„Und sie bewegt sich doch“

Ein Jahresrückblick von Julia Stenzel vom Institut für Theaterwissenschaft der Universität Mainz

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eine bunte Blase zerplatzt

Die Juniorprofessorin Julia Stenzel vom Institut für Theaterwissenschaft der Universität Mainz ist Sprecherin des Jungen Kolleg.

Welches der vielen Ereignisse im Jahr 2016 hat Sie am meisten bewegt?

Der Tod des letzten Clowns von Aleppo, der bei einem Bombenangriff ums Leben kam. Mit ihm ist ein Symbol gestorben – nicht für Normalität, sondern für aus der Normalität des Terrors und des Krieges ausgekoppelte Inseln, die den Kindern von Aleppo wenigstens für Momente das Lachen und das Spiel zurückgaben.

„Postfaktisch“ ist das Wort des Jahres – was denken Sie darüber?

Das Wort ist politisch problematisch und theoretisch eine Herausforderung: Es suggeriert, dass es Fakten und Wahrheiten unabhängig von deren Perspektivierungen gebe. Es unterstellt eine Entwicklungslinie vom prä- oder protofaktischen über das faktische hin zum postfaktischen Zeitalter, macht also eine Beobachtung zu einer Epochensignatur. Und es legt den nostalgischen Gedanken an eine “gute, alte Zeit” nahe, in der die Wahrheit noch Wahrheit und die Vernunft noch mächtig gewesen sei. Damit kann es auch auch für die „Lügenpresse“-Rhetorik zum Argument werden. Und damit ist es gerade auch aus medienhistorischer Perspektive zu überprüfen: Inwiefern ist „im Jahr 18 nach Google“ der Umgang mit den Fakten ein anderer? Wer trifft die Unterscheidung zwischen “Fakt” und “Nicht-Fakt”?

Portrait von Julia Stenzel
Julia Stenzel vom Institut für Theaterwissenschaft der Universität Mainz ist Sprecherin des Jungen Kolleg.