Buch-Marketing zu Covid-Zeiten – verächtliche Blicke, hölzerne Zuhörerin und spezieller Gewinn

Verkauf über den Sattel-Tresen: Wie ich meiner erfolgsarmen Fahrt durch den Norden trotzdem Gutes abgewinne.

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Der RadelndeReporter rastet an der riesigen Eulen-Bank mitten in Uelzen, geschaffen vom Motorsägenkünstler Andrée Löbnitz, um sein Buch „Zwei Räder, ein Land“ der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Sind Menschen in Uelzen nicht nur eifrige Eulen- sondern auch Buch-Käufer? Mit dieser und vielen anderen Fragen – mit jede Menge Zweifeln und einer Spur Verzweiflung fuhr ich kurz vor dem Herbst-Lockdown im November auf Buch-Verkaufstour. Ich gehöre zu den tausenden von Autoren, die 2020 ein Buch auf den Markt geworfen haben, das sich weder auf Messen noch in Lesungen vermarkten ließ. Der Pandemie wegen.

Buchliebe in Zeiten der Corona

Hier erzähle ich in dürren Worten und einigen Bildern, warum ich es trotzdem als Gewinn verbuche, mich als radelnder Radbuch-Verkäufer abzuarbeiten. Auch wenn von 5,5 Kilogramm Exemplaren meines Werks nur 1,2 Kilogramm über den mobilen Satteltresen gingen. Was sicher auch am Genre liegt: Das Bild eines Rennradlers hat im Corona-Herbst des Jahres 2020 wenig Konjunktur.

Martin C Roos steht in Radlerkluft neben seinem Rennrad, in der Rechten ein Exemplar seines Buchs „Zwei Räder, ein Land“.
Kilometer 0 (sonnig): Start der „Bookselling“-Tour auf dem Marktplatz zu Lübeck.

Exakt vier Paperbacks werde ich auf meiner circa sechzigstündigen Reise verkaufen, entsprechend vier mal 293.000 gedruckten Zeichen – mehr als eine Million! Das hört sich gleich viel besser an als der eingenommene Betrag: 59,96 €, zuzüglich 0,04 € Trinkgeld (und abzüglich 64 € für Übernachtungen).

Der erste Tag ist schön zum Radfahren, aber schlecht für die Kasse: Weder in Lübeck (Foto oben) noch in Lüneburg (unten) werde ich ein Buch los.

Während das Rennrad am Marktbrunnen ruht, liest der RadelndeReporter vor dem Hintergrund des Rathauses aus seinem Buch.
Kilometer 102 (nieselig): Erste Leseaktion auf dem Marktplatz zu Lüneburg, fotografisch festgehalten vom einzigen Zuhörer.

Jeder noch so mühseligen Reise lässt sich am Ende das Etikett „Bildungsreise“ anhängen. Im für mich unwirtlichen Uelzen lerne ich: Es gibt den Uhlenköper. Das ist ein Uelzener Kaufmann, der der Sage nach anstelle von Birkhähnen Eulen erwirbt. Deswegen bezeichnet sich die phoenetische Zumutung namens Uelzen auch noch selbst als „Uhlenköperstadt“.

Eule = Uhle

Der Eulenkauf lief nicht ganz freiwillig: Das Federvieh im Sack pries man dem Kaufmann als Baarftgaans an, was Barfußgeher bedeutet. Der Kaufmann verstand Barkhahns – Birkhähne! Und zahlte einen stattlichen Preis. Der Käufer verklagte den Bauern, der zur Verteidigung einräumte, er habe eindeutig „Baarftgaans“ verkauft. Und dass ihm die Tatsache recht gebe, dass Eulen ja tatsächlich barfuß gehen! Also schmetterte der Richter des Kaufmanns Klage ab, „und die Uelzener nannte man seither Uhlenköper – Eulenkäufer“, heißt es auf der Webseite der Hansestadt.

Vor einer Tafel mit der Aufschrift „Radreiseregion Uelzen“ sind die Flyer des Buchs „Zwei Räder, ein Land“ auf einer Holzbank verteilt.
Kilometer 143 (verhangen): Kurz nach Mittag sinkt die Frequenz der Passanten am Herzogenplatz der Hansestadt Uelzen von rund 10 auf 1 pro Viertelstunde, sodass ich schleunigst meine Flyer packe und gen Sachsen-Anhalt weiterradle.

Im Herbst 2020 steht eine wuchtige Holzbank vor dem Rathaus. Eingefasst ist die Bank von zwei riesengroßen Eulen des Motorsägenkünstlers Andrée Löbnitz; alles zusammen wiegt fast vier Tonnen. Die Bank fertigte Löbnitz aus zwei Eichenstämmen – beide zusammen sind etwa 750 Jahre alt. Was zur Jahreszahl des Stadtjubiläums passt, das Uelzen heuer beging. Beziehungsweise groß begehen wollte. Womit wir wieder bei der Pandemie wären.

Die Frequenz von Passant:inn:en vor dem Markthaus sinkt kurz nach Mittag auf 1 pro 15 Minuten. Ich verstaue meine Bücher und fahre gen Sachsen-Anhalt.

Löss lassen

Hinter Wolfsburg erklimme ich Hügelland, an denen sich einst mahlende Gletscher abarbeiteten. Lössboden – frisch gekürter „Boden des Jahres 2021“ – zieht sich aus Richtung Hannover bis hierher und weiter zur Magdeburger Börde. Vor Helmstedt erscheinen mir die Acker mit ihrer herbstlichen Lupinenpracht besonders fruchtbar. Und besonders menschenleer.

Sattgelbe Blüten vor herbstfarbenem Wald.
Kilometer 227 (aufgelockert): Kleine Belohnung für die großen Mühen am ersten BookSelling-Tourtag: Kurz vor der Dämmerung kommt noch einmal die Sonne heraus und illuminiert ein riesiges blühenden Lupinenfeld nordwestlich von Helmstedt.

Als ich mich am zweiten Fahrtag vor dem Magdeburger Hauptbahnhof für meine Fotoaufnahmen des „Verkaufsstands“ aufbaue, fühle ich mich besser geerdet. Mit meinem Ausrüstungs-Chaos auf dem regennassen Vorplatz bekomme ich freundliche Grüße und Kommentare von zwei Obdachlosen, die neugierig heranschlurfen, um mein seltsames Treiben und fotografisches Posieren zu beäugen. Die beiden und ich, wir fühlen uns irgendwie verbunden.

Vor dem Eingangsportal des Bahnhofs zeigt Autor Martin C Roos auf sein Buch, das er in der Linken hält.
Kilometer 302: nass, aber guter Dinge; maximalen Buchverkauf erzielt (3 Exemplare).

Wie in Uelzen bilde ich mich an dem Monument weiter, an das ich mein Fahrrad lehne. Es ist eine tonnenschwere Granitplastik: Unsere Erdachse.

Das schwarze Monstrum oben im Bild soll exakt ein Millionstel der Entfernung messen, die Nord- und Südpol auseinander liegen (1271,35 Zentimeter).

Und sie dreht sich doch! Platsch, landen drei meiner Bücher in einer Pfütze unterhalb des Gepäckträgers, weil der Motor im Boden die gewaltige Erdachse einen Millimeter weiter bewegt hat.

Ich breche meine Zelte ab, nehme den Zug nach Wittenberge und radle nach Schwerin. Auf dem Weg dorthin habe ich einen unerhörten Einfall. Aber das ist eine andere Geschichte.

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