Erwartbare Forderungen der Wirtschaft kontern

Der Weg aus der Covid- wie der Klimakrise liegt in einer Strukturreform – eine Analyse

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Ein rot-weißes Flatterband ist an einem Draht eines Maschendrahtzauns festgeknotet und windet sich von da nach links locker durch das Geflecht. Im Hintergrund ist ein Fußballplatz mit hellgrünen Kunststoff-Belag zu sehen.

Wo genau liegen die Parallelen zwischen der Corona- und der Klimakrise? Was kann man von der Reaktion der Menschen auf die Beschränkung ihres Alltags lernen, welche Argumente aufgreifen und zuspitzen, um später den Klimaschutz voranzubringen? Davon handelt die KlimaSocial-Serie „Schwung holen im Stillstand“.

In diesem Teil: Nach der Coronakrise werden viele Betriebe Bestimmungen zum Klimaschutz als zusätzliche Belastung ansehen – und ablehnen. Entsprechende Forderung erreichen Politiker bereits jetzt. Manche von ihnen erheben sie auch selbst. Doch die Maßnahmen zielen auf eine Strukturreform der Industrie und sollen eine weitere Krise, die Klimakrise, verhindern.

Teil der KlimaSocial-Artikelserie „Schwung holen im Stillstand“

Man hätte fast die Uhr danach stellen können: Politiker einer eher wirtschafts-liberalen Grundhaltung nutzen bereits die Coronakrise, um Klimapolitik auszubremsen. Einer von ihnen ist Regierungsmitglied: Thomas Bareiß, CDU-Abgeordneter im Bundestag und parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. In einem Twitter-Streit mit dem Grünen-Politiker Oliver Krischer, dessen Thema die Beschränkungen der Erneuerbaren Energieformen war, äußerte sich der CDU-Mann ungeduldig, fast schon herablassend: „Wir haben gerade noch ein paar andere drängendere Themen zu bewältigen, die unser ganzes Land betreffen!!“

Und als Krischer es wagte, die verpasste Einigung zur Abstandsregel für Windräder und dem sogenannten Solardeckel polemisch zu kritisieren, setzte Bareiß gleich noch eins drauf. „Oh Mann, @Oliver_Krischer. Wir legen das ganze Land lahm, versuchen Menschenleben zu retten & schnüren Hilfspakete im Umfang über 500 Mrd € um Wirtschaft & Arbeitsplätze zu retten. Und für Dich scheint es nur den #Solardeckel zu geben?!“ [Q1]

Autoindustrie und Luftlinien suchen Aufschub

Mal abgesehen von dem Heldenmythos, den Bareiß da für sich selbst reklamiert, haben solche Äußerungen Methode. Krisenzeiten sind immer eine willkommene Gelegenheit, missliebige Kompromisse, Bestimmungen und Begrenzungen abzuwickeln. In den USA kommt die Umweltbehörde EPA der Industrie bei wichtigen Regeln zur Luftverschmutzung sogar „wegen der Coronakrise“ entgegen, ohne dass die Unternehmen überhaupt gefragt haben, berichtet die New York Times [Q2]. Und in Deutschland forderte der FDP-Politiker Gerald Ullrich in einem Interview, die für 2021 geplante Einführung der CO2-Abgabe zu verschieben. Steuererhöhungen in einer Wirtschaftskrise seien immer falsch [Q3].


Im Vergleich dazu geht die europäische Autoindustrie geradezu elegant vor. In einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bitten ihre Verbände um ein Gespräch und schlagen vor, die Termine für die Anpassung der hergestellten Autos an neue Standards – damit ist auch der Flottengrenzwert für CO2-Emissionen gemeint – „anzupassen“. Man wolle in keinem Fall die Gesetze als solche in Frage stellen, heißt es, und sich weiterhin nach der Coronakrise den Herausforderung der „doppelten Transformation von Dekarbonisierung und Digitalisierung“ stellen. Man wolle nur über das Timing reden [Q4].

Einen ähnlichen Brief könnten demnächst auch die Luftlinien schreiben, wenn die unmittelbare Gefahr für ihr Überleben gebannt ist. Viele von ihnen müssen nach einem internationalen Vertrag in der Zukunft unter dem sogenannten Corsia-System alle Emissionen kompensieren, die über den Ausstoß im Durchschnitt der Jahre 2019 und 2020 hinausgehen. Das bedeutet: Sie müssen dafür Zertifikate über sogenannte Offsets von Projekten kaufen, die CO2-Emissionen eingespart haben. Da der Flugverkehr zurzeit weitestgehend ruht, sinkt die Menge im Referenzzeitraum; die Airlines müssten also hinterher um so mehr Zertifikate kaufen [Q5].

Ein Hilferuf ist nicht unwahrscheinlich, wenn die Gesellschaften ihre Maschinen nicht bald wieder in die Luft bekommen. Außerdem dürfte der Druck zunehmen, dass auch massenhaft vorhandene, billige Zertifikate von zweifelhaftem Wert im Klimaschutz akzeptiert werden. Die britische Zeitung Independent zitiert jedoch eine Quelle aus der Luftfahrt-Industrie mit dem Hinweis, das Corsia-Abkommen enthalte ja Klauseln für den Umgang mit einem ungewöhnlichem Jahr 2020 [Q6] – was auch auf eine Art Aufschub hinausläuft.

Auf einen gepflasterten Fußweg hat jemand mit weißer Farbe die Worte „Corona Parade“ gesprüht. Dahinter sind Pfeile rechts vorwärts und links für den Gegenverkehr sowie und eine gestrichelte Mittellinie aufgetragen. Sie sollen womöglich den Strom der Passanten lenken, der hier bei Sonnenschein am Wochenende auftritt. Menschen sind allerdings im Moment nicht zu sehen.
Vorwärts oder rückwärts – was passiert nach der Coronakrise mit dem Klimaschutz?

Solche Manöver seien „normal im politischen Prozess“, sagt Grischa Perino von der Universität Hamburg. „Einige Industrien werden zurzeit schwer gebeutelt und werden sich hinterher gegen alles wehren, was sie als zusätzliche Belastung ansehen, und nach allem schreien, was Entlastung verspricht.“ Das könne bei vielen auf Gehör stoßen: „Klimapolitik, die gerade erst eingeführt werden soll, ist eine einfache Zielscheibe.“

Eine Verschiebung um ein halbes Jahr hält Perino nicht für einen Beinbruch, falls es der Politik gerade an Entscheidungskapazität fehlt – das lasse sich aufholen. Er rät jedoch dringend davon ab, zum Zwecke der Entlastung der Wirtschaft Lenkungsinstrumente wie den CO2-Preis auszusetzen. Diese sind wichtig, um den Wiederaufbau der Wirtschaft in die gesellschaftlich gewünschten Bahnen zu lenken. Wenn Entlastungen erforderlich sind, dann sollten diese in Bereichen erfolgen, die teilweise sogar unerwünschte Lenkungswirkungen entfalten, wie die Lohnnebenkosten oder die EEG-Umlage.

„Wenn die Politik zurückweicht, entsteht irreparabler Schaden“

Es gibt tatsächlich schlechte Vorbilder für Elemente einer Hilfsstrategie: „Schon nach der Finanzkrise 2008 wurden wichtige strukturelle Veränderungen für nachhaltiges Wirtschaften der kurzfristigen Symptombekämpfung geopfert“, erklärt Maja Göpel vom Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) gegenüber Susanne Götze in einem Spiegel-Artikel [Q7]. „Es ist aber fahrlässig, gerade Klimaschutzmaßnahmen – die ja der Vermeidung zukünftiger Krisen dienen – auszusetzen.“

Und auch Ottmar Edenhofer ist überzeugt: „Reformen nach der Krise abzuwiegeln, wäre der Gipfel der Verantwortungslosigkeit. Wenn die Politik da zurückweicht, entsteht irreparabler Schaden. Dann werden wir ein weiteres Jahrzehnt zurückgeworfen.“

Stattdessen müsse man jetzt offensiv für eine Fortentwicklung der CO2-Bepreisung werben, erklärt Edenhofer. Und zwar in drei Schritten: Die EU-Kommission solle ihr Ziel der Klimaneutralität 2050 bekräftigen, der Markt für Emissionszertifikate müsse mit einem Mindestpreis reformiert werden, und die Europäische Zentralbank möge beginnen, Anlagen-Portfolios nach ihrer Klimawirkung zu beurteilen. Freiwillige Konzessionen wegen der Coronakrise will der Chef von Mercator- und Potsdam-Institut jedenfalls nicht machen.

Bleibt die Frage des Timings: Wer in der akuten Situation zu sehr auf der Klimafrage beharrt, riskiert vermutlich, dass man ihm in Bareiß’scher Manier über den Mund fährt – und das Publikum beifällig nickt, statt die Arroganz in der Erwiderung zu geißeln. Auch erste Umfragen bestätigen, dass nur ein einstelliger Prozentsatz der Menschen den Klimawandel überhaupt noch als wichtiges Thema ansieht [Q8]. Deswegen ist es aber eine gute Idee, die Parallelen der beiden Krisen jetzt zu diskutieren, um zum richtigen Zeitpunkt daüber sprechen zu können.

Im Streit zwischen dem CDU-Staatssekretär Bareiß und dem Grünen Fraktionsvize Krischer hat übrigens Hermann Ott, ehemaliger Bundestags-Abgeordneter der Grünen und jetzt Leiter von ClientEarth Deutschland, ein womöglich passendes Sprachbild gefunden [Q9]. Es handelt davon, warum man über der Nothilfe in Sachen Corona die Erneuerbaren Energien und die Klimakrise nicht ignorieren sollte. Allerdings verhindert der weiterhin polemische Ton vermutlich trotzdem eine Einigung. „Oh Mann, @Thomas_Bareiss‬, “ twitterte Ott, „wenn die Hütte brennt, muss man löschen – keine Frage. Aber darüber den Erdrutsch zu vergessen, der das Haus wegzureißen droht, ist Kurzsichtigkeit.“ ◀

Weiter in der KlimaSocial-Serie „Schwung holen im Stillstand“

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