Wandtafel

Mein Name ist Björn Göttlicher. Ich arbeite seit 20 Jahren als Fotoreporter und habe in meinem Beruf einiges gesehen. Viele schöne Dinge, aber auch die Ungerechtigkeit in der Welt und das Leiden vieler Menschen. Das hat mich nachdenklich gemacht, und ich habe angefangen, Fragen zu stellen. Ich bin der Fotograf mit Zweifeln.

In meiner Koralle möchte ich Sie mitnehmen auf meine innere Reise zu den Fragen der Ethik in der Fotografie. Die begann bei einem Besuch eines Festivals für professionellen Fotojournalismus. Ich besuchte das „Visa pour l’image“, das angesehenste Festival Europas in Perpignan. Dort wurde bei der allabendlichen Projektion der besten Bilder des Jahres auch ein Preis verliehen. An eine finnische Fotografin. Sie heißt Meeri Koutaniemi. Das war aus zwei Gründen bemerkenswert. Erstens bin ich zur Hälfte Finne. Meine Mutter stammt aus Finnland, und wenn eine Fotografin von dort einen renommierten Preis überreicht bekommt, dann freue ich mich gleich doppelt mit ihr. Das war aber nicht der einzige Grund, der die Sache für mich besonders machte. Der andere lag in dem von Meeri gewählten Thema, für das sie den Preis bekam.

Die Finnin ist ausgezeichnet worden für eine kürzlich entstandene Schwarzweiss-Reportage über das Thema FGM, Female Genital Mutilation, aufgenommen bei einem Stamm der Massai in Afrika. Ein schreckliches Verstümmelungs-Ritual, das nur in wenigen Ländern praktiziert wird. Ich wusste nicht viel darüber, doch was ich wusste, das hatte ich einer anderen Schwarzweiss-Reportage entnommen, die ich zehn Jahre zuvor in einer spanischen Zeitschrift gesehen habe. Ich erinnerte mich noch gut an den Namen des Fotografen, der diese Bilder aufgenommen hatte. Er heißt Kim Manresa. Seine Fotos haben nach der Veröffentlichung hohe Wellen geschlagen, sie zeigten ein weinendes kleines Mädchen in ihrem unsäglichen Schmerz. Der Fotograf hatte das Kind, das er fotografiert hatte, angeblich später sogar adoptiert, so sehr ging ihm die Geschichte zu Herzen. Das ließ mich ratlos dastehen. Meeri Koutaniemi, Kim Manresa. Zwei Fotografen, dieselben visuellen Dokumente des Grauens. Schwarzweiss, intim, erschreckend. Einem jungen Mädchen wird die Klitoris beschnitten, hier wie da zweimal dasselbe schmerzhafte Ritual. Beide Reportagen fotografiert in Afrika. Zwischen den zwei Geschichten liegen viele Jahre, das kann ich sehen. Aber was ist in der Zwischenzeit passiert?

Plötzlich sind sie da, die Fragen. Sie kommen aus dem Nichts. Sie steigen in mir auf wie Bläschen in einem Sprudel. Und sie verschwinden nicht mehr. Bestimmt sind diese kritischen Fragen das Ergebnis meiner Berufserfahrung, das Ergebnis eines jahrelangen Hinschauens, das in meinem Beruf nötig ist. Aber ich empfinde sie als lose Enden. Sie müssen wieder zusammengefügt werden, sonst finde ich keine Ruhe. Ich muss jemanden suchen, der meine Fragen beantworten kann. Denn es geht im philosophischen Sinne um die Wirkung von Fotografie, von Bildern und Dokumenten.

Es geht im philosophischen Sinne um die Wirkung von Fotografie, von Bildern und Dokumenten.

Die Bildreporter, die ich kenne, lassen meist glaubwürdige bildnerische Dokumente entstehen, die in ihrer Direktheit und Härte von Lebensrealitäten künden, die uns durchaus unangenehm sind. Sie sind oft weit weg von unserer Wohlfühlzone. Worum geht es in der Fotografie für mich? Kann ich selbst einen Beitrag leisten, um die Welt ein Stück besser werden zu lassen? Oder ist das nur eine Illusion? Das ist der persönliche Ausgangspunkt meiner Reise. Jede Frage generiert eine weitere Frage. So entsteht der Weg meiner Reise zu den Fragen der Ethik.

Begleiten Sie mich auf meinem Trip durch die Welt der Fotografie! Die Ethik hat ihre eigenen Fragestellungen und durchaus spannende Antworten. So ist das in dieser Koralle realisierte Projekt, für das ich ein Stipendium der VG Bildkunst erhalten habe, nicht nur für Fotografen von Interesse. Es ist interessant für diejenigen, die häufig und gerne Bilder betrachten, die sich von ihnen provoziert fühlen und die die visuelle Sprache der Fotografie besser verstehen möchten.

Ich spreche mit Menschen, die diese Fragen beantworten können oder zumindest eine Meinung dazu vertreten. Und ständig habe ich meine Zweifel. Ist es anmaßend, wenn ich mich in die Arbeit anderer einmische? Aber da sind sie schon wieder, die Zweifel, die dieser Serie ihren Namen verleihen. Der Fotograf mit Zweifeln. Als erste Interviewpartner versuche ich es bei der Finnin Meeri Koutaniemi und dem Katalanen Kim Manresa zuhause. Mal sehen, ob sie mir die Tür aufmachen. Aber dazu mehr im nächsten Video.

Der „Fotograf mit Zweifeln“ von jetzt ab alle 14 Tage auf dieser Plattform.

. FmZ steht für eine aktive Auseinandersetzung mit den Fragen der Ethik im Fotojournalismus und der Fotografie in Medien und Kulturbetrieb. In jedem Kapitel geht es um eine oder mehrere Fragen, die von Experten und Profis aus dem entsprechenden Bereich im Video beantwortet werden. Mehr über das Projekt FmZ lesen Sie hier. Fotograf mit Zweifeln erscheint voraussichtlich alle 14 Tage. Mit der einmaligen Zahlung von acht Euro haben Sie Zugang zu allen Themen. Wenn Sie Fragen haben, das Projekt unterstützen möchten oder regelmäßig Zusatzinformationen sowie eine Vorschau auf unsere nächsten Geschichten bekommen wollen, stehen Ihnen folgende Wege offen: Facebook, Twitter oder als E-Mail unter bjoern@goettlicher-photo.com .

Ein verschwommener Hintergrund mit der Aufschrift „Fotograf mit Zweifeln“. Die Aufschrift ist mit Tesafilm überklebt.
Logo der Video-Serie „Fotograf mit Zweifeln“
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