Mehr Gemeinschaft, weniger Krise?

Kommen gemeinwohlorientierte Unternehmen besser durch die Epidemie?

von Daniela Becker
10 Minuten
Ein Mann steht auf seinem Bauernhof. Im Hintergrund wird Gemüse in Kisten gefüllt.

Mehr Kooperation, mehr Solidarität, ökologischere und klimafreundliche Geschäftsmodelle seien künftig gefragt, heißt es. Tatsächlich gibt es bereits zahlreiche Wirtschaftsformen, die versuchen anders zu wirtschaften und sich dem Wachstumszwang zu entziehen. Kommen sie weniger unbeschädigt als andere durch die Krise?

Teil der KlimaSocial-​Serie „An der Weggabelung“

Das Corona-Virus hat viele Unternehmen kalt erwischt und vor neue Herausforderungen gestellt. Arbeiten von zuhause, Videokonferenzen trotz instabiler Internetverbindung und fehlender Hardware, Zusammenbruch von Lieferketten und das Wegfallen von Einnahmen – die Herausforderungen sind und waren groß. Gleichzeitig muss die Pandemie genutzt werden, um die Wirtschaft radikal zu transformieren, um sie zukunftsfähig zu machen. Solche Meinungen äußern inzwischen sogar große Mainstream-Medien wie die Financial Times oder der Spiegel .„Letzte Ausfahrt Corona“, betitelte das deutsche Leitmedium ein Stück über die Debatte zur Zukunft der Wirtschaft. Die Corona-Krise sei nun die allerletzte Chance das Ruder rumzureißen, soll das heißen.

Insgesamt ist der Text in einem etwas ungläubigen Unterton verfasst, was für Ideen da gerade in der Mitte der Bürgerschaft ankommen könnten. Vorgestellt wird das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie des Politologen Christian Felber sowie die von zum Beispiel Transformationsforscherin Maja Göpel vertretene Ansicht, dass immer währendes Wachstum der Wirtschaft die Probleme der Welt nicht löst, sondern vielmehr sogar Ursache vieler Probleme sein könnte.

Vermutlich liegt es daran, dass Göpel und Kollegen eine diffuse Sehnsucht nach dem ganz anderen bedienen. Eine Welt, die nicht nur ein bisschen besser ist als die aktuelle, sondern richtig gut. Sie berühren zudem eine vage Ahnung, dass mit der Pandemie eine Epoche enden und eine andere beginnen könnte. So wie nach der Pest die Renaissance kam.

(aus: Spiegel: Was kommt, wenn Corona geht?)

Das Staunen über die Ideen der Gemeinwohl-Ökonomie verkennt, dass es bereits eine Reihe von Unternehmen gibt, die sich dem Gemeinwohl und Klimaschutz explizit in ihrem Unternehmensziel verpflichten, die kollaborativ und solidarisch arbeiten und versuchen, sich dem Wachstumszwang zu entziehen.

Können die Unternehmen diese „diffuse Sehnsucht“ nach einer besseren Welt heute schon befriedigen? Kommen sie unbeschädigter als andere durch die Krise? Fühlen sie sich in ihrem Weg bestätigt?

Grüne Wirtschaft gibt sich zuversichtlich

Durchaus, meint Katharina Reuter, Geschäftsführerin von UnternehmensGrün. Dies habe zumindest die deutliche Mehrheit der im Verband der „grünen Wirtschaft“ organisierten Unternehmen in einer Umfrage mitgeteilt. Mehr als 84 Prozent seien zuversichtlich, die Herausforderungen der Krise zu meistern.

„Das ist natürlich ein subjektiver Eindruck, aber ich habe schon den Eindruck, dass wir resilienter als andere sind“, sagt Florian Henle, Geschäftsführer des Münchner Ökostrom- und Gasanbieters Polarstern GmbH. Er möchte sein Unternehmen als „Social Business“ verstanden wissen, für das Werte wie Ökologie und Gemeinwohl genauso bedeutend sind wie die finanzielle Rendite.

Deswegen erstellt das Unternehmen alle zwei Jahre eine Gemeinwohl-Bilanz nach den Bewertungskriterien der Gemeinwohl-Ökonomie. Dabei wird der unternehmerische Erfolg nicht allein am ökonomischen, sondern auch am Nutzen für das Gemeinwohl gemessen ‒ ganz konkret an Werten wie Menschenwürde, Solidarität, Nachhaltigkeit und Transparenz.

Die Grafik zeigt die Gemeinwohl-Matrix mit Kriterien nach denen unternehmerische Tätigkeiten bewertet werden können.
Die Gemeinwohl-Matrix ist ein Modell zur Bewertung von unternehmerischen wie auch gemeinnützigen Tätigkeiten.

Natürlich hat das Virus auch bei Polarstern einiges verkompliziert: „Wir mussten diverse Gespräche mit Gewerbekunden führen, die nun weniger Strom abnehmen können“, sagt Henle. Die Prämisse wertschätzend miteinander umzugehen, gelte aber nicht nur für die Mitarbeiter, sondern auch für Kunden und Lieferanten. Deswegen werden die bestehenden Verträge so diskutiert, dass am Ende für alle eine zufriedenstellende Lösung herauskommt. „Wir wollen niemanden übervorteilen, nur weil wir es könnten. Das wäre die klassische kapitalistische Herangehensweise. Wir denken partnerschaftlicher als klassische Unternehmen.“

Mehr Vertragsabschlüsse als je zuvor

Ähnlich positiv äußert sich Alexander Rossner, Geschäftsführer von Zukunftswerk, einer Nachhaltigkeitsberatung, die zu den Bereichen Sustainable Development Goals, Klimaschutz sowie Emissionszertifikatehandel arbeitet. Die Besonderheit des kleinen Unternehmens mit Sitz im bayrischen Starnberg: Es ist genossenschaftlich organisiert.

Rossner, ausgebildeter Gesellschaftsrechtler, betont, dass er zur Gründung 2012 absichtlich diese Form gewählt habe, wegen des kooperativen Ansatzes, dem Ein-Mitglied-eine-Stimme und weil Genossenschaftsanteile der Spekulation entzogen sind. „Ich bin überzeugt, dass die in der Gesellschaft vorherrschende Art des Wirtschaftens Ursache vieler Probleme ist. Da ist die Genossenschaft vielleicht die am wenigsten schlechte Form.“

Zukunftswerk berät nach eigenen Angaben überwiegend mittelständische Unternehmen aus dem Dienstleistungsbereich, sowie Energieunternehmen, Banken, und Nahrungsmittel- und Getränkeproduzenten. Offenbar haben viele dieser Unternehmen die erzwungene anfängliche „stille Zeit“ während Corona genutzt, um über die Zukunft nachzudenken. „Gerade Klimaschutz-Themen sind in den letzten Monaten bei uns aufgeschlagen ohne Ende. So viele Anfragen und Abschlüsse hatten wir in der Geschichte unserer Genossenschaft noch nie“, erzählt Rossner. Das Unternehmen habe mehrere neue Projekte abgeschlossen, die über mehrere Jahre laufen. „Das ist für uns wirklich eine Ausnahmesituation.“ Er habe dabei den Eindruck, dass viele Marktteilnehmer Klimaschutz inzwischen deutlich planvoller angehen wollen als noch vor ein oder zwei Jahren. „Damals wurde das noch sehr heuristisch angegangen: Mal da ein Hybridauto gekauft und der Presse mitgeteilt, dort ein bisschen Klimaschutzziele gesetzt. Inzwischen wird schon verstanden, dass es ernst wird, “ sagt Rossner.

Zeit für das Wesentliche

Alexander Rossner erklärt sich die Häufung der Vertragsabschlüsse auch damit, dass Mitarbeiter plötzlich Zeit hatten, über Grundsätzliches nachzudenken. „Die Leute wurden nach Hause geschickt und teilweise fehlte die Home-Office-Infrastruktur. Da saßen dann viele Klima- und Nachhaltigkeitsmanager zuhause und hatten plötzlich viel mehr Zeit als sonst, um langfristige Dinge zu besprechen."

Der Rechtsanwalt und Unternehmer, der zugleich auch Vorstand des Vereins Gemeinwohlökonomie Bayern ist, glaubt, dass Corona tatsächlich Auslöser für ein wirtschaftliches Umschwenken sein kann. Die Pandemie habe nachhaltigen Eindruck hinterlassen. „Nicht wenige Unternehmen leiden ganz akut unter abreißenden Lieferketten. Viele haben jetzt erstmals gesehen, wie fragil unser System ist. Mein Eindruck ist, dass das vielen Managern nicht geheuer war und sie nun einiges ändern wollen“, sagt Rossner.

Müssten also alternative Wirtschaftsformen in der jetzigen Diskussion um Konjunkturhilfen nicht mehr bedacht werden? „Nicht mehr als andere auch, die jetzt in Schieflage geraten sind. Aber jetzt Dingen Geld hinterher werfen, die sich ohnehin überlebt haben, finde ich nicht sinnvoll, “ sagt Rossner mit Blick etwa auf die bedingungslosen Lufthansa-Hilfen.

Im Netzwerk entstehen neue Ideen

Licht und Schatten brachte Corona für die Regionalwert AG Hamburg. Regionalwert ist eine Bürger-Aktiengesellschaft und ein Verbund aus Bauernhöfen, Lebensmittel-Handwerkern, Händlern, Gastronomen und Dienstleistern, die nach ökologischen und sozialen Kriterien wirtschaften – und sich darauf verpflichten, eng zusammenzuarbeiten, etwa, indem sie Produkte und Leistungen bevorzugt in ihrem Netzwerk beziehen. Ihr vereintes Ziel: eine enkeltaugliche Land- und Lebensmittelwirtschaft und Preise für Lebensmittel, die ihren wahren Wert abbilden.

Regelmäßig gibt Regionalwert nicht börsennotierte Aktien an Bürger*innen aus. Die Mittel investiert sie als Eigenkapital in ihre Verbundbetriebe. Die letzte Aktienausgabe bis 31.3.2020 fiel direkt in den Höhepunkt der deutschen Corona-Krise. „Da haben wir tatsächlich einiges an Reservierungen verloren von Leuten, die selbst in eine wirtschaftliche Schieflage zu kommen drohten“, sagt Ulf Schönheim, Vorstand der Regionalwert AG Hamburg. Gleichzeitig habe man aber viele neue Kaufinteressierten gewonnen und die Aktienausgabe schließlich erfolgreich abgeschlossen. „Ich glaube, das hängt viel mit unseren Partneraktionen zusammen, die wir während der Krise gestemmt haben“, sagt Schönheim.

Viele der Restaurants und Caterer im Verbund sahen sich durch Corona abrupt existenziell gefährdet. Auch deren Lieferanten, die besonders hochwertige Lebensmittel produzieren, standen vor Problemen – wie Lars Odefey, Inhaber von Odefey & Töchter, der für die Spitzengastrononmie Weidehühner züchtet. Er erzählt: „Restaurants nehmen uns gut zwei Drittel unserer Produkte ab. Wir waren also mittendrin im Schlamassel – und könnten das als kleiner Betrieb auch kaum durch Kurzarbeit und andere Maßnahmen kompensieren. Denn wir müssen unsere Tiere ja weiter versorgen.“

Bernd Ratjen, Inhaber der Gaststätte „Zur Erholung“ zeigt die „No Show“-Suppe.
Aus der Not geboren: Bernd Ratjen, Inhaber der Gaststätte „Zur Erholung“ in Uetersen (Schleswig-Holstein) mit der „No Show“-Suppe.

Nach dem ersten Schock wurde das Netzwerk kreativ: Mit der „No Show Soup“ wollten die Betriebe die wegbrechenden Umsätze kompensieren. Als „No Show“ bezeichnet die Gastronomie- und Touristikbranche Gäste, die trotz Buchung nicht erscheinen. Bei Regionalwert wurde das umgemünzt in: Kommt der Gast nicht ins Restaurant, kommt das Restaurant eben zum Gast. Praktisch über Nacht wurde ein neuer Suppenvertrieb auf die Beine gestellt. Zubereitet wurden die Suppen aus den Zutaten der Partnerbetrieben in der leeren Restaurantküche der Gaststätte „Zur Erholung“, dann umweltfreundlich in Mehrweggläsern verpackt und zum Kauf angeboten, zum Beispiel in der Regionalwert-Markthalle Hobenköök am Rande der HafenCity. Eine Win-Win-Situation für alle.

Eine weitere Idee zur Kompensation der Ausfälle war eine „Grundversorgungskiste.“ Initiator Georg Neubauer von Blattfrisch, einem Hamburger Unternehmen, das sich auf Bio-Mahlzeiten spezialisiert hat, sagt: „Kindergarten-Caterer und Lieferservice für Firmen haben wegen Corona von heute auf morgen ihr gesamtes Geschäft verloren. Hätten wir nichts unternommen, wären ganze regionale Lieferketten innerhalb kürzester Zeit kaputtgegangen.“ Gepackt wird beim Firmenobst-Lieferanten Biobob aus Hamburg-Altona. Die Auslieferung übernimmt der Lastenrad-Dienst Tricargo. „All diese Projekte und Kooperationen wären ohne das Netzwerk nicht so schnell gekommen“, zieht Ulf Schönheim als Fazit.

Statt kurzfristigen Konjunkturhilfen, mehr langfristiger Klimaschutz

Schlittert Deutschland in eine Wirtschaftskrise, könnten es Unternehmen, die hochwertige Lebensmittel erzeugen, aufgrund ihrer Preise noch schwerer haben, sich gegen industriell und unter Dumping-Lohnbedingungen erzeugende Produktionen durchzusetzen. Schönheim plädiert deswegen für weniger kurzfristige Corona-Konjunkturhilfen und mehr Engagement der Politik. Ziel müsse sein, die echten Klima-, Umwelt- und Sozialkosten konventioneller Agrarindustrie abzubilden, für die der aktuelle Skandal um die Tönnies-Fleischfabrik in Gütersloh exemplarisch stehen kann.

Das wünscht sich auch Daniel Überall, Vorstand beim Kartoffelkombinat, einer der mitgliederstärksten solidarischen Landwirtschaften Deutschlands. Ziel der genossenschaftlich organisierten Gemeinschaft ist der Aufbau einer selbstverwalteten und nachhaltigen Versorgungsstruktur, die mit einem gemeinwohlorientierten statt profitmaximierenden Wirtschaften einhergehen soll. Über Kartoffelkombinat werden derzeit über 1.800 Münchner Haushalten mit Gemüse, Obst und Brot versorgt. „Wir haben viele Rückmeldungen von Mitgliedern bekommen, dass Corona ihnen noch bewusster gemacht hat, wie wichtig der von uns verfolgte regionale und kooperative Ansatz ist, um uns unabhängiger von diesem globalen Wahnsinn zu machen“, sagt Überall. Die Nachfrage nach Mitgliedschaften sei stabil, insgesamt sei die Genossenschaft bislang gut durch die Krise gekommen. Überall führt das aber weniger auf die alternative Wirtschaftsform zurück als auf die Struktur der Krise: „Die Epidemie konnte uns bisher nichts anhaben, weil glücklicherweise bei uns noch niemand erkrankt ist. Aber jede Form von Krise, die vom Klimawandel begünstigt wird, wie die aktuell anhaltende Dürre, wie Starkregen oder Insektenplagen bedrohen unseren Betrieb.“

Gemeinwohlorientierte Unternehmen, so könnte man dieses Schlaglicht zusammenfassen, können sich auch in Krisensituation behaupten. Aber sie vermögen sich nicht vom Geschehen um sich herum abkoppeln – weder von ihrem ökonomischen Umfeld und noch viel weniger von ihren klimatischen Rahmenbedingungen. Deswegen hängt nun viel davon ab, ob die Bundesregierung und die Europäische Union mit dem Green Deal tatsächlich Rahmenbedingungen für Unternehmen schaffen, die wirtschaften, ohne dabei die planetaren Grenzen zu sprengen.

Hinweis: Die Arbeit an diesem Artikel sowie weiteren Teilen der KlimaSocial-Serie „An der Weggabelung" wurde gefördert durch den WPK-Recherchefonds Covid-19 / Sars-CoV-2.