Der Mann, der die Erwärmung am Computer bremste

Guus Velders war Quantenchemiker, dann wollte er etwas für die Gesellschaft tun. Das ist ihm beim Verbot potenter Treibhausgase gelungen – ein Interview

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Ein Blick auf die Skyline von Manhattan: Ohne Klimaanlage kann man es in den Hochhäusern im Sommer kaum aushalten. Die Kühlmittel der Aggregate aber können nicht nur dem Ozonloch, sondern auch dem Klima großen Schaden zufügen.

Zu den Treibhausgasen, die neben Kohlendioxid oft nicht genug Aufmerksamkeit bekommen, gehören die sogenannten FKW – das sind Kühlmittel in Klimaanlagen. Sie gelten als Ersatzstoffe für die verbotenen Verursacher des Ozonlochs, aber ihre Effekte auf die globale Erwärmung wurden lange übersehen. Jetzt hat eine internationale Konferenz einen wegweisenden Beschluss gefasst.

In Bonn versuchen Vertreter von fast 200 Nationen gerade erneut, den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid einzudämmen. Ihr Ziel: Die Erderwärmung soll durchschnittlich deutlich weniger als 2 Grad Celsius betragen, möglichst sogar nur 1,5 Grad. Doch während diese UN-Klimakonferenzen wie alle früheren ein riesiges Getöse verursachen, ist es schon vor einem Jahr ganz geräuschlos gelungen, die Erwärmung um 0,5 Grad zu bremsen. Nicht um das Promi-Molekül CO2 ging im Oktober 2016 bei einer internationalen Konferenz im ruandischen Kigali, sondern um Kühlmittel für Klimaanlagen aus der Klasse der Fluorkohlenwasserstoffe (FKW). Das Verbot, das damals im Rahmen des Montreal-Protokolls zum Schutz der Ozonhülle beschlossen wurde, ist ein Meilenstein, von dem nur wenige gehört haben.

Eine entscheidende Rolle bei der Einigung spielte der niederländische Chemiker Guus Velders von der Universität Utrecht. Ohne seine Expertise wäre die Konferenz vermutlich an einem Detail gescheitert. Er ist dafür von Nature zu den zehn wichtigsten Forschern des Jahres 2016 gewählt worden. Außerdem erkor ihn das amerikanische Magazin Time zu einer der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten; die Laudatio schrieb der Hollywood-Schauspieler Leonardo di Caprio. In Deutschland wurde Velders’ Beitrag hingegen kaum wahrgenommen. Ein Interview am Rande der Falling Walls-Konferenz 2017 in Berlin.

Was ist der Unterschied zwischen dem Abkommen von Paris, über dessen Weiterentwicklung die Staaten gerade in Bonn verhandeln, und dem Vertrag von Kigali?

In Paris hat sich die Welt einen Maßstab für die Erwärmung gegeben, und das war ein großer Schritt vorwärts. Jetzt muss das Abkommen aber alle fünf Jahre überprüft werden, denn es enthält nur freiwillige Zusagen der Staaten, keine Pflichten. Zu den Klimagipfeln kommen 25 000 Leute wie jetzt in Bonn, und die Öffentlichkeit übt viel Druck auf die Politiker aus. Die Konferenz von Kigali hingegen fand unter dem Montreal-Protokoll statt, das seit 1989 in Kraft ist und die Ozonschicht beschützen soll. Da waren vielleicht 600 oder 700 Teilnehmer. Entscheidend ist: Dieses Abkommen enthält verbindliche Regeln.

Es geht aber auch nur um einen Industriezweig, nämlich die Herstellung von Kühlmitteln,nicht um den grundsätzlichen Umgang aller Gesellschaften mit Energie und Verkehr und damit die gesamte Wirtschaft und Lebensweise. Kein Wunder, dass da eine Einigung etwas leichter möglich ist.

Das stimmt, und die Industrie zieht beim Montreal-Prozess mit. Das Wichtigste ist: Es gab in Kigali keine Gegner, alle zeigten viel Respekt füreinander. Wenn ein Land Probleme damit hat, das Abkommen zu erfüllen, versuchen andere, ihm dabei zu helfen. Es ging darum, eine Lösung zu finden, anstatt es an den Pranger zu stellen. Es wäre gut, wenn diese Einstellung auch in den Klimaverhandlungen in Bonn vorherrschte.

Ging es im Montreal-Verfahren immer so friedlich und pragmatisch zu?

Ein Foto des Interview-Partners Guus Velders von der Universität Utrecht. Er hat sehr kurze Haare und lächelt in die Kamera.
Guus Velders von der Universität Utrecht

Nein, anfangs gab es heftigen Widerstand, gerade der europäischen Industrie, gegen das geplante Verbot, die Chlorverbindungen FCKW zu produzieren. Sherwood Rowland und Mario Molina, die den Nobelpreis dafür bekommen hatten, die Rolle der Substanzen bei der Entstehung des Ozonlochs aufzuklären, wurden damals heftig angegriffen und kritisiert.

Was ist Ihre Rolle bei den Verhandlungen zum Schutz der Ozonschicht?

Ich beschäftige mich damit seit zwanzig Jahren und bin Mitglied im wissenschaftlichen Komitee, das die Auswirkungen von beschlossenen Maßnahmen prüft. Am Anfang meiner Karriere habe ich mich zwar mit Quantenchemie beschäftigt, aber dann wollte ich etwas tun, das einen Wert für die Gesellschaft hat. Das war die Forschung über die Ozonhülle. 2005 war ich an einem Sonderbericht des Weltklimarats IPCC zur Wechselwirkung zwischen Klimawandel und Ozonloch beteiligt. 2007 habe ich mit einigen Kollegen ausgerechnet, dass das Montreal-Protokoll mit dem Verbot der FCKW einen positiven Nebeneffekt für das Klima hatte. Er war fünf- bis sechsmal so groß wie der Effekt des Kyoto-Protokolls, des damals einzigen Klimavertrags.

Was bewirken die Substanzen FCKW und FKW?

Nun FCKW schadet der Ozonschicht viel mehr als der Ersatzstoff FKW. So weit, so gut. Aber beide sind Treibhausgase, ein Kilogramm von ihnen bewirkt so viel Erwärmung wie einige Tonnen CO2. Und wir konnten 2009 zeigen, dass die FKW in der Zukunft die Erde um ein halbes Grad Celsius erwärmen würde. Das hat sie auf die Tagesordnung der Montreal-Verhandlungen gebracht. Denn die Substanz leckt aus Klimaanlagen, in denen sie als Kältemittel dient. Jedes Jahr gelangen 10 bis 15 Prozent in die Atmosphäre und verteilen sich. Wir atmen hier gerade etwas davon ein.

Gab es gegen den Plan, die FKW wegen ihrer Klimawirkung unter einem Abkommen zum Schutz der Ozonschicht zu verbieten, keinen Widerstand?

Oh doch. Als das 2009 zum ersten Mal besprochen wurde, haben einige Staaten gleich gesagt: Das ist eine Klimafrage, das dürfen wir hier nicht diskutieren. Nach zehn Minuten war die Debatte im Plenum vorbei. Aber dann kam langsam Schwung in die Sache. Erst gab es eine informelle Diskussion von 30 Minuten, dann eine formelle von einer Stunde, und schließlich haben die Staaten 2015 in Bangkok eine ganze Woche darüber verhandelt und den Beschluss ein Jahr später vorbereitet. Eigentlich ist es ganz schnell gegangen.

Schnell? In sieben Jahren von 2009 bis 2016?

Die Delegierten mussten sich an das Thema erst gewöhnen. Sie mussten sich mit ihren Umweltministern beraten, ihre Regierungen überzeugen. Juristische Einwände mussten abgearbeitet werden. Und diese Politiker und Diplomaten machen das ja nicht in Vollzeit so wie ich: Oft lesen sie erst im Flugzeug zur Konferenz die Papiere.

Haben Sie sich auf den Konferenzen eingemischt?

Naja, wir Wissenschaftler sollen ja neutral bleiben und eigentlich nur Wenn-dann-Aussagen machen: Wenn wir die Substanzen reduzieren, dann können wir diese und jene Probleme vermeiden. Ich saß also irgendwo hinten und durfte keine Reden halten. Der Ablauf solcher Konferenz ist ja ohnehin gewöhnungsbedürftig. Ein Staat gibt eine Erklärung ab, dann lesen 20 weitere ihre Statements vor, bevor irgendjemand drei Stunden später antworten kann. Die eigentliche Arbeit findet in den Hinterzimmer-Diskussionen statt.

In diesem Fall war das vermutlich gut so.

Darum habe ich auch immer mit allen möglichen Leuten gesprochen, um ihre Positionen zu verstehen. Sind sie aus geopolitischen Gründen gegen den Bann, wollen sie ihre Industrie beschützen, geht es um Geld? Manchmal waren es Details. In China zum Beispiel war für die Ozonschicht ein anderes Ministerium zuständig als für das Klima. Die kannten also die Probleme des jeweils anderen überhaupt nicht. Bei uns in den Niederlanden waren die gleichen Leute für beides zuständig, ich wäre also nie auf die Idee gekommen, dass man da erst Brücken schlagen muss.

Wie lief es denn in Kigali?

An einem Nachmittag sah ich, wie sich die Verhandler in einen kleinen Raum zurückzogen. Ich wusste nicht, ob ich da mit hinein durfte, ich hatte eigentlich nicht die richtige Badge, also Teilnehmerausweis. Aber ich habe es einfach mal versucht. Leider kennt mich bei der Konferenz jeder, darum hat mich der Generalsekretär gleich wieder hinaus komplementiert. Aber ich hatte schon gesehen, um was für einen Zeitplan es gehen sollte, das stand auf der Leinwand: Indien und die Golfstaaten wollten einen Aufschub von vier Jahren für sich durchsetzen.

Was haben sie mit der Information angefangen?

Ich habe mich an meinem Laptop gesetzt und es durchgerechnet. Das Ergbnis: Der Aufschub war irrelevant. Wichtig war und ist, dass das rasante Wachstum der FKW-Emissionen rechtzeitig gestoppt wird, aber auf vier Jahre kam es nicht an. Beim Montreal-Protokoll ist die Politik zumindest immer noch schneller als der Klimawandel. Das habe ich dann der amerikanischen Delegation erzählt, und der britischen und der niederländischen und Kollegen, die gute Kontakte in die Entwicklungsländer haben.

Sie haben also das letzte Hindernis vor einem Abschluss in Kigali weggeräumt.

Ja, und es fühlt sich ziemlich gut an, tatsächlich etwas bewirkt zu haben. Dazu muss man aber auch als Wissenschaftler Grenzen überwinden, mit allen möglichen Leuten reden und darf sich nicht allein auf seine Forschung verlassen.

Kann Donald Trump das mit einem Tweet nicht alles wieder zerstören?

Bisher habe ich nicht gehört, dass die neue Regierung auch aus dem Abkommen von Kigali aussteigen wollte. In den USA gab es auch schon 2015, also vor der Konferenz in Kigali, Regeln zur Produktion von FKW, und die dortige Industrie unterstützt das globale Verbot.

Verstehen Sie, was die Amerikaner bewegt, wenn Sie aus dem Pariser Abkommen aussteigen wollen?

Nein. Das hat etwas mit Kultur, vielleicht sogar mit Religion zu tun. Sehen Sie, in den Niederlanden sind wir alle Calvinisten. Wir glauben, wir bekommen einen Lohn, wenn wir hart arbeiten. Und bei uns kann man Leute mit Daten und Messungen überzeugen. Aber in den USA? Da funktionieren wissenschaftliche Argumente nicht. Man kann nicht mit Leuten argumentieren, die sich auf keinen Fall überzeugen lassen wollen.

Unter anderem deswegen könnte es ja dazu kommen, dass der Klimawandel viel zu schnell für die Politik ist. Für den Fall, dass die Welt nicht schnell genug die Emissionen von CO2 und anderen Stoffen reduziert, untersuchen manche Ihrer Kollegen schon Maßnahmen, um die Erde künstlich zu kühlen. Was halten Sie von diesem Geoengineering?

Ich finde es beängstigend. Wir wissen von Vulkanausbrüchen, dass Schwefelpartikel hoch in der Atmosphäre das Sonnenlicht abschirmen und die Temperaturen absenken. Aber Ideen, jeden Tag eine Rakete mit solchen Partikeln zu starten, sind der falsche Weg. Wir wissen gar nicht, was wir damit anrichten. Nur eine Folge ist klar: Weil der Schwefel die Reaktionen beschleunigt, würden wir die Ozonschicht endgültig zerstören.

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