verursachen können: An der Ostseeküste hatten sie in den 80er Jahren noch eine Überlebenschance von 3,5 Prozent, waren es 2018 bereits 17,5 Prozent. In diesem Zeitraum hat sich die Anzahl der Tage verdoppelt, an denen man sich an der Ostsee mit Vibrionen anstecken kann: 2018 waren es bereits 107 Tage.

Nicht-Cholera-Vibrionen vermehren sich vor allem bei einem Salzgehalt von 0,5 bis 2,5 Prozent und ab einer Temperatur von über 20°C stark. Die Infektionsgefahr ist in warmen Sommern somit höher – insbesondere in der Nähe von besonders flachen und sich dadurch schnell erwärmenden Küstenbereichen der nicht ganz so salzhaltigen Ostsee. „Ein Infektionsrisiko kann aber auch an der Nordsee, wo das an Flussmündungen einströmende Süßwasser den Salzgehalt reduziert und wo Strömungen und Gezeiten das Wasser nicht sehr durchmischen, gegeben sein“, erklärt Martin Herrmann von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit. Mehrere Todesfälle in diesem Sommer zeigten das erhöhte Risiko insbesondere für ältere, immungeschwächte, chronisch kranke oder Menschen mit Hautverletzungen.

Bei Kindern unter fünf Jahren sind Vibrio-Infektionen weltweit die zweithäufigste Todesursache. Zwar konnte die Zahl der Todesfälle in den letzten Jahren dank besserer medizinischer Versorgung gesenkt werden, auch infizierten sich viele Menschen nicht, weil die Präventionsprogramme verbessert wurden. Doch die Umstände verschlechtern sich, weil die Erreger und Wirte dank wärmerer Temperaturen über bessere Lebensbedingungen verfügen.

In den Städten leidet die Luftqualität vor allem unter dem Straßenverkehr, in der freien Natur sind es Waldbrände, die die Feinstaubbelastung deutlich erhöhen.
In den Städten leidet die Luftqualität vor allem unter dem Straßenverkehr, in der freien Natur sind es Waldbrände, die die Feinstaubbelastung deutlich erhöhen.

Allergien

Wenn sich die Temperaturzonen verschieben, verändert sich auch das Verbreitungsgebiet von Pflanzen. Wenn neue Arten heimisch werden, können Menschen auf sie allergisch reagieren. Beispielsweise wird beim Beifuß-Traubenkraut (Ambrosia artemisiifolia) die saisonale Dauer des Pollenfluges verlängert, womit die Pollenmenge ansteigt. Dies kann Asthma und allergische Reaktionen verstärken.

Schlechte Luftqualität

Ein Kind, das heute zur Welt kommt, wird im Laufe seines Lebens häufiger Waldbrände, Überflutungen, Dürren und Stürme erleben als Kinder früherer Generationen. Seit 2000 waren bereits in 152 von 196 Ländern Menschen von Waldbränden ausgesetzt, vor allem in Indien und China. Mit den Folgen des Brandrauchs, die ihre Atemwege belasten, haben sie noch Jahre später zu kämpfen.

In den Städten wird die Gesundheit von Kindern, deren Lungen sich noch entwickeln, durch die zunehmende Luftverschmutzung bedroht. Weltweit führte die Luftverschmutzung 2016 zu 7 Mio. frühzeitigen Todesfällen, davon gehen 2,9 Mio auf das Konto von Feinstaub. Feinstaub mit einem Durchmesser von maximal 2,5 Mikrometer (PM2,5) kann sich in der Lunge festsetzen, das Herz schädigen und auch andere Organe beeinträchtigen.

Zusammenhang zwischen Tagestemperatur und Herzinfarkt für zwei Zeiträume der Jahre 1987 bis 2014, berechnet mithilfe des bevölkerungsbasierten Herzinfarkt-Registers der „Kooperativen Gesundheitsforschung in der Region Augsburg“ (KORA).
Zusammenhang zwischen Tagestemperatur und Herzinfarkt für zwei Zeiträume der Jahre 1987 bis 2014, berechnet mithilfe des bevölkerungsbasierten Herzinfarkt-Registers der „Kooperativen Gesundheitsforschung in der Region Augsburg“ (KORA).

Hitzewellen

Hitzewellen können Hitzestress, Hitzschläge oder akutes Nierenversagen durch Flüssigkeitsmangel verursachen. Sie sind vor allem für Kinder und ältere Menschen gefährlich, die ihre Köpertemperatur nicht so gut regulieren können wie gesunde Erwachsene. Besonders betroffen sind auch Menschen mit chronischen Herz-, Lungen-, Nierenerkrankungen oder Diabetes sowie Menschen, die im Freien schwere körperliche Arbeit verrichten.

Annette Peters, Direktorin des Instituts für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München sagte gegenüber dem Deutschlandfunk, dass die Daten des Augsburger Herzinfarktregisters (KORA) (s. Grafik) einen deutlichen Zusammenhang zwischen Hitze und mehr Herzinfarkten zeigten. Bei Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen verändern sich an heißen Tagen Blutgerinnung und Blutdruck. Auch gehen Entzündungsmarker an diesen Tagen hoch. Chronisch kranke Patienten, die als stabil gelten, können in dieser Zeit Problem bekommen. Für Peters ist klar, dass das deutsche Gesundheitssystem sich auf den Klimawandel einstellen und für Extremwetterperioden Notfallpläne ausarbeiten muss.

Das deutsche Gesundheitssystem ist nicht vorbereitet

Für das Gesundheitssystem ist das eine gewaltige Herausforderung. „Der Zusammenhang von Klimawandel und Gesundheit ist ja bis vor wenigen Monaten im Gesundheitssystem nicht verstanden worden“, sagte Martin Herrmann, Vorsitzender der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit gegenüber KlimaSocial. Die Gefährdungen durch Hitze seien in diesem Umfang bisher nicht erkannt worden, weshalb die verfügbaren Hitzeaktionspläne in den meisten Einrichtungen, Krankenhäusern, Kommunen und Landkreisen nicht konsequent umgesetzt worden seien. Beispielsweise, so hält der Deutschlandbericht fest, wird die hitzebedingte erhöhte Sterblichkeit bisher nicht in „Echtzeit“ erfasst.

„In den Curricula der Gesundheitsberufe in Deutschland wird der Zusammenhang zwischen Klimawandel, anderen globalen Umweltveränderungen und menschlicher Gesundheit weitgehend vernachlässigt, 40 obwohl die Art unseres Umgangs mit dem Klimawandel die menschliche Gesundheit weltweit auf Jahrhunderte hinaus prägen wird.“ The Lancet Countdown on Health and Climate Change, Policy Brief für Deutschland, NOVEMBER 2019

Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt erwartet von der Politik jetzt „geeignete Rahmenbedingungen“ zu schaffen, um Risiken für die Gesundheit abzuwenden. So müssten Gesundheitseinrichtungen durch ausreichend Personal und räumliche Ressourcen auf Extremwetterereignisse vorbereitet werden. „Neben einem nationalen Hitzeschutzplan sind konkrete Maßnahmenpläne für Kliniken, Not- und Rettungsdienste sowie Pflegeeinrichtungen zur Vorbereitung auf Hitzeereignisse notwendig“, betont Reinhardt.

Herrmann empfiehlt, über eine breit und schnelle Aufklärung- und Bildungskampagne das nötige Wissen zu verbreiten und die entsprechenden Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Die Gesundheitsfolgen der Klimakrise seien für eine Neuausrichtung des Gesundheitssektors eines der vier großen Themen neben Pflegenotstand und Ärztemangel, den Gefahren der kritiklos hingenommenen Ökonomisierung und Digitalisierung. Dabei müssten sich auch Strukturen nicht nur rasch, sondern auch langfristig ändern. Wichtig sei dies auch zusammen mit den Lebensstilthemen anzusprechen, da diese insbesondere im Alter bei den heute vorherrschenden chronischen Erkrankungen die größte Rolle spielen.

„Die zuständigen Behörden und Institutionen sind aufgefordert sicherzustellen, dass Unterrichtseinheiten zu Klimawandel und Gesundheit sowie „Planetary Health“ als umfassendes Gesundheitskonzeptzeitnah in die Lehrpläne der Aus-, Fort- und Weiterbildung für Gesundheitsberufe integriert werden. Dabei sollten disziplin- und berufsübergreifende Perspektiven sowie transformative Methoden berücksichtigt werden.“ The Lancet Countdown on Health and Climate Change, Policy Brief für Deutschland, NOVEMBER 2019

Gesunder Mensch, gesundes Klima

Für Martin Herrmann ist „der Weg den wir vor uns haben, der Weg zum guten Leben, zum gesunden Leben.“ Dabei könnten alle „sehr viel gewinnen“. Schließlich könnten sich alle als „als verantwortliche, handlungsfähige Bürger und damit Gegenüber für politische Repräsentanten verstehen und sich dabei mit anderen zusammentun“.

Viele Klimaschutz-Maßnahmen fördern die Gesundheit, betonen die Autoren des Lancet-Berichts. „Das Beste, was Eltern heute für Kinder tun können ist zu wissen, dass Klimaschutz Gesundheitsschutz ist“, sagt Martin Herrmann. Eine pflanzenbasierte Ernährung und viel Bewegung seien wichtig. Ebenso wie „Vorlesen statt Videos gucken, die Natur mit den Kindern neu entdecken und im Alltag umsetzen, etwa in dem man im eigenen Garten eine Blumenwiese statt Rasen pflegt.“ Es gehe nicht um Verzicht, aber sehr wohl um eine Haltung des „Genug ist genug“.

Sabine Gabrysch, Ärztin und Professorin für Klimawandel und Gesundheit an der Charité und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, betont ebenfalls die Chancen durch Win-win-Lösungen: „Wenn wir Kohlekraftwerke abschalten und unsere Städte fahrradfreundlicher gestalten und dadurch der Autoverkehr abnimmt, nützt das nicht nur dem Klima. Diese Maßnahmen helfen auch gegen Luftverschmutzung und führen zu mehr Bewegung.“ Beides sei ein direkter Gewinn für die Gesundheit. Die beste Vorsorge bei Klima und Gesundheit sei „die rasche Verringerung unseres Ausstoßes von Treibhausgasen.“

Derzeit deutet nichts darauf hin, dass das Tempo der Klimaveränderungen abgebremst werden würde. Wenn es aber so weiter geht wie bisher, „wird das Leben jedes heute geborenen Kindes tiefgreifend vom Klimawandel beeinträchtigt werden“, warnt das Forscherkonsortium. Bis zum Ende seines Lebens würde sich die Erde im Schnitt um vier Grad erwärmen.

Würde die Politik die Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen können, würde die Zukunft der Kinder erheblich besser aussehen: Ein Kind in England würde mit 6 Jahren den Kohleausstieg erleben, in Frankreich mit 21 Jahren den Abschied von Benzin- und Dieselautos. Alle heute Geborenen weltweit könnten mit 31 Jahren erleben, dass nur noch so viel CO2 produziert wird, wie von der Natur oder mit technischen Mitteln aufgenommen werden kann. Die Luft würde reiner und die Infrastruktur besser sein.

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