Umweltschutz für Fortgeschrittene

Ökologisches Verhalten kann sich von einfachen Anfängen in andere Aspekte des Lebens ausbreiten

11 Minuten
Ein grünes Boot auf einer Gracht in Amsterdam, darin stehen und sitzen elf junge Leute. Sie haben Käscher in der Hand. Die Aufschrift des Bootes besagt, dass die Mitfahrer Plastikmüll aus dem Wasser fischen. Jeder Fang wird laut bejubelt.

Vielleicht haben auch diese elf jungen Leute einst damit angefangen, Biomilch oder Jutebeutel zu kaufen. Jetzt haben sie sich freiwillig gemeldet, Plastikmüll aus den Amsterdamer Grachten zu fischen. Das ist ein Dienst an der Gemeinschaft, stärkt die sozialen Beziehungen und macht Spaß: Jeder Fang wird laut bejubelt.


Im Jahr 2010 machte eine Studie Karriere in der Presse: Wer im Bioladen einkauft, lautete ihre Aussage, fühlt sich moralisch überlegen und neigt danach dazu, andere zu beschummeln und zu bestehlen. Damit schienen Hoffnungen, dass sich umweltbewusstes Verhalten von einfachen Anfängen auf andere Bereiche des Lebens ausbreitet, weltfremd. Doch nun ist diese Studie beim Versuch, die Ergebnisse zu replizieren, durchgefallen.

Die vielen Entscheidungen, die jeder Mensch an jedem Tag trifft, folgen selten einem durchweg rationalen Plan. Diese Illusion hat die Psychologie längst abgeräumt – Gefühle und Gewohnheiten bestimmen das eigene Handeln viel mehr als Gedanken. Das gilt natürlich auch für den Teil des Konsums, der Auswirkungen auf Klima und Umwelt hat: Ernährung, Wärme und Abkühlung in Haus und Büro, Mobilität, Urlaubsreisen. Und ebenso für die politische Einstellung zu Parteien und ihren Initiativen mit dem Ziel, das individuelle Verhalten mittels Gesetzen oder Steuern zu regulieren.

Die Umweltpsychologie weiß längst, dass Menschen die nagenden Stimmen des Gewissens im Dienste der eigenen Bequemlichkeit gern ignorieren. Ein Ausweg kann sich allerdings auftun, wenn die Umstellung der eigenen Gewohnheiten mit einem sozialen Gewinn einhergeht, etwa weil der Kauf von Bioprodukten bei den Meinungsführern im Freundeskreis inzwischen zum Standard geworden ist. Doch weitet sich das Verhalten von solchen Anfängen auf andere Bereiche aus oder sagen sich die Menschen, sie hätten doch nun genug getan? Sehen sie sich durch eine gute Tat gar berechtigt, woanders gegen die eigenen, ohnehin flexiblen Regeln zu verstoßen? Psychologen nennen das Phänomen „Spillover“, weil Verhaltensweisen sozusagen überschwappen: Positiv heißt er, wenn eine frühere, positive Handlung eine spätere wahrscheinlicher macht; negativ, wenn der Handlungsimpuls danach versiegt.

Dass in der Debatte, was als nächstes zu tun sei, oft ein inneres Geben und Nehmen passiert, ist Kernaussage des damit verwandten Fachbegriffs „moral licensing“. Er meint: Man hat mit einer guten Verhaltensweise sozusagen Kredit beim Universum und die Erlaubnis erworben, sich woanders nicht eben vorbildhaft zu verhalten, wenn nicht gar tatsächlich mies – es gleicht sich ja irgendwie aus.

Wiederholt, aber nicht bestätigt

Eine zentrale Studie, die das zeigen wollte, stammt aus dem Jahr 2010, sie wurde erstellt von Nina Mažar und Chen-Bo Zhong, damals beide an der University of Toronto [Q1]. Wer in dem Versuch der Wirtschafts-Wissenschaftler in einem virtuellen Geschäft für Öko-Waren einkaufen gewesen war, schummelte hinterher eher bei einer vermeintlich davon unabhängigen Schätzaufgabe, für die sie oder er Geld bekommen sollte – und verschaffte sich so einen Vorteil. Zumindest galt das in dem Experiment im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die anfangs einen Online-Handel für überwiegend konventionelle Produkte besucht hatte.

Diese Studie ist nun beim Versuch, das Experiment zu wiederholen und das Ergebnis zu bestätigen, durchgefallen [Q2]. Solche Replikationen sind ein wichtiges Element jeder Wissenschaft. Sie werden aber selten gemacht, weil es aufwändig und lästig ist, die ursprüngliche Arbeit möglichst genau nachzustellen – Ruhm ist damit normalerweise auch nicht zu ernten. Darum hatte es vor einiger Zeit eine gezielte Initiative gegeben, aufsehenerregende Ergebnisse der Sozialpsychologie aus dem Jahr 2008 zu replizieren. Dabei wurden viele Studien relativiert; auch eine von Nina Mažar war dabei gewesen [Q3]. Diese konzertierte Aktion hatte eine große Debatte ausgelöst darüber wie originalgetreu eine Wiederholung sein kann und sollte – viele Autoren haben ihre ursprünglichen Ergebnisse erbittert verteidigt. Wenn die Resultate der Originalstudien sich nicht bestätigen lassen, sind sie zwar nicht widerlegt, aber die Aussage kann auch nicht mehr uneingeschränkt gelten und zitiert werden.

Nun war also Mažar & Zhong (2010) dran – und wurde ebenfalls nicht repliziert. Die Autoren aus Prag, ein Team um Jan Urban von der Karls-Universität, haben die ursprüngliche Studie einmal fast bis aufs letzte Komma wiederholt und zweimal mit leichten Varianten, und nirgendwo haben die Käufer der Öko-Waren erkennbar stärker geschummelt als die Probanden mit konventioneller Auswahl. Wie die Autoren der ursprünglichen Studie darauf reagieren, ist nicht bekannt. Sie hatten nach Aussage von Nina Mažar den im Februar erschienenen Replikationsversuch noch nicht wahrgenommen, und waren auf Anfrage von KlimaSocial auch nicht in der Lage, sich kurzfristig zu äußern. Es ist allerdings ungewöhnlich, dass eine Fachzeitschrift, die eine gescheiterte Replikation veröffentlicht, den Autoren der ursprünglichen Studie nicht rechtzeitig die Chance zu einer Antwort gibt.

Einen naheliegenden Einwand haben die Forscher aus Prag dabei in ihrer Studie ausgeräumt, nämlich dass ihre Probanden ganz anders ticken könnten als die in der Originalstudie. Tatsächlich empfanden die tschechischen Versuchspersonen, die am Ende der 2010-er Jahre befragt wurden, den Kauf umweltschonender Produkte als moralisch höher stehend als den Erwerb konventioneller Waren. Ähnlich hatten sich etwa zehn Jahre zuvor schon die kanadischen Universitäts-Studenten geäußert. Die Grundvoraussetzung für „moral licensing“, ein Gefühl der Überlegenheit, war also in beiden Fällen gegeben.

Zuvor schon aber hatten einige andere Studien festgestellt, dass es nicht auf den Kauf selbst, sondern auf die Einstellung der Probanden beim Kauf ankommen könnte: Wer ein ökologisches Bewusstsein hat, und aus diesem heraus grüne Produkte kauft, fühlt sich danach seltener berechtigt zu schummeln. Bei diesen Versuchspersonen ist die Wahrscheinlichkeit auch größer, dass sich ihr Verhalten in anderen Bereichen fortsetzt. Sich für eine nachhaltige Verhaltensweise zu entscheiden, muss also zur eigenen ökologischen Haltung passen, dann wirkt sie weiter. Bei vielen anderen Studien, die „moral licensing“ erkunden, fehlt offenbar genau dieses Element – dass die ursprüngliche gute Tat sozusagen einem höheren Ziel diente, das der Versuchsperson wichtig war. Die Forschung besagt also nicht unbedingt, dass es überhaupt kein „moral licensing“ gibt, sondern dass es dem „Spillover“ beim umweltgerechten Verhalten nicht widerspricht.

Auf einer spiegelnden Granitfläche stehen Bio-Produkte: Mehl, Milch Mais, Tomaten, Leinsaat und andere. Solche ökologischen und regionalen Produkte sind nicht genug, um damit die Welt zu retten, aber immerhin ein Anfang.
Ökologische und regionale Produkte – nicht genug, um damit die Welt zu retten, aber immerhin ein Anfang.

Über diese Deutung der wissenschaftlichen Erkenntnisse hatte ich schon vor knapp zwei Jahren, im September 2017, in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung berichtet [Q4]. Ich veröffentliche hier eine leicht überarbeitete Fassung, die besonders im Bezug auf die Studie von Mažar und Zhong die aktuelle Entwicklung aufnimmt. Die beim Aktualisieren eingefügten Passagen sind im Folgenden kursiv gesetzt.

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Der Kampf zwischen Gut und Böse beginnt am Kühlregal.

Kauft der Kunde zur Biomilch auch Butter und Käse mit grünem Logo? Lädt er dann Möhren und Bananen, Mehl und Kaffee mit den drei Buchstaben in seinen Wagen? Oder sagt er sich: Ach, mit der Milch habe ich genug für die Umwelt getan –und greift zur Discounter-Billigmarke?

Mindestens im Supermarkt gilt wohldas erste Szenario, berichtet John Thøgersen von der Universität Aarhus. Über 20 Monate hinweg hat er die Bio-Einkäufe von fast 9000 zufällig ausgewählten dänischen Haushalten analysiert, die an der Kasse der Supermärkte ihre Kundenkarte vorlegten [Q5]. Die meisten Konsumenten blieben ihren Gewohnheiten während des gesamten Versuchs treu, aber wer sein Verhalten änderte, kaufte im Verhältnis fünf zu eins mehr statt weniger Produkte mit grünem Logo. Am Ende war die Gruppe der konsequenten Bio-Käufer von 11 auf 14 Prozent angewachsen und die der Verweigerer von 28 auf 21 Prozent geschrumpft. Gut 600 Haushalte hatten begonnen, überhaupt ökologische Lebensmittel zu kaufen.

Dabei ist ein typischer Verlauf zu beobachten: „Es fängt mit Milchprodukten an, dann kommen Obst, Gemüse, Eier und Backzutaten hinzu, dann der ganze Rest: von den Tiefkühlerbsen über Dosentomaten bis zum gemahlenen Kaffee“, so der Forscher.

Thøgersens Studie hat Bedeutung weit über den Supermarkt hinaus: Breitet sich umweltbewusstes Verhalten eines Kunden von der Biomilch aus und erreicht irgendwann das Autofahren oder die politische Position? Oder wächst ein innerer Widerstand, weil der Mensch meint, er habe seinen Beitrag geleistet, nun seien mal die anderen dran?

Eine brisante Frage, weil die Menschheit vor globalen Problemen wie der Klimakrise steht. Da wird es nicht reichen, dass Staaten Programme zum Einsparen von Kohlendioxid auflegen – die Bürger selbst müssen mitmachen und ihr alltägliches Verhalten ändern. Deswegen wäre es hilfreich, wenn sich kleine Handlungen für die Umwelt gegenseitig verstärkten und zu größerem Engagement für das Gemeinwohl anregten; langsam vielleicht, wie in John Thøgersens Supermärkten, aber zielsicher. Sind Menschen hingegen tief im Inneren anders gestrickt, müssten Aktivisten überlegen, ob sie den guten Willen des Publikums, das die Energiewende mittragen muss, mit Kampagnen für Recycling-Papier vergeuden.

Wer hat die besseren Argumente, wer die bessere Presse?

In der psychologischen Forschung heißt das Thema „Spillover“. Umweltfreundliches Verhalten kann überschwappen, besagt die Metapher: Macht eine gute Tat die nächste wahrscheinlicher, sprechen die Experten von positivem, sonst von negativem Spillover. Belege gibt es für beides. Einerseits fährt, wer recycelt, danach auch eher Rad oder Bus, bevorzugt Biolebensmittel, und entwickelt Verständnis für den Bau von Windrädern – über das Ausmaß hinweg, das durch allgemeines Umweltbewusstsein erklärbar ist. Andererseits sträuben sich Käufer spritsparender Autos, ihre Fahrleistung zu reduzieren, und in Experimenten lassen sich Probanden, die in einer Art Bioladen einkaufen, dazu verleiten, zu schummeln und zu stehlen. Ein zentrales Experiment mit dieser Aussage ist allerdings vor kurzem in der psychologischen Forschung gezielt wiederholt und nicht bestätigt worden.

In diesem Spannungsfeld haben die Befürworter des positiven Spillover die besseren Argumente, aber die anderen oft die bessere Presse. Es klingt spannend und befriedigend, wenn sich Menschen nach einer guten Tat berechtigt fühlen, großen Blödsinn zu machen. Dass sich jemand aus Mülltrennen, Fahrradfahren und Biofleisch-Kaufen eine Identität aufbaut, wirkt dagegen fast schon spießig.

Zudem zeigt eine Analyse psychologischer Studien, dass das Forschungsfeld eine Unwucht hat. Positiver Spillover ist nur durch sehr präzises Arbeiten nachzuweisen, während Ungenauigkeit im Design der Untersuchung das Ergebnis schnell als negatives Überschwappen erscheinen lässt. Zu schnell kann es dann vorkommen, dass die Wissenschaftler Verhaltensweisen ihrer Probanden als ökologisch motiviert einordnen, die gar nicht so gemeint gewesen waren. Ob solche Aktionen später wiederholt und ausgeweitet werden oder nicht, hat dann für die Probanden überhaupt nichts mit dem früheren Handeln zu tun. Nur die Forscher stellen einen Zusammenhang her.

In die pessimistische Richtung deutet auch eine kalifornische Studie zum Thema [Q6]. Demnach können Kampagnen, die Menschen zum Energiesparen im Haushalt animieren, nach hinten losgehen: Sie untergraben womöglich den Rückhalt für eine nationale Energiespar- oder Klimaschutzpolitik. Für seine Untersuchung hat der Politik-Wissenschaftler Seth Werfel von der kalifornischen Stanford University 14 000 Japaner gefragt, ob sie eine erhöhte Steuer auf Treibhausgas-Emissionen befürworten; sie hätte pro Haushalt 6000 Yen (48 Euro) im Jahr ausgemacht.

Etwa 34 Prozent der Befragten stimmten zu, wenn die Frage einfach so gestellt wurde. Die Zahl lag bei nur 30 Prozent, wenn die Teilnehmer zuvor angeben sollten (und damit daran erinnert wurden), wie sehr sie sich im Jahr 2011 am Energiesparprogramm „Setsuden“ [Q7] beteiligt hatten. Damals bat die Regierung nach der Reaktor-Katastrophe von Fukushima, elektrische Geräte von der Klobrillenheizung bis zur Klimaanlage abzuschalten, um Stromausfälle zu vermeiden. Werfel erklärt das Resultat so: Offenbar hätten private und öffentliche Maßnahmen austauschbar gewirkt, und die Befragten waren der Ansicht, sie seien schon in Vorleistung gegangen.

Die Untersuchung ist auf ein gemischtes Echo gestoßen. Kaitlin Raimi von der University of Michigan in Ann Arbor, die ähnliche Studien veröffentlicht hat, lobt die Arbeit in einem Kommentar im gleichen Fachblatt [Q8]. „Solche Effekte sind klein, aber sie könnten ausreichen, eine enge Wahl zu entscheiden“, schreibt sie.

Andere Fachleute üben in etlichen Punkten Kritik an Werfels Studie. Das Ergebnis des Kaliforniers könne ein „methodisches Artefakt“ sein, sagt die Psychologin Ellen Matthies von der Universität Magdeburg, die Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderung (WBGU) ist. Befragte antworteten oft kompensatorisch, erklärt sie: „Mutet man ihnen in einer Frage etwas zu, dann wollen sie in der nächsten geschont werden.“ Das klingt zwar wie eine Umformulierung von Werfels These, ist laut Matthies aber unabhängig von Inhalten und hat nur etwas mit der Befragungssituation zu tun.

Überdies ist fraglich, ob die Probanden das Setsuden-Programm überhaupt als Umweltschutz interpretierten. Das war es nämlich nicht: Es wurde in der nationalen Notsituation nach dem Super-GAU von Fukushima propagiert, um Blackouts zu verhindern, als auch unbeschädigte Reaktoren vorsorglich vom Netz gingen. Das zuständige Ministerium begründete die Maßnahmen damals mit der Stabilität der Energieversorgung; Werfel wiederholt diese Einordnung in seinem Fragebogen. „Damit ist das doch eine ganz andere Geschichte“, sagt Thøgersen. „Die Probanden daran zu erinnern, lenkt die Gedanken auf die nukleare Sicherheit, nicht auf den Umweltschutz.“

„Es verändert die Selbstwahrnehmung des Menschen“

Gerade dieser zweite Einwand berührt einen wichtigen Punkt der Spillover-Debate. Menschen müssen den Zusammenhang verschiedener Maßnahmen erkennen und einem gemeinsamen Zweck zuordnen, damit diese „überschwappen“ können. Geht es Kunden im Supermarkt nur darum, ihre Gesundheit mit ökologischen Lebensmitteln zu verbessern, darf man keine Auswirkung auf die Wahl des Verkehrsmittels erwarten. Dann würden auch konsequente Bio-Käufer vermutlich nicht darüber nachdenken, ob sie einzelne Joghurtbecher mit dem Geländewagen nach Hause kutschieren sollten. In einer ungeschickt geplanten Studie würde genau das aber wie negativer Spillover wirken.

„Eine Aktion auf ein Ziel hin verleiht diesem Ziel mehr Bedeutung und lenkt die Aufmerksamkeit auf andere Aktionen, die diesem Ziel ebenfalls dienen könnten“, sagt Thøgersen. „Und es verändert die Selbstwahrnehmung des Menschen, der sich selbst so bestätigt, was ihm wichtig ist.“ Ellen Matthies stimmt zu: „Wenn bei Menschen Werte und Normen ins Spiel kommen, versuchen sie konsequent zu handeln, zum Beispiel für die Umwelt. Das stärkt das Gefühl der Selbstwirksamkeit, dass sie etwas ausrichten können.“

Zudem müssen die Forscher stets überlegen, ob ihr Versuch Bedeutung in der realen Welt haben kann. Versetzt man Testpersonen in künstliche Situationen, sollte man sich vor weitreichenden Schlüssen hüten, warnt Thøgersen. Ein Beispiel ist die berühmte Studie von 2010 von Nina Mažar und Chen-Bo Zhong von der University of Toronto, die Bioladen-Kunden zu potenziellen Dieben stempelte.

Dabei sollten Studenten zuerst in einem virtuellen Geschäft Waren für bis zu 25 Dollar aussuchen, die sie kaufen würden und gewinnen konnten; das Sortiment enthielt entweder neun konventionelle und drei grüne Produkte oder umgekehrt. Dann kam eine scheinbar unabhängige Schätzaufgabe, für die es hinterher echtes Geld geben sollte – und die einen klaren Anreiz enthielt, sich zu verschätzen, um mehr zu bekommen. Am Ende sollten sich die Probanden das dabei verdiente Geld auch noch selbst und unbeaufsichtigt aus einem Umschlag nehmen.

Das Ergebnis: Wer im virtuellen Geschäft mit vorwiegend grünen Waren gewesen war, verschätzte sich häufiger zu seinen Gunsten und bediente sich darüber hinaus auch noch mit zu viel Geld aus dem Umschlag – sprich: Er schummelte und stahl. Dieses Ergebnis hat seither unter dem Stichwort „moral licensing“ Karriere gemacht. Offenbar fühlen sich Menschen, so wurde es breit interpretiert, nach einer guten, moralischen Tat berechtigt, eine böse, unmoralische zu begehen. Doch genau diese Interpretation verliert nun durch die gescheiterte Replikation an Glaubwürdigkeit. Solche Zweifel hatten manche Experten aber schon zuvor geäußert.

„Das waren doch keine Käufer von umweltfreundlichen Produkten“, protestiert Thøgersen. „Man hat sie dem virtuellen Geschäft mit den grünen Waren zugelost, und sie fühlten sich deswegen ohne wirklichen Einsatz moralisch überlegen.“ Darum hätten sie sich den 2010 veröffentlichten Daten zufolge das unethische Verhalten in einem für sie ganz anderen Zusammenhang erlaubt. Werte wie Umweltbewusstsein kamen dabei nicht ins Spiel. Außerhalb des Labors sage das wenig aus.

„Gut und Böse gehören beide zu unserer Psyche, das ist ein ständiger Kampf“, sagt der Forscher aus Aarhus. Menschen seien widersprüchliche Wesen, negative Reaktionen ließen sich leicht provozieren. „Aber wenn wir in der wirklichen Welt etwas Gutes tun, werden wir dadurch auch bessere Menschen.“ Gerade wenn jemand reale Kosten in Kauf nehme, und sei es nur der höhere Preis der Biomilch, dann stärke er damit sein Selbstbild als moralische, die Umwelt bewahrende Person. Allein das mache ähnliche Entscheidungen auf verwandten Gebieten wahrscheinlicher. Daraus könne man durchaus Optimismus für die Zukunft gewinnen, so der Ökonom: „Ich muss das sagen, ich bin Vater und Großvater.“ ◀

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