Geschichten von Hunger und Hoffnung

Der Talanoa-Dialog auf der Klimakonferenz in Bonn brachte die Verhandlungen auf eine emotionale Ebene

12 Minuten
Ein Mann im roten T-Shirt und Drillich-Hose trägt drei Säcke Mehl von einem Boot durch das Wasser an Land. Nach dem tropischen Zyklon „Keni“ braucht das Dorf Naivaroniniu auf der Fidschi-Insel Kadavu im April 2018 Nahrungsmittelhilfe.

Nach dem tropischen Zyklon „Keni“ braucht das Dorf Naivaroniniu auf der Fidschi-Insel Kadavu im April 2018 Nahrungsmittelhilfe.

Als die Südsee-Nation Fidschi 2017 die Präsidentschaft der internationalen Klimagipfel übernahm, führte sie eine neue Vokabel in den Verhandlungsprozess ein: Talanoa. Darunter verstehen die Polynesier einen strukturierten Austausch von Geschichten, die mehr als Argumente und Fakten zu Kooperation und Kompromissen beitragen sollten. Zum ersten Mal erprobt wurde das Verfahren auf einer Nachfolge-Konferenz des Gipfels im Mai 2018.

„Es ist jetzt fast tausendundeine Nacht her, dass wir in Paris einen Vertrag geschlossen haben“, beginnt der iranische Klimaexperte Majid Shafie-Pour seine Geschichte. „Sie alle kennen natürlich die berühmteste Erzählerin aus meiner Welt: Aber anders als Scheherazade haben wir zum Ende dieser Frist unser Ziel noch nicht erreicht.“ Die Zuhörer im Stuhlkreis merken auf. Das sind ungewöhnliche Worte für ein offizielles Statement auf einer Klimakonferenz – ein neuer Klang, schmeichelnd, anziehend und ironisch. Und die Anspielung auf die morgenländische Märchenwelt ist so vertraut wie geheimnisvoll.

Kurz danach kommt ein weiterer Geschichtenzyklus der Weltliteratur ins Spiel: J. R. R. Tolkiens „Herr der Ringe“, dessen Protagonisten genau wie die Erzählerin aus Persien die Vernichtung durch eine dunkle Macht fürchten. Joana Vieira da Silva vom Umweltbehörde in Portugal zitiert eine Hobbit-Weisheit: „Es ist immer die Arbeit, die niemals angefangen wird, die am längsten dauert.“ Um dann hinzuzufügen: „Aber wir haben immerhin angefangen.“ Ihre Worte drücken das Gleiche aus wie Shafie-Pour: Der Prozess, die Klimakrise zu bewältigen, hat begonnen, aber er ist noch weit entfernt von seinem Ende.

Märchen und Fantasy-Romane bei einer Klimakonferenz? Ist das Thema dafür nicht zu ernst? Doch offenbar haben die Regierungsvertreterin aus Lissabon und der Professor aus Teheran, der für eine Gruppe von Entwicklungs- und Schwellenländern spricht, damit den Ton getroffen. Denn die Sitzung am Sonntag vor einer Woche in Bonn stand unter dem Motto „Talanoa“ – einer polynesischen Gesprächstechnik, bei der sich alle Teilnehmer auf Augenhöhe begegnen und sich gegenseitig Geschichten über ihre Probleme und Wünsche erzählen, um gemeinsam eine Lösung zu finden. „Das liegt mir natürlich“, freute sich Shafie-Pour. „Geschichten zu erzählen, ist tief in meinem Kulturkreis verankert.“ Dass seit dem Pariser Abkommen erst 875undeine Nacht vergangen waren, nahm ihm darum niemand krumm.

Die emotionale Qualität guter Geschichten erreichten an dem Tag vor allem Berichte von Vertretern armer Staaten, in denen sich die Klimakrise bereits deutlich in der Natur zeigt. Valentin Wagnoun Tchonkap aus Kamerun erzählte von der Insel Kwele Kwele, an der früher Fischer anlegten, um dort während ihrer Fahrten zu übernachten und den Fang zu räuchern. Inzwischen aber habe der Atlantik den Flecken Land verschluckt. Tshewang Dorji aus dem Himalaja-Staat Bhutan berichtete von Schmelzwasserseen unter den Gletschern, die wegen der steigenden Temperaturen hoch oben im Gebirge immer weiter anschwellen. „Es sind stille Tsunamis, auch wenn der Begriff vielleicht nicht passt“, sagte Dorji, jedenfalls könne sich der Inhalt jederzeit in die Siedlungen in den Tälern darunter ergießen. Den Bhutanis ist die Gefahr stets bewusst: Als vor gut 20 Jahren ist eine solche Katastrophe passierte, starben 24 Menschen sowie ungezählte Yaks, und die Ernte einer ganzen Region wurde vernichtet.

So ähnlich hatten es sich die Gastgeber der Konferenz, die Delegation aus dem Südsee-Staat Fidschi, die Veranstaltung am Sonntag vermutlich vorgestellt. Hinter den Statistiken der Klimaforschung, hinter den Paragraphen der Verhandlungen treten die Menschen hervor mit ihren Sorgen und Ideen. Fidschi hatte das Talanoa-Konzept im vergangenen November beim Klimagipfel COP23 vorgestellt, deren Vorsitz sie hatte, der aus technischen Gründen aber in Bonn am Sitz des Weltklima-Sekretariats UNFCCC stattfand.

Der Premier der Inselnation, Josaia Voreqe („Frank“) Bainimarama erklärte damals, damit beginne zum ersten Mal bei einer Klimakonferenz ein offener Dialog zwischen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern der Klimarahmenkonvention – im englischen Konferenz-Jargon sind die Staaten „parties“, alle anderen „non-parties“. „Dies ist kein Side Event“, sagte er. „Wir werden miteinander reden und zuhören. Aber der Geist von Talanoa bedeutet nicht nur, dass wir zu allen nett sind – auch wenn Respekt unverzichtbar ist. Es geht darum, eine Lösung zu finden, für die wir direkte Worte brauchen.“

Schnell wurde „Talanoa“ zu einem Lieblingsbegriff der Berichterstattung; es hauchte vielen Artikeln und Beiträgen über den Klimagipfel ein wenig exotisches Flair ein, ohne je recht erklärt oder gar hinterfragt zu werden. Auf Twitter machte der Hashtag #talanoa4ambition die Runde, die Dialogtechnik sollte demnach Wunder bewirken, Vertrauen schaffen, Ehrgeiz wecken, Barrieren brechen und internationale Kooperation anstoßen. Die frühere Chef-Unterhändlerin Fidschis auf der Bonner Klimakonferenz, Nazhat Shameen Khan, rief dazu auf, den Beiträgen zum Dialog eine literarische Form zu geben: Sie sollten als Geschichten angelegt und auf Aussage, Effekt und Publikum getrimmt werden.

Ein solcher Ansatz passt zu den Erkenntnissen der Sozialforschung: Das Erzählen von Geschichten – oder im Wissenschaftsjargon: das Verwenden von Narrativen – kann offenbar bei der Kommunikation über die Klimakrise helfen (siehe zum Beispiel hier und hier).Doch wie genau das mit der Talanoa-Technik gehen sollte, konnte sich kaum jemand vorstellen (KlimaSocial am 20. November 2017). Auch nicht Experten aus Ozeanien, für die Talanoa nach den Worten der Fiji Times ein „way of life“ ist. Wie sollten die Teilnehmer von anderen Kontinenten, besonders die aus Industrieländern, das richtige Niveau finden?

Die Schriftform enttäuschte

Die ersten Vorbereitungen verstärkten die Zweifel. Vor der Sitzung in Bonn forderte die Fidschi-Präsidentschaft schriftliche Statements an, die Antworten auf drei Fragen enthalten sollten: Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Wie kommen wir dahin? Diese drei sollten später auch den Dialog strukturieren. Mehr als 200 solche Schriftsätze gingen ein, und wer sich ein wenig mit den Dokumenten beschäftigte, der bekam schnell weitere Zweifel, ob das Konzept funktionieren könne. Geschichten? Erzählen? Nichts da.

Kaum jemand unter den Autoren, ob nun Staaten oder Organisationen, Universitäten oder Umweltgruppen, wich nennenswert von der Form und dem Sprachduktus ab, die im soliden Polit-PR-Englisch für solche Statements üblich sind. Und wenn jemand abwich, dann nach unten: Die Cornell University schickte kommentarlos einen Forschungsaufsatz über Geoengineering und Mikroalgen, die Europäischen Wissenschaftsakademien steuerten eine Analyse zu Extremwetterereignissen bei. Veganer, die Verfechter der CCS-Technik (Verpressen von CO2aus Kraftwerken unter die Erde) und die deutschen Entwicklungshelfer von der GIZ warben für sich, ihre Dienste und Weltsicht. Die Australier, den Polynesiern wenigstens geografisch verbunden, lieferten ein Hintergrund-Papier über die internationale und eigene Klimapolitik ab. Aber warum sollten sie alle es auch besser machen als die Gastgeber und Initiatoren des Talanoa-Dialogs? Fidschi selbst hatte ein 15-seitiges Traktat hochgeladen, das Literaturhinweise, Grafiken und Datentabellen enthielt. Eine davon nahm die untere Hälfte der ersten Textseite ein.

Die eingereichten Schriftsätze enthielten sicherlich viel nützliche Information. Und Journalisten – um das selbstkritisch anzumerken – sollten normalerweise nicht bei anderen einfordern, was ihnen selbst oft als Oberflächlichkeit vorgeworfen wird: sich einzelne Beispiele herausgreifen, starke Protagonisten suchen, einen Spannungsbogen errichten, Emotionen ansprechen. „Eine Geschichte erzählen“ heißt das in den Redaktionen. Doch bei Talanoa war eigentlich genau dieses Format verlangt, und es sollte dazu dienen, neue Kanäle der Kommunikation zu eröffnen, weitere Stimmen einzubinden, neue Impulse im festgefahrenen internationalen Klimazyklus zu setzen. Die Schriftform jedenfalls weckte wenig Hoffnung, dass das gelingen würde.

Eine internationale Gruppe von Frauen und Männern sitzt in einem Konferenzraum auf dem Boden und lächelt in die Kamera. Sie bereiten sich darauf vor, einen Dialog nach dem Talanoa-Format zu führen. Sie sitzen rund um eine geflochtene Matte mit einem Gefäß für Kava-Sud. Allerdings nur für das Foto – beim eigentlichen Dialog saßen die Teilnehmer auf den Stühlen im Hintergrund.
Vor dem Talanoa-Dialog im Koro-Raum sitzen die Teilnehmer auf dem Boden, wie man es in Polynesien tut: rund um eine geflochtene Matte mit dem Gefäß für den Kava-Sud. Später allerdings benutzten sie lieber die Stühle.

Hinzu kam noch das geplante Format der Dialoge: In sieben Räumen sollten jeweils 30 Staaten und Staatengruppen („parties“) auf nur fünf andere Organisationen („non-parties“) treffen, die von Runde zu Runde, von Frage zu Frage wechselten. Was die Verteilung der Redezeit anging, würde das also nicht unbedingt ein Dialog auf Augenhöhe werden. Immerhin saßen die Teilnehmer in den sieben Talanoa-Räumen, die nach Inseln, Distrikten und Orten auf Fidschi benannt waren, in einem Stuhlkreis zusammen. Keine Hierarchie oder vorgegebene Ordnung war erkennbar. In der Mitte lag meist eine geflochtene Matte und darauf stand eine Schüssel für einen Aufguss der Kava-Wurzel: das traditionelle Getränk bei einem Talanoa in Polynesien. Es blieb aber bei dem Symbol, gereicht wurde Wasser in Plastikflaschen.

Von den nicht-staatlichen Akteuren übrigens waren auffallend viele mindestens halb-staatlich organisiert: So gab es etwa Vertreter von Zusammenschlüssen der Regierungen von Provinzen und Bundesländern, von Städteverbänden, den Vereinten Nationen und vielen ihrer Unterorganisationen, der Internationalen Energieagentur oder den Ölexporteuren der OPEC-Staaten. Daneben Firmen wie Ikea, Mahindra, Unilever und British Telecom, Gewerkschaften, Forschungsinstitute und Umweltgruppen wie Greenpeace und WWF. Journalisten durften nicht teilnehmen oder im Saal zuhören; die Dialoge wurden aber live im Internet übertragen und aufgezeichnet. (Wer sie noch verfolgen will, kann das von dieser Seite aus tun; es sind siebenmal neun Stunden.)

All dies konnte die Erwartungen auf einen Dialog neuer Art ziemlich dämpfen, aber dennoch lief der Talanoa-Dialog gut. „Es waren Gespräche zwischen Menschen, nicht zwischen Organisationen“, fasste es Paula Caballero vom World Resources Institute zusammen, einer Umwelt-Denkfabrik in Washington. Marianne Karlsen aus Norwegen sagte: „Wir haben viele Geschichten über gute Gelegenheiten und Verantwortung gehört. Die Menschen ändern ihr Verhalten, die Art und Weise, wie sie arbeiten, wie sie denken.“ Der Äthiopier Gebru Jember Endalew schließlich ergänzte: „Das unerschlossene Potenzial der nicht-staatlichen Akteure zu erkennen, war sehr ermutigend.“ Seine ursprüngliche Befürchtung, das Format werde zur Talkshow verkommen, habe sich nicht erfüllt.

Strom ist männlich und Wasser ist weiblich

Natürlich gab es viele vorgelesene, gelegentlich sogar heruntergeleierte Statements alter Schule, die erklärten, was die betreffende Nation oder Organisation so mache, was sie bedrücke und was sie sich wünsche. Außerdem tippten viele Teilnehmer lieber auf ihrem Laptop oder Smartphone herum, anstatt aktiv zuzuhören, also auch per Körpersprache ihr Interesse und ihren Respekt zu bekunden. Und wie zu erwarten, ertönten häufig die längst rundgelutschten Lieblingsformulierungen der Klimadiplomaten wie „common, but differentiated responsibility“ oder „consultative, iterative process“ oder „successfully decouple economic growth from energy use“.

Doch es kamen auch viele Einzelheiten und Blickwinkel zur Sprache, die es sonst nicht in die offiziellen Verhandlungen schaffen. Und es erhielten Organisationen eine Chance sich zu präsentieren, deren Engagement nicht allgemein bekannt war. Als Vertreterin eines Unternehmens, der British Telecom (BT), warb zum Beispiel Gabrielle Ginér im Raum „Bua“ dafür, dass Firmen sich ehrgeizige, in den Erkenntnissen der Klimaforschung verankerte Ziele zu ihrem Energieverbrauch und Treibhausgasausstoß geben. „Wir als BT orientieren uns jetzt an der 1,5-Grad-Grenze und streben an, unsere Emissionen bis 2030 um 87 Prozent zu senken.“ Dazu tausche der Konzern 33 000 Fahrzeuge und die Heizung in vielen seiner Gebäude aus, außerdem erhielten 18 000Zuliefer-Betriebe in ihren Verträgen die Auflage, ebenfalls den Energieverbrauch deutlich zu senken.

Im Raum „Kadavu“ stellte Han Huang die chinesische Organisation Geidco vor, die für den Aufbau eines internationalen Hochspannungs-Stromnetzes wirbt. Ökostrom lasse sich damit über Staatsgrenzen hinweg verteilen, um zeitliche Differenzen zwischen Erzeugung und Verbrauch und wetterbedingte Unterschiede im Ertrag von Windrädern und Solarfarmen besser auszugleichen. Es bedürfe dann weniger Speicher und weniger schnell startender Gaskraftwerke, warb Huang. Ein solches Netz existiert in Grundzügen bereits in Europa. Laut ihrer Homepage ist die Gruppe übrigens eine rein männliche Angelegenheit – dort stehen lauter Herren in Anzügen für ein Gruppenfoto bereit.

Eine weibliche Perspektive lieferte dagegen Bridget Burns von WEDO, einer internationalen Frauenorganisation, die einst von der Friedens-Nobelpreisträgerin Wangari Maathai mitgegründet wurde. Sie warb mit vielen f’s für eine feministische, von fossilen Energieträgern freie Zukunft, in der Frauen viele kämpferische, furchtlose und freimütige Gespräche über die Reaktion auf die Klimakrise führen könnten („feminist fossil free future“, „fierce, fearless and frank conversations“). Da gebe es auch in vermeintlich fortschrittlichen Staaten noch viel zu tun: In den USA gingen nur 20 Prozent der Jobs im neuen Wirtschaftszweig der erneuerbaren Energien an Frauen.

Ingrid Timboe vom Stockholm International Water Institute unterstrich den Punkt später, als sie „Frauen und Wasser“ unter dem Begriff „Lebensbringer“ zusammenfasste. Durch die Klimakrise änderten sich oft die Muster von Gletscherschmelze und Niederschlägen. „Das trifft meist die Frauen, weil sie weltweit gesehen 70 Prozent der Aufgaben im Management von Wasserressourcen übernehmen“, sagte Timboe. Sogar die Weltbank habe in einer Studie attestiert, dass Wasserprojekte viel besser liefen, wenn sie von Frauen geführt würden.

Ein Soldat und ein zweiter Helfer setzen einem alten Mann eine Fliegerkappe mit Schutzbrille und Kopfhörer auf. Als Hurrikan „Maria“ im September 2017 die Karibikinsel Dominica platt gemacht hatte – anders kann man es nicht sagen – blieb den Überlebenden nur noch die Evakuierung. Auch die US-Marine half mit ihren Hubschraubern.
Als Hurrikan „Maria“ im September 2017 die Karibikinsel Dominica platt gemacht hatte – anders kann man es nicht sagen – blieb den Überlebenden nur noch die Evakuierung. Auch die US-Marine half mit ihren Hubschraubern.

Bei diesen Berichten war es meist der Ton, der vom Format des Talanoa-Dialogs zeugte: Er ähnelte nicht einem Vortrag, sondern einer Unterhaltung, auch wenn keine Erzählung geboten wurde. Zwar verwendeten viele Teilnehmer in ihren Beiträgen das Wort „Geschichte“, doch meist nur als kleine Verbeugung vor den Gastgebern. So wurden auch aus „Szenarien“ oder „bisherigen Entwicklungen“ dann „Geschichten“.

Gelegentlich bekamen die Teilnehmer wenigstens Anekdoten zu hören. So berichtete die Norwegerin Marianne Karlsen im Raum „Koro“ über die Vorweihnachtszeit: Ihre Landsleute liebten es, Figuren aus Honigkuchen zu backen. Aber weil es so bequem sei, besorgten viele sich den Teig dafür im Supermarkt. Vor einigen Jahren lehnten es alarmierte Verbraucher jedoch plötzlich ab, das Fertig-Produkt zu kaufen, weil es Palmöl enthielt, dessen Produktion in vielen Ländern zur Abholzung von Regenwald führt. „Viele Tonnen Teig blieben übrig, und im nächsten Jahr gab es die Zutat nicht mehr“, sagte Karlsen. „Das zeigt, wie schnell sich Einstellungen ändern können und welche Wirkung damit erzeugt wird.“

„Ein Staat, in dem es ständig brennt“

Die kalifornische Vertreterin Lauren Sanchez bettete den Bericht über die Umweltpolitik ihres Bundesstaates in ihre Familiengeschichte ein. „Als mein Vater in Los Angeles aufwuchs, konnte er die Berge ringsum vor lauter Smog nicht sehen und in der Schulpause nicht draußen spielen.“ Viele Kinder hatten damals Asthma, bevor der Staat begann, sich strenge Regeln zu geben. Sie selbst wiederum habe vergangenes Jahr ständig Kopfschmerzen bekommen, weil es so viele Waldbrände gab – der Klimawandel habe die Saison verlängert und die Gefahr gesteigert. Angesichts der Gesetze und Entscheidungen ihres Landes hoffe sie aber, „dass meine Kinder die wundervollen Berge sehen können und meine Enkel nicht mehr in einem Staat leben, in dem es ständig brennt.“


Bei Sonnenschein und wenn der Fotograf kommt, genügt eine Pappe als Schutz. Doch die Mädchen auf Fidschi werden in ihrem Leben vermutlich erleben, wie die Elemente ihre Inseln mit ständig wachsender Gewalt bedrängen.
Bei Sonnenschein und wenn der Fotograf kommt, genügt eine Pappe als Schutz. Doch die Mädchen auf Fidschi werden in ihrem Leben vermutlich erleben, wie die Elemente ihre Inseln mit ständig wachsender Gewalt bedrängen.

Philipp Weech von den Bahamas schließlich präsentierte die Geschichte von dem einen Fuß und den 210 Fuß. Er hatte sich regelrecht in Positur gesetzt, den rechten Knöchel auf das linke Knie gelegt. „Die 210 Fuß, das ist der höchste Punkt der Bahamas, Mount Alvernia, 63 Meter hoch. Und der eine Fuß, das ist die Länge meiner Schuhe“, er deutete auf seine Beine, „und das ist der Meeresspiegelanstieg im vergangenen Jahrhundert.“ Schon heute müssten die Bahamas wegen des zunehmend versalzenen Grundwassers teure Aufbereitungstechnik anschaffen; außerdem gebe es fast im Jahresrhythmus Sturmschäden von Hunderten Millionen Dollar. „Geht es so weiter, können wir bald nirgends mehr hin. Wenn wir nicht alle zusammen handeln, bedeutet der eine Fuß, dass 80 Prozent meines Landes im nächsten Jahrhundert unter Wasser stehen.“

Als Weech das erzählte, saß ihm die Leiterin der deutschen Delegation, Nicole Wilke vom Umweltministerium, direkt gegenüber. „Es war ein emotionales Erlebnis“, sagte sie später über all die Geschichten, die sie an dem Tag gehört hatte. „Ich habe viele Verhandler anderer Länder, mit denen ich mich sonst über Details auseinandersetze, ganz anders erlebt, und von den Herausforderungen erfahren, denen sie auf nationaler Ebene schon ausgesetzt sind.“

Anfangs gab es Zweifel, ob die Delegierten aus den Norden mit Talanoa klarkommen – klicken Sie hier.

Solche Worte von Teilnehmern erlauben es, die vielen lobenden Sätze über den Talanoa-Dialog in Bonn besser zu verstehen. Es sind eben nicht nur höfliche, pflichtschuldige und zweckdienliche Äußerungen von erfahrenen Klimadiplomaten, wie man zunächst vermuten könnte. Stattdessen klingt darin oft echte Anerkennung für die Innovation mit, die Fidschi auf der Klimakonferenz etabliert hat.

Bleibt zu hoffen, dass auch der designierte Präsident des kommenden Klimagipfels in Katowice, der polnische Staatssekretär Michał Kurtyka, es so meint, als er sagte, der Talanoa-Dialog habe den Blick auf „faszinierende Erlebnisse aus der realen Welt, aber auch auf menschliche Emotionen" freigegeben. Es sei ein Raum entstanden, „um Geschichten auszutauschen, Empathie und Vertrauen aufzubauen und zum Handeln zu inspirieren. Diesen Prozess müssen wir fortführen.“ ◀

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